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Arthas und Uther hatten beide ihre Helme abgenommen. Schweiß durchtränkte ihr Haar. Jaina kaute auf dem Fleisch und beobachtete, wie Uther über das Meer von Untoten blickte und zufrieden nickte.

Arthas starrte auf etwas, sein Gesichtsausdruck war voller Schuld. Jaina folgte seinem Blick und runzelte die Stirn. Sie verstand nicht. Überall lagen Leichen.

Doch Arthas blickte wie benebelt auf die aufgeblähten, fliegen – umschwirrten Leichen, unter denen keiner seiner Soldaten, Männer oder Pferde war.

Uther ging zu seinem Schüler und schlug Arthas auf die Schulter.

»Ich bin überrascht, dass Ihr so lange durchgehalten habt, Junge.« Seine Stimme war warm vor Stolz und auf seinen Lippen lag ein Lächeln. »Wenn ich nicht rechtzeitig eingetroffen wäre, als…«

Arthas wirbelte herum. »Ich habe getan, was ich konnte, Uther!« Sowohl Uther als auch Jaina blinzelten angesichts des harten Tonfalls. Er reagierte über – Uther tadelte ihn nicht, er lobte ihn. »Wenn ich eine ganze Legion von Rittern dabeigehabt hätte, dann…«

Uthers Augen zogen sich zusammen. »Jetzt ist nicht die Zeit, um am Stolz zu ersticken! Nach allem, was Jaina mir berichtet hat, war das hier nur der Anfang

Der Blick aus Arthas’ meergrünen Augen flog zu Jaina hinüber. Er litt unter der vermeintlichen Beschuldigung und zum ersten Mal, seit er Jaina kannte, schien sie sich unter diesem durchdringenden Blick zu ducken.

»Oder ist Euch entgangen, dass die Reihen der Untoten mit jedem Krieger in der Schlacht aufgefüllt werden?«, fuhr Uther fort.

»Dann sollten wir ihren Anführer angreifen!«, zischte Arthas. »Kel’Thuzad hat mir verraten, wer das ist und wo wir ihn finden können. Es ist… etwas, das Schreckenslord genannt wird. Sein Name ist Mal’Ganis. Und es befindet sich in Stratholme. Stratholme, Uther. Der Ort, an dem Ihr zum Paladin des Lichts geweiht worden seid. Bedeutet Euch das nichts?«

Uther seufzte müde. »Natürlich tut es das, aber…«

»Ich gehe dorthin und töte Mal’Ganis mit meinen eigenen Händen, wenn es sein muss!«, brüllte Arthas. Jaina hörte auf zu kauen und starrte ihn an. Sie hatte ihn noch nie so wütend erlebt.

»Ganz ruhig, Junge. So tapfer Ihr auch sein mögt, könnt Ihr doch nicht darauf hoffen, einen Mann allein zu besiegen, der über die Toten befehligt.«

»Dann schließt Euch mir an, Uther. Ich gehe, mit oder ohne Euch.« Bevor Uther oder Jaina weiter protestieren konnten, sprang er in den Sattel, riss den Kopf seines Pferdes herum und preschte nach Süden davon.

Jaina stand auf und war wie gelähmt. Er war ohne Uther losgezogen – ohne seine Männer… ohne sie. Uther trat leise neben sie. Sie schüttelte ihr blondes Haar.

»Er fühlt sich persönlich verantwortlich für all die Toten«, sagte sie ruhig zu dem alten Paladin. »Er glaubt, er hätte das alles aufhalten können.« Sie blickte Uther an. »Nicht einmal die Magier von Dalaran – diejenigen, die Kel’Thuzad als Erste gewarnt hatten – haben geahnt, was vor sich geht. Arthas hätte es gar nicht wissen können.«

»Er spürt zum ersten Mal die Last der Krone«, sagte Uther ruhig. »Das musste er nie zuvor. Das alles ist Teil davon, Milady – Teil des Lernprozesses, wie man weise und gut regiert. Ich habe erlebt, wie auch Terenas damit gekämpft hat, als er noch ein junger Mann war. Beide sind gute Männer, beide wollen das Richtige für ihr Volk tun, es versorgen und glücklich machen.« Mit gedankenverlorenem Blick sah er Arthas in der Ferne verschwinden. »Aber manchmal muss man sich für das kleinere Übel entscheiden. Manchmal kann man nicht alles wieder in Ordnung bringen. Arthas lernt das gerade.«

»Ich glaube, ich verstehe – trotzdem kann ich ihn nicht alleine losziehen lassen.«

»Nein, nein, wenn die Männer für den langen Marsch bereit sind, ziehen wir los. Ihr solltet Euch auch ausruhen.«

Jaina schüttelte den Kopf. »Nein. Er sollte nicht allein sein.«

»Lady Prachtmeer, auf ein Wort«, sagte Uther langsam. »Es wäre vielleicht gut, wenn er wieder einen klaren Kopf bekommen könnte. Folgt ihm, wenn Ihr müsst. Doch gebt ihm etwas Zeit zum Nachdenken.«

Er hatte recht. Sie mochte den Gedanken nicht, doch sie sah es genauso. Arthas war verstört. Er war wütend, fühlte sich machtlos und war nicht in der Stimmung, in der man mit ihm reden konnte. Und genau aus diesen Gründen konnte sie ihn nicht wirklich allein lassen.

»In Ordnung«, sagte sie. Sie saß auf, murmelte einen Zauber und sah, wie Uther lächelte, als er sie plötzlich nicht mehr sehen konnte. »Ich folge ihm. Kommt nach, sobald Eure Männer bereit sind.«

Sie würde ihm nicht zu dicht folgen. Sie war unsichtbar, aber nicht unhörbar. Jaina ließ ihr Pferd in einen leichten Galopp fallen, um dem schlauen, grüblerischen Prinzen von Lordaeron zu folgen.

Arthas trieb sein Pferd an. Er war wütend, dass es nicht schneller ging, wütend, dass es nicht Invincible war, wütend, dass er nicht rechtzeitig herausgefunden hatte, was vorgefallen war.

Es war beinahe überwältigend. Sein Vater hatte es mit den Orcs aufnehmen müssen – Kreaturen von einer anderen Welt, die in seine eigene einbrachen, brutal, gewalttätig und auf Eroberung aus.

Das alles erschien Arthas jetzt fast wie ein Kinderspiel. Wie hätten sein Vater und die Allianz sich gegen das hier geschlagen – eine Seuche, die die Menschen nicht nur tötete, sondern sie auf eine verderbte Art, an der sich nur ein kranker Geist erfreuen konnte, anschließend wiederbelebte und sie gegen ihre einstigen Freunde und Familienangehörigen schickte?

Hätte Terenas sich besser geschlagen? Zuerst glaubte Arthas, dass er es hätte – dass Terenas das Rätsel rechtzeitig gelöst hätte, um die Gefahr aufzuhalten und die Unschuldigen zu retten. Doch dann erkannte er, dass es niemand geschafft hätte. Terenas wäre ebenso hilflos gewesen wie er, angesichts dieses Schreckens.

Er war so tief in Gedanken versunken, dass er um ein Haar den Mann übersehen hätte, der auf der Straße stand. Mit einem festen Ruck an den Zügeln brachte er das Pferd gerade noch rechtzeitig zum Stehen.

Mit einer Mischung aus Ärger, Sorge und Wut zischte Arthas: »Du Narr! Was tust du denn da? Ich hätte dich fast niedergetrampelt!«

Der Mann war anders als jeder andere, den Arthas zuvor gesehen hatte. Und dennoch erschien er ihm vertraut. Groß, mit breiten Schultern und einem Umhang, der vollständig aus glänzenden schwarzen Federn gefertigt zu sein schien. Seine Gesichtszüge wurden von einer Kapuze verborgen, doch seine Augen leuchteten, als er Arthas ansah. Ein Bart, mit grauen Strähnen durchsetzt, enthüllte ein Lächeln.

»Ihr hättet mich nicht verletzt und ich brauchte Eure Aufmerksamkeit«, sagte er mit tiefer, sanfter Stimme. »Ich habe mit Eurem Vater gesprochen, junger Mann. Er wollte nicht auf mich hören. Jetzt komme ich zu Euch.« Er verneigte sich und Arthas runzelte die Stirn. Es wirkte auf ihn spöttisch. »Wir müssen reden.«

Arthas schnaubte. Jetzt wusste er, warum ihm dieser mysteriöse, effektvoll gekleidete Fremde so vertraut vorkam. Er war eine Art Mystiker – ein selbst ernannter Prophet, hatte Terenas gesagt –, der sich in einen Vogel verwandeln konnte. Er hatte die Frechheit besessen, mitten in Terenas’ Thronsaal etwas über den Weltuntergang zu faseln.

»Ich habe dafür keine Zeit«, knurrte Arthas und nahm die Zügel des Pferdes.

»Hört mir zu, Junge.« Diesmal war in der Stimme des Fremden kein spöttischer Unterton, stattdessen war sie scharf wie ein Peitschenhieb, und obwohl er es nicht wollte, hörte Arthas zu. »Dieses Land ist verloren! Der Schatten hat sich bereits gesenkt und nichts, was Ihr tut, kann daran etwas ändern. Wenn Ihr Euer Volk wirklich retten wollt, dann führt es über den Ozean… nach Westen.«

Arthas hätte beinahe aufgelacht. Sein Vater hatte recht gehabt – der Mann war wirklich verrückt. »Fliehen? Mein Platz ist hier und mein einziges Ziel ist es, mein Volk zu verteidigen! Ich werde es nicht dieser scheußlichen Existenz überlassen. Ich werde denjenigen, der dahintersteckt, finden und vernichten. Ihr seid ein Narr, wenn Ihr etwas anderes glaubt.«