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»Ein Narr bin ich? Ich vermute, das bin ich wirklich. Denn ich habe geglaubt, dass der Sohn schlauer wäre als der Vater.« Die leuchtenden Augen blickten beunruhigt. »Eure Wahl ist bereits getroffen. Ihr lasst Euch nicht von jemandem belehren, der weiter schauen kann als Ihr.«

»Ich habe nur Euer Wort, dass Ihr den größeren Weitblick habt. Ich weiß, was ich sehe, was ich gesehen habe. Mein Volk braucht mich hier!«

Der Prophet lächelte traurig. »Wir sehen nicht nur mit unseren Augen, Prinz Arthas. Auch mit unserer Weisheit und mit unseren Herzen. Ich verkünde Euch eine letzte Prophezeiung. Erinnert Euch daran. Je stärker Ihr Eure Feinde bekämpft, desto schneller liefert Ihr ihnen Euer Volk aus.«

Arthas lag eine erboste Antwort auf der Zunge, doch in dieser Sekunde wandelte sich die Gestalt des Fremden. Der Umhang schien sich wie eine zweite Haut um ihn zu schließen. Flügel, schwarz und glänzend, wuchsen aus seinem Körper, als er auf die Größe eines normalen Raben schrumpfte. Mit einem letzten rauen Krächzen, das Arthas frustriert vorkam, hob der Vogel, der ein Mann gewesen war, ab, zog einen Kreis und flog dann fort. Arthas blickte ihm besorgt nach. Der Mann hatte so… sicher gewirkt…

»Es tut mir leid, weil ich mich getarnt habe, Arthas.« Jainas Stimme erklang wie aus dem Nichts. Erschreckt fuhr Arthas herum und versuchte sie zu entdecken. Sie materialisierte direkt vor ihm und wirkte zerknirscht. »Ich wollte nur…«

»Sag es nicht!«

Er bemerkte, dass sie überrascht war, sah, wie sich ihre blauen Augen weiteten, und bereute sofort, dass er sie angefahren hatte. Aber sie hätte sich nicht derart an ihn heranschleichen sollen, ihn derart ausspionieren dürfen.

»Er ist auch zu Antonidas gekommen«, sagte sie nach einem Moment und führte trotz der Maßregelung hartnäckig den Satz fort, den sie hatte sagen wollen. »Ich… ich spüre eine unglaubliche Kraft in ihm, Arthas.« Sie ritt näher an ihn heran und blickte zu ihm auf. »Diese Seuche der Untoten – so etwas hat es in der Geschichte dieser Welt noch nicht gegeben. Es ist nicht nur eine weitere Schlacht oder ein weiterer Krieg, es ist etwas viel Größeres und Finsteres. Und vielleicht kannst du diesen Kampf nicht mit der gleichen Taktik gewinnen. Vielleicht hat er recht. Vielleicht erkennt er Dinge, die wir nicht sehen können – vielleicht weiß er ja, was geschehen wird.«

Die Zähne zusammengebissen, wandte er sich von ihr ab. »Vielleicht. Oder er ist ein Verbündeter von Mal’Ganis. Oder vielleicht ist er nur ein verrückter Eremit. Nichts von dem, was er sagt, wird mich dazu verleiten, meine Heimat zu verlassen, Jaina. Mir ist es egal, ob dieser Verrückte die Zukunft gesehen hat. Brechen wir auf.«

Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinanderher. Dann sagte Jaina ruhig: »Uther wird uns folgen. Er braucht nur etwas Zeit, um die Männer einzuweisen.«

Arthas starrte nach vorne und war immer noch wütend.

Jaina versuchte es erneut. »Arthas, du solltest nicht…«

»Mir reicht, dass mir jeder sagen will, was ich tun und lassen soll!« Die Worte platzten aus ihm heraus und erschreckten ihn so sehr wie Jaina. »Was hier geschieht, ist schrecklich, Jaina. Ich kann nicht mal Worte finden, um es zu beschreiben. Und ich tue alles, was mir möglich ist. Wenn du meine Entscheidungen nicht unterstützt, dann gehörst du vielleicht nicht hierher.« Er sah sie an, sein Gesichtsausdruck wurde sanfter. »Du wirkst so müde, Jaina. Vielleicht… vielleicht solltest du zurückgehen.«

Sie schüttelte den Kopf, blickte nach vorn und wich seinem Blick aus. »Du brauchst mich hier. Ich kann dir helfen.«

Seine Wut schwand und er griff nach ihrer Hand, schloss seine in Metall gefassten Finger sanft um ihre. »Ich hätte nicht so mit dir reden sollen, es tut mir leid. Ich bin froh, dass du hier bist. Ich bin immer froh über deine Gesellschaft.« Er beugte sich zu ihr und küsste ihre Hand.

Ihre Wangen röteten sich, als sie ihn anlächelte. Die Furche auf ihrer Stirn verschwand. »Lieber Arthas«, sagte sie weich.

Er drückte ihre Hand und ließ sie los.

Sie ritten den Rest des Tages in einem scharfen Tempo, redeten nicht viel, und erst, als die Sonne unterging, hielten sie an, um das Lager aufzuschlagen. Beide waren zu müde, um Wild zu jagen, deshalb begnügten sie sich mit Trockenfleisch, Äpfeln und Brot. Arthas starrte den Laib in seiner Hand an. Er stammte aus den Öfen des Palastes, gebacken mit Korn aus der Umgebung, das nicht aus Andorhal stammte. Es war völlig in Ordnung, nahrhaft und köstlich, schmeckte nach Hefe und nicht widerlich süßlich. Einfache, grundlegende Nahrung, etwas, das jeder, wirklich jeder, ohne Angst essen können sollte.

Seine Kehle verkrampfte sich plötzlich und er legte das Brot hin, unfähig, auch nur einen Bissen zu nehmen. Er stützte den Kopf in die Hand. Einen Augenblick lang fühlte er sich überwältigt, als würde eine Flutwelle der Verzweiflung und Hilflosigkeit über ihn hinwegspülen. Dann war Jaina da, kniete neben ihm, legte ihren Kopf an seine Schulter, während er darum kämpfte, sich zusammenzureißen.

Sie sagte nichts, das musste sie nicht, ihre einfache, tröstende Gegenwart war alles, was er brauchte. Mit einem tiefen Seufzen wandte er sich ihr zu und nahm sie in den Arm.

Sie reagierte, küsste ihn innig und brauchte etwas Trost und Sicherheit offensichtlich genauso wie er. Arthas Hände glitten durch ihr seidiges goldenes Haar und er atmete ihren Duft ein. Und für ein paar kurze Stunden erlaubten sie sich, sich ineinander zu verlieren. Sie schoben die Gedanken an den Tod, den Schrecken, das verseuchte Korn, Propheten und Entscheidungen weit von sich. Ihre Welt wurde klein und zart und bestand nur aus ihnen beiden.

12

Noch halb im Schlaf verstrickt, erwachte Jaina und streckte die Hand nach Arthas aus. Er war nicht da. Blinzelnd setzte sie sich auf.

Er war bereits wach und angezogen und kochte ihr Brei aus irgendeinem Getreide. Er schmunzelte, als er ihre Blicke bemerkte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Jaina lächelte zögernd, nahm ihr Kleid, zog es an und kämmte sich mit den Fingern durchs Haar.

»Ich habe etwas erfahren«, sagte Arthas ohne Einleitung. »Gestern Abend – ich wollte es nicht erwähnen. Doch du musst es wissen.« Seine Stimme klang gepresst und Jaina spürte, wie ihr der Mut sank. Wenigstens schrie er nicht mehr.

Er füllte eine Schüssel mit dampfendem Brei und gab sie ihr. Sie löffelte mechanisch, als er fortfuhr.

»Diese Seuche – die Untoten…« Er atmete tief ein. »Wir wussten, dass das Korn verseucht war. Wir wussten, dass es Menschen tötete. Doch es ist schlimmer als das, Jaina. Es tötet sie nicht einfach nur.«

Die Worte schienen in seiner Kehle stecken zu bleiben. Es dauerte einen Moment, bis Jaina verstand. Sie hatte das Gefühl, der Brei in ihrem Magen, den sie gerade erst gegessen hatte, wollte wieder hochkommen. Und sie schien auch nur sehr schwer atmen zu können.

»Es… verwandelt sie irgendwie. Es macht aus ihnen Untote… oder nicht?« Bitte sag, dass ich Unrecht habe, Arthas.

Er tat es nicht. Stattdessen nickte er. »Deshalb waren so schnell so viele von ihnen vor Ort. Das Korn war erst kurze Zeit zuvor in Herdweiler eingetroffen – es war gerade genug Zeit vergangen, um das Getreide zu verarbeiten und Brot daraus zu backen.«

Jaina starrte ihn an. Die Folgen davon… sie mochte sie sich gar nicht ausmalen.

»Deshalb bin ich gestern so schnell aufgebrochen. Ich wusste, dass ich es nicht allein mit Mal’Ganis aufnehmen kann. Aber Jaina, ich konnte nicht einfach herumsitzen und… die Rüstung reparieren und mich ausruhen, verstehst du?«

Sie nickte stumm. Jetzt verstand sie.

»Und dieser Prophet – mir ist es egal, für wie mächtig du ihn hältst. Ich kann nicht einfach verschwinden und zusehen, wie sich ganz Lordaeron in dieses… dieses…« Er kam ins Stocken, fasste sich aber wieder. »Wer auch immer Mal’Ganis ist, was auch immer er sein mag, er muss aufgehalten werden. Wir müssen jede Kiste dieses verseuchten Korns finden und vernichten.«