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»Sagt nichts«, hatte Kael gezischt. Seine Fäuste waren geballt gewesen. Zu ihrem Schrecken erkannte sie, dass er sich mühsam beherrschen musste, um sie nicht physisch anzugreifen. »Dummes Mädchen. Dieses Monster hättet Ihr in Euer Bett gelassen?«

Jaina blinzelte, sprachlos angesichts der harten Worte, die aus seinem kultivierten Mund kamen. »Ich…«

Doch er hatte kein Interesse daran, irgendetwas von dem zu hören, was sie zu sagen hatte. »Arthas ist ein Schlächter! Er hat Tausende Unschuldige getötet! Es klebt so viel Blut an seinen Händen, dass ein ganzer Ozean ihn nicht reinwaschen könnte. Und Ihr habt ihn geliebt? Ihn mir vorgezogen?«

Seine Stimme, die normalerweise so einschmeichelnd und kontrolliert war, dröhnte bei dem letzten Wort.

Jaina begann zu weinen, als sie plötzlich verstand. Er griff sie an, weil er den wahren Feind nicht angreifen konnte. Er fühlte sich hilflos, ohnmächtig und prügelte deshalb auf das naheliegendste Ziel ein. Auf sie, Jaina Prachtmeer, deren Liebe er gewollt und nicht bekommen hatte.

»Oh… Kael’thas«, sagte sie leise. »Er hat… schreckliche Dinge getan«, begann sie. »Was Eure Leute erleiden mussten…«

»Ihr wisst nichts vom Leiden!«, brüllte er. »Ihr seid ein Kind, mit dem Geist eines Kindes und dem Herzen eines Kindes. Euer Herz, das Ihr diesem… diesem… Er hat sie alle abgeschlachtet, Jaina. Und dann hat er ihre Leichen geschändet, indem er sie wiederbelebte!«

Jaina blickte ihn stumm an. Seine Worte verletzten sie nicht mehr, nun, nachdem sie wusste, warum er es tat. »Er hat meinen Vater ermordet, Jaina, so wie er seinen eigenen Vater ermordet hat. Ich… ich hätte dort sein sollen.«

»Um mit ihm zu sterben? Mit dem Rest Eures Volkes? Was hätte es genützt, wenn Ihr Euer Leben weggeworfen hättet, um…«

Kaum hatte sie gesprochen, als sie erkannte, dass sie genau das Falsche gesagt hatte. Kael’thas verkrampfte sich und schnitt ihr das Wort ab.

»Ich hätte ihn aufhalten können, ich hätte es tun müssen.« Er richtete sich auf und Kälte ersetzte plötzlich das Feuer in ihm. Er verneigte sich lang und übertrieben. »Ich werde Dalaran so schnell wie möglich verlassen. Hier gibt es nichts mehr für mich zu tun.«

Jaina war angesichts der Leere und der Resignation in seiner Stimme schockiert.

»Ich war ein Narr, zu glauben, dass ihr Menschen mir helfen könntet. Ich verlasse diesen Ort schlottriger alter Magier und ehrgeiziger Jünglinge. Niemand kann mir helfen. Mein Volk braucht mich jetzt, da mein Vater…« Er verstummte und schluckte schwer. »Ich muss zu ihnen. Zu den erbärmlich wenigen Elfen, die es noch gibt. Zu denen, die es überlebt haben, wiedergeboren durch das Blut derjenigen, die nun Eurem Geliebten dienen.«

Dann war er gegangen. Jaina spürte, wie er mit jeder Faser seines großen, eleganten Körpers Wut ausstrahlte und wie gleichzeitig ihr eigenes Herz vor Schmerz pochte.

Und nun war er hier. Arthas war hier, als Anführer einer Armee von Untoten, als Todesritter. Antonidas’ Stimme riss sie aus den Gedanken. Sie blinzelte und versuchte in die Gegenwart zurückzufinden.

»Zieht Eure Truppen zurück oder wir sind gezwungen, Euch unsere ganze Macht entgegenzuwerfen! Trefft Eure Wahl, Todesritter.« Antonidas trat vom Balkon zurück und wandte sich Jaina zu. »Jaina«, sagte er mit normaler Stimme, »wir werden Teleportationsbarrieren errichten. Du musst weg, bevor du hier eingeschlossen bist.«

»Vielleicht kann ich ja mit ihm reden… vielleicht kann ich…« Sie wurde still, erkannte den unrealistischen Wunsch in ihrer eigenen Stimme. Sie hatte Arthas nicht einmal davon abhalten können, die Unschuldigen in Stratholme zu verschonen oder nach Nordend zu reisen. Er hatte damals nicht auf sie gehört. Wenn Arthas tatsächlich unter einem dunklen Einfluss stand, wie konnte sie ihn jetzt von etwas abhalten?

Sie atmete tief ein und Antonidas nickte sanft. Es gab noch so vieles, was sie diesem Mann sagen wollte, ihrem Mentor. Doch sie konnte ihm nur ein zittriges Lächeln schenken, bevor er seine wahrscheinlich letzte Schlacht schlug. Ihnen beiden war das bewusst. Sie stellte fest, dass sie sich nicht einmal mehr verabschieden konnte.

»Ich kümmere mich um unsere Leute«, sagte sie mit belegter Stimme, sprach den Teleportzauber und verschwand.

Der erste Teil der Schlacht war gewonnen und Arthas hatte das Zauberbuch von Medivh erhalten. Es war groß, aber auch auf wundersame Weise zu schwer für seine Größe. Es war in rotes Leder gebunden, mit Goldschnitt an den Seiten. Auf der Vorderseite war ein vorzüglich gearbeiteter Rabe mit ausgestreckten Flügeln abgebildet. Antonidas’ Blut befand sich immer noch auf dem Buch. Arthas fragte sich, ob es dadurch mächtiger wurde.

Invincible stand neben ihm, trampelte mit den Hufen und schüttelte den Kopf, als könnten ihn Mücken immer noch stechen. Sie standen auf einer Anhöhe über Dalaran, dessen Türme immer noch das Licht einfingen und weißgolden leuchteten, während in den Straßen Blut vergossen wurde. Viele der Magier hatten Arthas stundenlang bekämpft, bevor sie nun an seiner Seite stritten. Die meisten waren zu schwer verwundet und dienten nur noch als Kanonenfutter, das man den Angreifern entgegen warf.

Doch einige… konnten immer noch entsprechend ihrer Fähigkeiten eingesetzt werden. Im Tod dienten sie dem Lichkönig.

Kel’Thuzad benahm sich wie ein Kind am Morgen des Winterhauchfestes. Er durchstöberte die Seiten von Medivhs Zauberbuch und war von dem neuen Spielzeug völlig fasziniert. Das irritierte Arthas.

»Der Kreis der Macht wurde nach deinen Anweisungen erstellt, Lich. Bist du bereit für die Beschwörung?«

»Fast«, antwortete der Untote. Seine Skelettfinger blätterten eine Seite weiter. »Es gibt viel zu lernen. Medivhs Wissen über Dämonen ist erstaunlich. Ich vermute, dass er viel mächtiger war, als irgendjemand ahnte.«

Ein schwarzgrüner Wirbel manifestierte sich, während Kel’Thuzad sprach, und Tichondrius erschien. Arthas Verwirrung wuchs, als der Schreckenslord mit der für ihn typischen Arroganz zu Kel’Thuzad sagte: »Du warst nicht mal mächtig genug, um dem Tod aus eigener Kraft zu entrinnen. Also werden wir die Arbeit, die du begonnen hast, beenden. Und zwar… heute. Lasst die Beschwörung beginnen!«

Und dann verschwand er plötzlich. Kel’Thuzad schwebte in den Kreis, der von vier kleinen Obelisken eingegrenzt wurde. Dazwischen waren arkane Markierungen gezeichnet worden. Kel’Thuzad trug das Buch bei sich. Nachdem er seine Position erreicht hatte, erwachten die Linien des Kreises zu leuchtend violettem Leben. Im selben Moment knisterte und zischte es und acht Flammensäulen erschienen um ihn herum. Kel’Thuzad wandte sich mit leuchtenden Augen Arthas zu.

»Alle, die noch in Dalaran leben, werden die Macht dieses Zaubers spüren können«, warnte Kel’Thuzad ihn. »Ich darf nicht unterbrochen werden oder wir werden versagen.«

»Ich werde deine Knochen schützen, Lich«, versicherte Arthas ihm.

Wie Kel’Thuzad versprochen hatte, war es vergleichsweise einfach gewesen, nach Dalaran hineinzukommen, alle zu töten, die spezielle Zauber gegen sie einsetzten, und sich ihre Beute zu nehmen. Arthas hatte sogar Erzmagier Antonidas töten können, der sich einst für so mächtig gehalten hatte.

Wenn Jaina dort gewesen wäre, hätte sie sich ihm sicherlich entgegengestellt. Sie hätte auch diesmal nicht mehr Erfolg gehabt, als damals, außer…

Er war froh, dass er nicht gegen sie hatte kämpfen müssen.

Arthas’ Gedanken wurden wieder in die Gegenwart zurückgebracht. Das Tor öffnete sich und Arthas’ graue Lippen lächelten. Bislang hatte die Geißel stets das Element der Überraschung auf ihrer Seite gehabt. Viele mächtige Magier hatten zu allen Zeiten in Dalaran gelebt. Doch es gab kein ausgebildetes Heer noch waren alle Zauberer der Kirin Tor vor Ort. Aber nun hatten die Magier einige Stunden Zeit gehabt und sie waren nicht untätig gewesen.

Sie hatten eine Armee herbeiteleportiert.

Ein ordentlicher Kampf war genau das, was er brauchte, um Jaina Prachtmeer und den Jungen, der er einst gewesen war, aus seinen Gedanken zu verdrängen.

Er hob Frostgram an, fühlte, wie es in seiner Hand prickelte, hörte, wie die sanfte Stimme des Lichkönigs seine Gedanken umschmeichelte.

»Frostgram hat Hunger«, sagte er seinen Truppen und wies mit dem Schwert auf die Angreifer der großen Magierstadt. »Lasst uns seinen Appetit stillen.«

Die Armee der Geißel stürmte heran. Sylvanas’ schmerzvolles Heulen erhob sich über das Schlachtengetümmel und ließ Arthas noch breiter Lächeln. Selbst im Tod, selbst wenn sie seine Befehle befolgte, forderte sie ihn immer noch heraus. Doch er genoss es, sie dazu zu zwingen, ihre ehemaligen Verbündeten anzugreifen. Invincible stürmte in vollem Galopp vorwärts und wieherte.

Einige der geisterhaften Truppen blieben zurück, um Kel’Thuzad zu schützen. Doch die meisten begleiteten ihren Anführer. Arthas erkannte den Wappenrock der Streitkräfte, die die Kirin Tor herbeiteleportiert hatten, um die Stadt zu verteidigen. Einst waren sie Freunde gewesen, aber das lag weit in der Vergangenheit. Es war für ihn so unwichtig wie das Wetter von gestern.

Es war jetzt leichter, die Freude zu spüren, als Frostgram sich leuchtend und singend an den Seelen labte, immer wieder zuschlug und sich durch Plattenpanzer genauso leicht wie durch Fleisch fraß.

Nachdem die erste Welle der Soldaten gefallen und wiederbelebt worden war, um fortan der Geißel zu dienen, stürmte die zweite Angriffswelle der Gegner heran. Diesmal waren Magier dabei, die in die violetten Roben von Dalaran gehüllt waren, mit dem eingestickten Symbol des großen Auges darauf. Doch auch Arthas hatte zusätzliche Hilfe bekommen.

Die Dämonen schienen die Ihren beschützen zu wollen.

Riesige Steine stürzten vom Himmel herab, ihre Schweife glühten vor grünem Teufelsfeuer. Die Erde bebte, wo sie aufschlugen, und aus den Kratern, die der Einschlag geschaffen hatte, kletterten Gestalten, die wie steinerne Golems aussahen. Sie wurden von der verderbten grünen Energie zusammengehalten und geleitet.

Arthas blickte über die Schulter. Kel’Thuzad schwebte mit ausgestreckten Armen. Sein gehörnter Kopf war zurückgeworfen. Energie knisterte und jagte aus ihm heraus und eine grüne Kugel bildete sich. Plötzlich senkte der Lich abrupt die Arme und trat aus dem Kreis heraus.

»Komme herbei, Lord Archimonde!«, rief Kel’Thuzad. »Betritt diese Welt und lass uns in deiner Macht baden!«

Die grüne Kugel pulsierte, wurde größer und leuchtete noch heller. Plötzlich schoss eine Feuersäule nach oben, und wie zur Antwort schlugen mehrere Lichtblitze außerhalb des Kreises ein. Wo vorher nichts gewesen war, stand eine Gestalt – groß, mächtig, anmutig auf ihre eigene düstere und gefährliche Weise.

Arthas wandte seine Aufmerksamkeit dem Schlachtfeld zu. Der Ruf zum Rückzug erklang – sicherlich hatten die Magier gesehen, was geschehen war. Ihre Soldaten wendeten die Pferde und flohen in die trügerische Sicherheit von Dalaran. Dabei dröhnte eine tiefe, machtvolle Stimme über den Schlachtenlärm.

»Erzittert, Sterbliche, und verzweifelt! Der Untergang ist über diese Welt gekommen!«

Arthas hielt eine Hand hoch und diese einfache Geste bedeutete den Streitkräften der Geißel, stehen zu bleiben und sich ebenfalls zurückzuziehen. Als Arthas sich Kel’Thuzad näherte und dabei die ganze Zeit den Dämonenlord beobachtete, teleportierte Tichondrius herbei. Wie üblich, nachdem die Gefahr vorbei war.

Der Schreckenslord machte eine tiefe Verbeugung. Arthas zügelte sein Pferd in einiger Entfernung und schaute nur zu.

»Lord Archimonde, alle Vorbereitungen wurden getroffen.«

»Sehr gut, Tichondrius«, antwortete Archimonde und nickte dem niederen Dämon zu. »Weil ich den Lichkönig ab sofort nicht mehr benötige, werdet ihr Schreckenslords jetzt die Geißel befehligen.«

Arthas war plötzlich sehr dankbar für die vielen Stunden, die er mit disziplinierter Meditation verbracht hatte. Nur diese Ausbildung hielt ihn davon ab, dass er Wut und Schrecken zeigte. Auch Invincible bemerkte die Änderung in ihm und tänzelte nervös. Er zog an den Zügeln und das untote Tier wurde ruhig.

Der Lichkönig wurde nicht mehr gebraucht? Warum? Wer genau war das und was war mit ihm geschehen? Was sollte aus Arthas selbst werden?

»Bald schon werde ich anordnen, dass die Invasion beginnen soll. Doch zuerst werde ich an diesen erbärmlichen Zauberern ein Exempel statuieren… indem ich ihre Stadt in den Staub der Geschichte trete.«

Der Dämon ging fort, sein Körper war hoch aufgerichtet, stolz und befehlend. Jeder stampfende Schritt seiner Hufe wirkte sicher, seine Rüstung leuchtete golden und tiefrot in der aufkommenden Dämmerung. Neben ihm, immer noch tief verneigt, ging Tichondrius. Arthas wartete, bis beide ein Stück weit weg waren, bevor er schließlich zu Kel’Thuzad herumfuhr und sagte: »Das ist doch wohl ein Scherz! Was wird denn jetzt aus uns?«

»Seid geduldig, junger Todesritter. Der Lichkönig hat das sehr wohl vorausgesehen. Ihr mögt noch eine Rolle in seinem großen Plan spielen.«

Mögt? Arthas näherte sich dem Nekromanten, seine Nasenflügel bebten, doch er hielt seine Wut zurück. Wenn jemand – egal ob Dämon oder der Lichkönig persönlich – einen Moment lang glaubte, dass Arthas nur ein Werkzeug war, das man benutzen und dann wegwerfen konnte, würde er schon bald erkennen müssen, dass er einen Fehler begangen hatte. Er hatte zu viel getan – zu viel verloren, zu viel von sich geopfert –, um einfach beiseitegeschoben zu werden.

Es konnte nicht alles umsonst gewesen sein.

Es würde nicht alles umsonst gewesen sein.

Die Erde bebte. Invincible tänzelte unbehaglich, hob seine Hufe, als wollte er den Kontakt zum Boden vermeiden. Arthas blickte zur Stadt der Magier. Die Türme waren um diese Tageszeit herrlich. Stolz und schön glitzerten sie im schwindenden Licht der Dämmerung. Doch während er noch hinsah, hörte er ein tiefes, knackendes Geräusch. Die Spitze des höchsten Turms, des schönsten Turms der Stadt, fiel langsam und unausweichlich in sich zusammen, als würde eine riesige, unsichtbare Hand sie zerquetschen.

Der Rest der Stadt stürzte schnell ein. Der Lärm der Zerstörung war laut und dröhnte in Arthas’ Ohren. Er zuckte ob der Lautstärke zusammen, wandte seinen Blick aber nicht von dem Bild der Vernichtung ab.

Er war für den Untergang von Silbermond verantwortlich. Er hatte die Geißel gegen die Elfen geführt. Doch das hier… geschah beiläufig, wie nebenbei. Silbermond hingegen war ein hart errungener Sieg gewesen. Archimonde schien die größten menschlichen Städte zerstören zu können, ohne selbst anwesend sein zu müssen.

Arthas dachte über Archimonde und Tichondrius nach. Er rieb sich gedankenverloren das Kinn.

Auf seinem Schoß leuchtete Frostgram.