Und dann, mit einem tiefen Ächzen, das ihm den Atem nahm, bildete sich plötzlich ein Riss über die glatte Oberfläche des Eises. Er verlief im Zickzack nach oben und wurde größer, bis Arthas kaum noch das Schwert erkennen konnte, das in seinem Kern ruhte. Dann taumelte er zurück, hielt sich gegen das laute Knacken, das die Kammer erfüllte, die Ohren zu.
Der eisige Sarg, der das Schwert umgab, zerplatzte. Eisstücke flogen durch die Kammer, fast selber schon scharf wie Schwerter. Sie prallten gegen den unnachgiebigen Boden und die Wände, und als Arthas auf die Knie fiel, bedeckten seine Arme automatisch den Kopf. Plötzlich hörte er einen erstickten Schrei.
»Muradin!«
Der Aufprall des Eissplitters hatte den Zwerg mehrere Meter zurückgeworfen. Jetzt lag er ausgestreckt auf dem kalten Steinboden, ein Eisspeer steckte in ihm, das Blut floss träge um ihn herum. Seine Augen waren geschlossen und sein Körper war schlaff.
Arthas kam auf die Beine und hastete zu seinem alten Freund und Lehrmeister und zog die Handschuhe aus. Er legte seinen Arm um den leblosen Körper, eine Hand auf die Verletzung. Er sah sich die Wunde an. Wollte, dass das Licht kam und durch seine Hände die heilende Energie schickte.
Schuld durchfuhr ihn.
Das war also der schreckliche Preis. Nicht sein eigenes Leben, sondern das seines Freundes. Jemand, der sich um ihn gesorgt, ihn ausgebildet, ihn unterstützt hatte. Er neigte den Kopf, Tränen stiegen in seine Augen, und er betete.
Es war mein Fehler. Mein Preis. Bitte…
Und dann, wie die vertraute Liebkosung einer geliebten Freundin, spürte er es. Das Licht erfüllte ihn, tröstete und wärmte ihn, und er unterdrückte ein Schluchzen, als er das Leuchten sah, das seine Hand wieder umspielte. Er war so tief gefallen, doch es war noch nicht zu spät. Das Licht hatte ihn noch nicht verlassen. Er musste es nur aufnehmen, ihm sein Herz öffnen. Muradin würde nicht sterben. Er konnte ihn heilen und zusammen würden sie…
Etwas rüttelte an ihm. Nein, nein, es war eher… in seinem Hinterkopf. Er blickte auf…
Und schaute verwundert.
Es hatte sich selbst befreit, seine weißblauen Runen umgaben es mit kaltem, herrlichem Licht. Arthas’ eigenes Licht schwand von seinen Händen, als er sich wie unter Hypnose erhob. Frostgram erwartete ihn, eine Geliebte, die seiner Berührung harrte, um zu voller Herrlichkeit zu erwachen.
Das Flüstern in seinem Hinterkopf setzte sich fort. Das war der Weg. Es war närrisch, dem Licht zu trauen. Es hatte ihn verraten, mehrfach. Es war nicht da gewesen, um Invincible zu retten, hatte nicht ausgereicht, um den erbarmungslosen Vormarsch der Seuche aufzuhalten, die die Bevölkerung seines Königreichs auslöschte. Die Macht, die Stärke von Frostgram… war das Einzige, was gegen den Schreckenslord bestehen konnte.
Muradin war ein Opfer dieses schrecklichen Krieges. Doch hoffentlich war sein Opfer das letzte. Arthas erhob sich und machte unsichere Schritte auf die leuchtende Waffe zu. Seine Hand, immer noch benetzt vom Blut seines Freundes, war ausgestreckt und zitterte. Sie schloss sich um den Schaft, seine Finger legten sich darum.
Sie passten perfekt zueinander, als wären sie füreinander geschaffen worden.
Kälte durchfuhr ihn, lief seine Arme hinauf, verteilte sich über seinen Körper und drang in sein Herz. Es tat einen Augenblick lang weh und er erschreckte sich ein wenig. Doch dann war plötzlich alles in Ordnung. Es war alles richtig, Frostgram gehörte ihm und er gehörte Frostgram. Dessen Stimme sprach zu ihm, liebkoste seinen Geist, als wäre sie immer schon dort gewesen.
Mit einem Freudenschrei hob er die Waffe. Er sah sie verwundert und mit wildem Stolz an. Er würde es richtig machen – er, Arthas Menethil, mithilfe von Frostgram, das jetzt ein ebensolcher Teil von ihm war wie sein Geist, sein Herz oder sein Atem.
Und er lauschte den Geheimnissen, die das Schwert ihm offenbarte.
16
Arthas und seine Männer eilten zurück zum Lager und stellten fest, dass die Schlacht dort immer noch tobte. Die Zahl der Männer war kleiner geworden, doch es gab keine Leichen. Er hatte auch nicht erwartet, welche vorzufinden – wer fiel, stand unter dem Kommando des Schreckenslords als Gegner wieder auf.
Falric, dessen Rüstung mit Blut verschmiert war, rief ihm zu: »Prinz Arthas! Wir haben getan, was wir konnten! – Wo ist Muradin? Wir können nicht länger standhalten!«
»Muradin ist tot«, sagte Arthas. Das kalte, aber tröstende Wesen des Schwertes schien ein wenig schwächer zu werden und der Schmerz in seinem Herzen wurde immer stärker. Muradin hatte den Preis gezahlt – doch er war es wert gewesen, wenn Mal’Ganis dadurch fiel. Der Zwerg hätte dem zugestimmt, hätte er so wie Arthas alles gewusst, alles verstanden.
Muradins Männer wirkten geschlagen, obwohl sie weiterhin Salve auf Salve in die Reihen der Untoten feuerten, die unverändert gegen sie anstürmten. »Sein Tod war nicht umsonst. Tröstet Euch, Hauptmann. Der Feind wird sich nicht lange der Stärke von Frostgram entgegenstellen können!«
Als sie ihn voller Unglauben anstarrten, stürzte sich Arthas ins Getümmel.
Er hatte bislang geglaubt, dass er mit dem gesegneten Hammer, der nun abgelegt und vergessen in der eisigen Gruft lag, wo Frostgram einst gefangen gewesen war, gut gekämpft hatte.
Doch das war nichts, verglichen mit dem Schaden, den er jetzt anrichtete.
Frostgram war mehr eine Erweiterung von ihm selbst als eine Waffe. Schnell fand er den Rhythmus und begann die Untoten niederzumähen, als wären sie Weizengarben, die unter einer Sense fielen. Gut ausgewogen lag die Waffe perfekt in seinen Händen.
Er trennte den Kopf von den Schultern eines Ghouls. Dann riss er Frostgram herum und zerschmetterte die Knochen eines Skeletts. Ein weiterer rhythmischer Schlag schickte den dritten Feind zu Boden. Die Gegner fielen in schnellem Takt und es sammelten sich immer mehr verfaulende Leichname um ihn herum an.
Als er nach dem nächsten Feind suchte, erblickte er Falric, der zu ihm herüberschaute. Ehrfurcht lag auf dem vertrauten Gesicht, doch auch Schock und… Erschrecken? Arthas gab sich dem Gemetzel hin und Frostgram sang dabei in seinen Händen.
Der Wind blies fester, der Schnee fiel dichter. Frostgram schien es nichts auszumachen, denn trotz des stärker werdenden Schneefalls wurde Arthas offenbar nicht im Geringsten behindert. Wieder und wieder fand die Klinge ihr Ziel und immer mehr Untote fielen.
Schließlich waren alle besiegt und es wurde Zeit, sich um ihren Meister zu kümmern.
»Mal’Ganis, du Feigling!«, rief Arthas. Selbst in seinen eigenen Ohren klang seine Stimme verändert, wie sie da über den heulenden Wind davongetragen wurde. »Los doch, zeige dich! Du wolltest, dass ich hierherkomme, jetzt stelle dich mir auch!«
Und dann kam der Dämonenlord. Er wirkte größer, als Arthas ihn in Erinnerung hatte, und lächelte auf den Prinzen herab. Dann richtete er sich zu seiner vollen beeindruckenden Größe auf. Seine Flügel schlugen, sein Schwanz zuckte. Die untoten Krieger unter seinem Kommando erstarrten auf ein beiläufiges Schnippen seiner Finger hin.
Dieses Mal war Arthas auf den schrecklichen Anblick des Schreckenslords vorbereitet. Er erschütterte ihn nicht mehr. Arthas sah seinen Feind an, hob wortlos Frostgram, und die Runen, die sich auf der Klinge befanden, leuchteten. Mal’Ganis erkannte die Waffe und runzelte die Stirn.
»So, du hast dir also Frostgram auf Kosten deines Kameraden genommen, so wie der Dunkle Lord es voraussagte. Du bist stärker, als ich dachte.«
Arthas hörte die Worte, doch er lauschte jemand ganz anderem, der sanft in seinem Hirn flüsterte. Dann lächelte er wild.
»Du verschwendest deinen Atem, Mal’Ganis. Ich höre jetzt nur noch auf Frostgram.«
Der Schreckenslord warf den gehörnten Schädel zurück und lachte. »Du hörst die Stimme des Dunklen Lords«, gab Mal’Ganis zurück. Er wies mit seinen scharfen schwarzen Krallen auf die mächtige Runenklinge. »Er spricht mit dir durch sie.«