Die Lösung hatte auf der Hand gelegen: Die Männer konnten nicht die Schiffe nach Hause nehmen – konnten ihn nicht verlassen –, wenn es keine Schiffe gab. Und deshalb hatte Arthas sie alle in Brand gesetzt.
Er hatte sich durch die Wälder geschlagen, zunächst Söldner angeheuert, die ihm im Kampf gegen die Untoten geholfen hatten, um dann die hölzernen Schiffe reichlich mit Öl zu übergießen und zu entzünden. In diesem Land der permanenten Kälte und des schwachen Lichts war die Hitze, die von den feurigen Schiffen kam, auf bestürzende Weise willkommen gewesen. Arthas hob die Hand, um seine Augen vor der Helligkeit zu schützen.
Neben ihm seufzte Muradin und schüttelte den Kopf. Er und die anderen Zwerge murrten unter ihren Bärten. Sie waren sich immer noch nicht sicher, ob das der richtige Weg war. Arthas verschränkte die Arme, sein Rücken war eiskalt, sein Gesicht dagegen war beinahe von der Hitze angesengt. Feierlich betrachtete er die brennenden Überreste der Schiffe, die laut knackend auseinanderbrachen.
»Verdammt sei Uther, weil er mich dazu gezwungen hat«, murmelte er.
Er würde es den Paladinen beweisen – den ehemaligen Paladinen. Er würde es Uther, Jaina und seinem Vater beweisen. Er hatte seine Pflichten nicht verletzt, egal, wie schrecklich und brutal sein Vorgehen auch gewesen war. Er würde triumphierend zurückkehren, nachdem er getan hatte, was getan werden musste – Dinge, vor denen die Weichherzigen zurückgeschreckt waren. Seinetwegen, wegen seines unbeugsamen Willens, die Last der Verantwortung zu schultern, würde sein Volk überleben.
Die Flammen, die an dem öldurchtränkten Holz leckten, knisterten so laut, dass man einen Moment lang die verzweifelten Schreie der Männer nicht hören konnte.
»Prinz Arthas! Unsere Schiffe!«
»Was ist geschehen? Wie kommen wir jetzt nach Hause?«
Die Idee war bereits seit mehreren Stunden in seinem Hinterkopf gereift. Arthas wusste, wie entgeistert seine Männer sein würden, wenn sie feststellten, dass sie hier gestrandet waren. Sie waren bereit gewesen, ihm zu folgen. Doch Muradin hatte recht. Sie hätten die Befehle seines Vaters auf jeden Fall als vorrangiger erachtet. Und Mal’Ganis hätte gewonnen. Nein, sie würden nicht verstehen, wie wichtig es war, diese Bedrohung hier aufzuhalten, sofort… Sein Blick fiel auf die Söldner, die er angeheuert hatte. Niemand würde sie vermissen.
Sie konnten gekauft und verkauft werden. Wenn jemand sie bezahlt hätte, um ihn zu töten, hätten sie das genauso bereitwillig getan, wie ihm zu helfen. So viele waren gestorben – gute Menschen, noble Menschen, Unschuldige. Ihre sinnlosen Tode schrien danach, gerächt zu werden. Und wenn Arthas’ Männer nicht mit ganzem Herzen bei ihm waren, würde es keinen Sieg geben.
Arthas konnte nicht länger warten. »Schnell, meine Krieger!«, rief er und hob den Hammer. Er war nicht vom Licht durchdrungen, doch das erwartete Arthas auch immer weniger. Er wies auf die Söldner, die erst jetzt die kleinen Boote voller Vorräte bargen, die von den brennenden Schiffen weg an Land getrieben waren. »Diese mörderischen Kreaturen haben unsere Schiffe verbrannt und euch den Weg nach Hause verwehrt! Tötet sie im Namen Lordaerons!« Und er zog mit ihnen in den Kampf.
15
Arthas erkannte den Klang von Muradins kurzen, schweren Schritten, noch bevor der Zwerg die Zeltplane zurückschlug. Sie schauten sich kurz an, dann wies Muradin nach draußen und ließ die Plane los. Einen Moment lang fühlte sich Arthas zurückversetzt in die Zeit, als er ein Kind gewesen war und versehentlich ein Übungsschwert durch den Raum geflogen war. Er runzelte die Stirn und erhob sich, folgte Muradin ein ganzes Stück weit fort von den Männern.
Der Zwerg nahm kein Blatt vor den Mund. »Ihr habt Eure Männer belogen und die Söldner verraten, die für Euch kämpften!«, zischte er und schob sein Gesicht an Arthas heran, so gut er das von seiner geringeren Höhe aus konnte. »Das ist nicht der Junge, den ich ausgebildet habe. Das ist nicht der Mann, der in den Orden der Silbernen Hand aufgenommen worden ist. Das ist nicht König Terenas’ Junge.«
»Ich bin niemandes Junge«, fauchte Arthas seinerseits und drängte Muradin von sich weg. »Ich tat, was mir notwendig erschien.«
Er erwartete halb, dass Muradin ihn schlug, doch stattdessen schien die Wut seinen alten Lehrer zu verlassen. »Was ist mit Euch geschehen, Arthas?«, fragte Muradin leise und seine Worte waren voller Schmerz und Verwirrung. »Ist Euch die Rache wirklich so wichtig?«
»Erspart mir das, Muradin«, knurrte Arthas. »Ihr wart nicht dabei und habt nicht gesehen, was Mal’Ganis meiner Heimat antat. Was er unschuldigen Männern antat, Frauen und Kindern!«
»Ich habe gehört, was Ihr getan habt«, sagte Muradin ruhig. »Einige Eurer Männer waren ein wenig übereifrig mit ihren Zungen, als das Bier sie löste. Ich weiß, was ich denke – doch ich weiß auch, wie ich Euch einzuschätzen habe. Ihr habt recht, ich war nicht dabei. Dem Licht sei Dank musste ich diese Entscheidung nicht fällen. Doch auch so… etwas geschieht. Ihr…«
Mörserfeuer und Alarmrufe unterbrachen ihn. Binnen eines Herzschlags schnappten sich Muradin und Arthas ihre Waffen und liefen zum Lager zurück, wo man gerade zur Gegenwehr ansetzte. Falric rief seinen Männern Befehle zu, während Baelgun die Zwerge organisierte. Der Schlachtenlärm kam von außerhalb des Lagers und Arthas konnte sehen, wie die Untoten vordrangen. Seine Hände umschlossen den Hammer. Dieser Angriff war koordiniert. Das war kein Zufallsgefecht.
»Der dunkle Lord sagte, dass du kommen würdest«, erklang eine Stimme, die Arthas nun vertraut war. Freude erfüllte ihn. Mal’Ganis war hier! Die Anstrengung war also nicht vergeblich gewesen. »Hier endet deine Reise, Junge. In der Falle und frierend am Ende der Welt und nur der Tod singt das Lied deines Untergangs.«
Muradin kratzte sich den Bart, seine scharfen Augen schauten sich um. Außerhalb der Lagerbegrenzung erklangen Kampfgeräusche. »Das sieht schlimm aus«, meinte er mit der für Zwerge typischen Untertreibung. »Wir sind komplett umzingelt.«
Arthas blickte ihn gequält an. »Wir hätten es schaffen können«, flüsterte er. »Mit Frostgram… hätten wir es schaffen können.«
Muradin sah zur Seite. »Daran… nun, Junge, daran hatte ich meine Zweifel. An dem Schwert. Und um ehrlich zu sein, auch an Euch.«
Es dauerte eine Sekunde, bis Arthas verstand, was Muradin gesagt hatte. »Ihr… ihr wusstet die ganze Zeit, wo man es finden kann?«
Auf Muradins Nicken hin zog er ihn am Arm. »Welche Zweifel Ihr auch hegen mögt, Muradin, Ihr könnt sie unmöglich jetzt noch haben. Nicht jetzt, da Mal’Ganis hier ist. Helft mir, Frostgram zu finden! Ihr habt es doch selbst gesagt – Ihr glaubt nicht, dass Mal’Ganis mehr Truppen hat als wir. Ohne Frostgram werden wir untergehen, Ihr wisst, dass es so ist.«
Muradin warf ihm einen gequälten Blick zu, dann schloss er die Augen. »Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei, Junge. Das ist der Grund, warum ich vorher nicht weitermachte – es hat damit zu tun, wie die Information über dieses Artefakt in unsere Hände gelangt ist – es fühlt sich nicht richtig an. Doch ich verspreche Euch, wir werden uns darum kümmern. Ihr sammelt ein paar Männer und ich finde diese Runenklinge.«
Arthas klopfte seinem alten Freund auf die Schulter. Das war es.
Ich werde diese verdammte Runenklinge finden und ich stoße sie durch dein schwarzes Herz, Schreckenslord. Ich werde dich für alles büßen lassen.
»Schließt die Lücke da drüben!«, rief Falric. »Davan, Feuer!« Der Knall des Mörserfeuers donnerte durch das Lager, als Arthas zu seinem Stellvertreter lief.
»Hauptmann Falric!«
Falric wandte sich zu ihm um. »Sire… wir sind umzingelt. Wir können noch eine Weile aushalten, doch dann werden sie uns niedermachen. Wir verlieren Kämpfer, sie gewinnen welche.«
»Ich weiß, Hauptmann. Muradin und ich werden Frostgram suchen.«
Falrics Augen weiteten sich vor Schrecken und Hoffnung. Arthas hatte einigen seiner vertrauenswürdigsten Männer von dem Schwert – und der vermutlich darin wohnenden Kraft – berichtet. »Wenn wir es haben, ist uns der Sieg sicher. Könnt Ihr uns etwas Zeit verschaffen?«