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Sie hatte sich in seine Arme werfen, ihn bei sich behalten wollen. Er durfte nicht nach Nordend gehen. Es würde seinen Tod bedeuten. Und obwohl er anderen so viel angetan hatte, glaubte Jaina, dass er ein solches Ende nicht verdient hätte.

»So viel Tod«, murmelte sie. »Ich kann nicht glauben, dass Arthas das getan hat.« Doch sie wusste, dass es so war. Eine ganze Stadt…

»Jaina? Jaina Prachtmeer!«

Jaina wurde von der vertrauten Stimme aus ihrer Trauer gerissen. Es war Uther. Ein merkwürdiges Gefühl der Erleichterung erwachte in ihr, als sie sich ihm zuwandte, um ihn zu begrüßen.

Uther hatte sie immer ein wenig eingeschüchtert, er war so groß und mächtig und… nun, so tief mit dem Licht verbunden. Ein unpassendes Schuldgefühl überkam sie. Als sie und Arthas noch jünger gewesen waren, hatten sie sich über Uthers Frömmigkeit hinter seinem Rücken lustig gemacht. Hatten seine Hingabe als aufgeblasen und scheinheilig empfunden. Er war ein leichtes Opfer gewesen. Doch vor drei qualvollen Tagen hatten sie und Uther sich gemeinsam gegen Arthas gestellt.

»Du hast geschworen, dass du mich nie zurückweisen würdest, Jaina «, hatte Arthas ihr vorgeworfen. Seine Stimme war so scharf wie ein eisiges Messer gewesen. »Doch als ich deine Unterstützung am meisten brauchte, dein Verständnis, hast du dich gegen mich gestellt.«

»Ich… Arthas, wir wussten nicht genug, um…«

» Und jetzt weigerst du dich, mir zu helfen. Ich gehe nach Nordend, Jaina. Ich möchte dich dabeihaben. Um mir zu helfen, dieses Böse aufzuhalten. Kommst du mit?«

Jaina zuckte zusammen. Uther bemerkte es, sagte aber nichts. Er trug eine Plattenrüstung und trotz der überwältigenden Hitze der unnatürlich brennenden Feuer kam er eilig auf sie zu. Er bot nun ein Bild der Stärke und Standhaftigkeit und schüchterte sie nicht mehr ein. Er umarmte sie nicht, berührte ihren Arm aber auf beruhigende Weise.

»Ich hatte mir gedacht, dass ich Euch hier finde. Wo ist er hin, Mädchen? Wohin hat Arthas die Flotte gebracht?«

Jainas Augen weiteten sich. »Die Flotte?«

Uther grunzte zustimmend. »Er ist mit der gesamten Flotte von Lordaeron losgefahren. Hat seinem Vater nur eine knappe Nachricht geschickt. Wir wissen nicht, warum sie ihm ohne direkten Befehl ihres Kommandeurs gehorcht haben.«

Jaina warf ihm ein kleines, trauriges Lächeln zu. »Weil er ihr Prinz ist. Er ist Arthas. Sie lieben ihn. Sie wussten nichts… hierüber.«

Schmerz breitete sich über Uthers raue Gesichtszüge und er nickte. »Aye«, sagte er leise. »Er ist immer gut zu den Männern gewesen, die ihm gedient haben. Sie wissen, dass er sich wirklich um sie sorgt, und sie dienen ihm mit ihrem Leben.«

Bedauern lag in diesen Worten. Sie waren wahr und einst hatte Arthas diese ungebrochene Hingabe auch verdient.

» Und jetzt weigerst du dich, mir zu helfen…«

Uther schüttelte sie sanft und rief sie zurück in die Gegenwart. »Wisst Ihr, wohin er sie geführt haben mag, mein Kind?«

Jaina atmete tief ein. »Er ist zu mir gekommen, bevor er aufgebrochen ist. Ich bat ihn, nicht zu gehen. Ich sagte ihm, dass es eine Falle ist…«

»Wohin?«, fragte Uther unnachgiebig.

»Nordend. Er ist nach Nordend aufgebrochen, um Mal’Ganis zu jagen – den Dämonenlord. Der verantwortlich für die Seuche ist. Er konnte ihn hier nicht besiegen.«

»Ein Dämonenlord? Verdammt, dieser Junge!« Der Ausbruch erschreckte Jaina. »Ich muss Terenas informieren.«

»Ich habe versucht, ihn aufzuhalten«, wiederholte Jaina. »Dann… und als er…« Sie gestikulierte hilflos angesichts der unvorstellbaren Zahl von Toten, die ihnen stumm Gesellschaft leisteten. Sie fragte sich zum tausendsten Mal, ob sie es hätte verhindern können – wenn sie nur die rechten Worte gefunden hätte, Arthas auf die richtige Art berührt hätte. »Doch ich habe versagt.«

Ich habe dir gegenüber versagt, Arthas. Ich habe diesen Menschen gegenüber versagt – ich habe mir selbst gegenüber versagt.

Uthers schwere, gepanzerte Hand lag auf ihrer schmalen Schulter. »Seid nicht zu hart zu Euch selbst, Mädchen.«

Sie lachte humorlos. »Ist das so offensichtlich?«

»Jeder mit einem Herz hätte sich dasselbe gefragt. Mir ist es genauso gegangen.« Sie sah zu ihm auf, erschreckt von dem Eingeständnis.

»Ist es das?«, fragte Jaina.

Er nickte, seine Augen waren blutunterlaufen vor Erschöpfung und es lag so viel Schmerz darin, der sie bis tief ins Innerste erschütterte. »Ich konnte nicht gegen ihn kämpfen. Er ist immer noch mein Prinz. Doch ich frage mich… hätte ich mich ihm in den Weg stellen müssen? Irgendetwas sagen, irgendetwas tun?« Uther seufzte und schüttelte den Kopf. »Vielleicht. Vielleicht nicht. Doch dieser Moment liegt in der Vergangenheit und ich kann es nicht mehr ändern. Ihr und ich müssen jetzt in die Zukunft blicken. Jaina Prachtmeer, Ihr hattet nichts mit diesem… Abschlachten zu tun. Danke dafür, dass Ihr mir verraten habt, wo er hingezogen ist.«

Sie senkte den Kopf. »Ich fühle mich, als hätte ich ihn wieder verraten.«

»Jaina, Ihr habt ihn vielleicht gerettet – und all die Männer, die mit ihm gehen und gar nicht wissen, was aus ihm geworden ist.«

Erschreckt durch die Wahl der Worte blickte sie ihn scharf an. »Was aus ihm geworden ist? Er ist immer noch Arthas, Uther!«

Uther blickte gehetzt. »Aye, das ist er. Doch er hat eine schreckliche Entscheidung getroffen. Eine mit Auswirkungen, die wir jetzt noch nicht absehen können. Ich weiß nicht, wie er von diesem Weg wieder zurückkehren will.« Uther wandte sich ab und betrachtete die Toten. »Wir wissen, dass man die Toten erwecken kann. Dass Dämonen wirklich existieren. Jetzt frage ich mich, ob es auch Geister gibt. Wenn das so ist, steckt unser Prinz bis zum Hals in dieser Sache drin.« Er verneigte sich vor ihr. »Kommt weg von hier, Milady.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Ich bin noch nicht bereit.«

Er suchte ihren Blick, dann nickte er. »Wie Ihr wünscht. Das Licht sei mit Euch, Lady Jaina Prachtmeer.«

»Und mit Euch, Uther Lichtbringer.« Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. Arthas würde es ohne Zweifel als einen weiteren Verrat betrachten, doch vielleicht rettete sie sein Leben. Damit konnte sie leben.

Der Geruch wurde allmählich schlimmer, als selbst ihr sturer Wille ertragen konnte. Sie blickte sich ein letztes Mal um. Ein Teil von ihr fragte sich, warum sie hierhergekommen war, der andere Teil wusste es. Sie war hier, damit sich diese Bilder in ihr Gedächtnis einbrannten und um zu verstehen, was geschehen war. Sie durfte es niemals vergessen. Sie wusste nicht, ob Arthas noch aufgehalten werden konnte. Doch was geschehen war, durfte niemals nur zu einer Fußnote im Geschichtsbuch verkommen.

Ein Rabe landete neben ihr. Sie wollte weitereilen und ihn fortscheuchen, um die armen, erschlagenen Leichen zu schützen, doch der Vogel tat nur das, was die Natur für ihn vorgesehen hatte. Er hatte kein Gewissen, das ihm sagte, dass die Menschen sein Tun als Beleidigung empfanden. Sie blickte den Raben einen Moment lang an und dann weiteten sich ihre Augen.

Er begann sich zu verändern, zu wachsen, und binnen einer Sekunde stand dort, wo eben noch ein Aasfresser gesessen hatte, ein Mann. Sie keuchte, als sie ihn erkannte – es war der Prophet, den sie schon zweimal gesehen hatte.

»Ihr!«

Er neigte den Kopf und schenkte ihr ein merkwürdiges Lächeln, das ihr ohne Worte verriet: Ich erkenne dich auch. Es war das dritte Mal, dass sie ihn sah – das erste Mal war gewesen, als er mit Antonidas gesprochen hatte, und dann wieder mit Arthas. Sie war bei beiden Gelegenheiten unsichtbar gewesen – doch offensichtlich hatte ihr Zauber ihn nicht einen Moment lang irritiert, beide Male nicht.

»Die Toten in diesem Land mögen noch bis ans Ende der Zeit herumliegen, aber lasst Euch nicht narren. Euer Prinz wird im kalten Norden den Tod finden.«