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Von den Opfern der Seuche, den Monstrositäten, die aus vielen Leichenteilen zusammengenäht worden waren, und den Geistern der Gefallenen hatte Arthas erwartet, dass sie sich ihm anschließen würden. Dann aber kam noch ein Verbündeter zu ihm, den er nicht auf der Rechnung hatte. Einer, der ihn zuerst erschreckte, ja entsetzte, schließlich aber doch froh machte.

Seine Armee hatte den halben Weg nach Quel’Thalas zurückgelegt, als er sie zum ersten Mal erblickte. Weit in der Ferne erschien es zuerst, als würde die Erde selbst sich bewegen. Nein, das stimmte nicht. Es handelte sich um irgendeine Tierart. Waren es Rinder oder Schafe, die aus ihren Gattern entkommen waren, nachdem ihre Besitzer sich in lebende Tote verwandelt hatten? Oder waren es Bären oder Wölfe, die nach Nahrung suchten und die Leichen fraßen? Schließlich rang Arthas um Fassung und umklammerte Frostgram fester, die Augen vor Unglauben geweitet.

Sie bewegten sich nicht wie Vierbeiner. Sie krabbelten, trippelten, wuselten über die Hügel und das Gras wie…

»Spinnen«, murmelte er.

Jetzt strömten sie schwarz und gefährlich auf ihren zahllosen Beinen, die sie schnell zu Arthas bringen sollten, die Abhänge herab. Sie kamen seinetwegen. Sie…

»Das sind die neuen Krieger, die der Lichkönig seinem Favoriten schickt«, sagte Kel’Thuzads Stimme. Der Geist konnte offenbar nur von Arthas gesehen und gehört werden und er hatte in den letzten Tagen oft gesprochen. Er hatte versucht, den Samen des Zweifels in den Geist des Todesritters zu säen. Kein Zweifel an ihm selbst, sondern an Tichondrius und den anderen Dämonen. »Den Schreckenslords kann man nicht trauen«, hatte er gesagt. »Sie sind die Aufpasser des Lichkönigs. Ich werde Euch alles dazu verraten… wenn ich erst wieder auf dieser Welt wandele.«

Sie hatten genügend Zeit gehabt. Arthas fragte sich, ob Kel’Thuzad ihm die Informationen wie einen Köder präsentierte, um sicherzustellen, dass Arthas seine Aufgabe auch erfüllte.

Jetzt fragte Arthas: »Hat er mir diese Monster geschickt? Was weißt du über sie?«

»Einst waren sie Neruber«, sagte Kel’Thuzad. »Abkömmlinge einer alten und stolzen Rasse, die sich Aqir nannte. Als sie noch lebten, waren sie wild und intelligent, bestrebt, alles zu vernichten, was nicht so war wie sie.«

Arthas beobachtete die spinnenartigen Kreaturen angeekelt. »Großartig. Und nun?«

»Sie sind im Kampf gegen unseren Herrn gefallen. Er hat sie und ihren Anführer Anub’arak wiederbelebt, in Untote verwandelt und jetzt sind sie hier, um Euch zu helfen, Prinz Arthas. Damit sie seinem und Eurem Ruhme dienen.«

»Untote Spinnen«, überlegte Arthas. Sie waren groß, hässlich, tödlich. Sie zirpten und krabbelten und schlossen sich den wandelnden Leichen, Geistern und Monstrositäten an. »Unterwegs, um die Elfen von Quel’Thalas zu bekämpfen.«

Jener Lichkönig, wer immer er auch sein mochte, hatte einen Hang zum Dramatischen.

Arthas Annäherung an Quel’Thalas war natürlich bemerkt worden. Die Elfen hatten schon immer gute Kundschafter besessen. Es war sehr wahrscheinlich, dass ihnen zu dem Zeitpunkt, da Arthas die Kundschafter bemerkte, seine Ankunft längst bekannt war. Mochte es ruhig so sein. Seine versammelte Streitmacht war auf wahrlich imposante Größe angewachsen und er hatte keinen Zweifel, in dieses wundersame, ewige Land einzudringen und den Sonnenbrunnen zu erreichen – entgegen Kel’Thuzads ärgerlichen Warnungen.

Sie hatten einen Gefangenen gemacht, einen jungen Priester, der in einer Trotzreaktion irrtümlicherweise einige wichtige Informationen preisgegeben hatte. Arthas würde diese Informationen klug und gut nutzen. Außerdem gab es noch jemanden, nicht jenen Priester, der im Austausch für die Macht, die Arthas und der Lichkönig ihm versprochen hatten, sein Volk und Land willentlich verraten würde.

Es überraschte den Todesritter, wie bereitwillig dieser Elfenmagier übergelaufen war. Gleichzeitig beunruhigte es ihn. Arthas war einst von seinem Volk geliebt worden, so wie schon sein Vater vor ihm. Er hatte es genossen, sich in der warmen Zuneigung seiner Untergebenen zu sonnen. Arthas hatte sich die Zeit genommen, sich ihre Namen zu merken und die Geschichten ihrer Familien anzuhören. Er hatte gewollt, dass sie ihn liebten.

Und das hatten sie, waren ihm loyal gefolgt, so wie Hauptmann Falric.

Doch die Anführer der Elfen würden von ihrem Volk ebenfalls geliebt werden. Auch sie konnten davon ausgehen, dass es sich loyal verhielt. Dennoch hatte dieser Magier sein Volk für das bloße Versprechen von Macht verraten.

Sterbliche konnte man korrumpieren. Sterbliche konnte man beeinflussen oder kaufen.

Er blickte zu seiner Armee und lächelte. Ja… so war es besser. Er musste sich nicht um die Loyalität seiner Untertanen sorgen, denn sie konnten gar nicht anders als gehorchen.

»Es stimmt«, keuchte der Kundschafter. »Alles.«

Sylvanas Windläufer, Waldläufergeneral von Silbermond, kannte diesen Elfen gut. Kelmarins Informationen waren stets präzise und detailliert. Sie hörte zu, konnte ihm jedoch nicht glauben – weil sie es nicht glauben wollte.

Sie hatten natürlich alle die Gerüchte gehört. Dass eine Art Seuche begonnen hatte, sich über die Länder der Menschen auszubreiten. Doch die Quel’dorei hatten sich in ihrer Heimat in Sicherheit gewähnt. Sie hatten über die Jahrhunderte Angriffen von Drachen, Orcs und Trollen standgehalten und hofften deshalb, dass die Vorkommnisse in den Ländern der Menschen sie nicht betreffen würden.

Bis es dann doch geschah.

»Bist du dir sicher, dass es Arthas Menethil ist? Der Prinz?«

Kelmarin nickte und versuchte immer noch, zu Atem zu kommen. »Aye, Milady. Ich habe gehört, wie er von seinen Untertanen so genannt wurde. Ich glaube nicht, dass die Gerüchte, er habe seinen Vater ermordet und stecke hinter den Problemen in Lordaeron, übertrieben sind. Nicht, nach allem, was ich gesehen habe.«

Sylvanas hörte ihm zu. Ihre blauen Augen weiteten sich, als der Kundschafter von Dingen berichtete, die einfach zu fantastisch klangen, um wahr sein zu können: wiederauferstandene Leichen, sowohl frische als auch bereits verweste; riesige hirnlose, aus verschiedenen Körperteilen zusammengeflickte Kreaturen; merkwürdige Tiere, die fliegen konnten und aussahen, als bestünden sie aus Stein; riesige spinnenähnliche Wesen, die an die Geschichten über die verschwunden geglaubten Aqir erinnerten.

Und dann der Geruch – Kelmarin, der nicht zu Übertreibungen neigte, sprach in unsicherem Tonfall über den Gestank, der der Armee vorauseilte. Die Wälder, die erste Verteidigungslinie des Landes, fielen unter den merkwürdigen Kriegsmaschinen, die dieses monströse Heer mitgebracht hatte.

Sylvanas dachte an die roten Drachen zurück, die vor nicht allzu langer Zeit das Holz entflammt hatten. Dabei hatten die Wälder schrecklich gelitten. So wie sie nun litten…

»Milady«, schloss Kelmarin, hob den Kopf und warf ihr einen erschütterten Blick zu. »Wenn er durchbricht – dann glaube ich nicht, dass wir ausreichend Leute haben, um ihn aufzuhalten.«

Diese bittere Feststellung schürte die Wut in ihr, die sie brauchte. »Wir sind die Quel’dorei«, zischte sie und richtete sich auf. »Unser Land ist uneinnehmbar. Er wird hier nicht hereinkommen. Hab keine Furcht. Dazu müsste er zuerst einmal wissen, wie genau er die Zauber brechen muss, die Quel’Thalas schützen. Außerdem müsste er in der Lage sein, diese Handlung vornehmen zu können. Bessere und klügere Gegner als er haben über die Zeiten versucht, unser Reich einzunehmen. Doch vergeblich. Hab Vertrauen, mein Freund. In die Kraft des Sonnenbrunnens… und in die Stärke und die Entschlossenheit unseres Volkes.«

Als Kelmarin weggeführt wurde, damit er trinken, essen und sich erholen konnte, bevor er auf seinen Posten zurückkehrte, wandte sich Sylvanas ihren Waldläufern zu. »Ich möchte diesen Menschenprinz selbst sehen. Ruft die ersten Trappen zusammen. Wenn Kelmarin recht hat, sollten wir einen Präventivschlag führen.«