Er würde schon bald erleben, wie treu sein Hund wirklich war.
Nachdem sie das Gespräch der Schreckenslords zuvor mit angehört hatte, hatte sie eine ihrer Banshees zu den Dämonen geschickt, um mit ihnen zu reden und Informationen zu sammeln.
Die Dämonen hatten mit Freude einer Zusammenarbeit zugestimmt und sie zu einem Treffen am heutigen Abend gebeten. Dort wollten sie etwas besprechen, was allen Parteien »einen Vorteil« bringen würde.
In der Tiefe des Waldes konnte sie ein schwaches grünes Leuchten erkennen und sie schwebte darauf zu. Sicherlich erwarteten sie sie schon – drei große Dämonen wandten sich ihr zu, ihre Flügel schlugen und verrieten ihre Rastlosigkeit.
Balnazzar sprach als Erster. »Lady Sylvanas, wir sind froh, dass Ihr gekommen seid.«
»Wie hätte ich es ablehnen können?«, erwiderte sie. »Aus irgendeinem Grund höre ich nicht mehr die Stimme des Lichkönigs in meinem Kopf. Ich habe wieder einen freien Willen.« Und so war es tatsächlich. Dabei bemühte sie sich, die Freude in ihrer Stimme zu verbergen. Sie wollte nicht, dass die Dämonen mehr von ihr wussten, als sie zuließ. »Ihr Schreckenslords scheint zu wissen, warum.«
Sie tauschten untereinander Blicke aus, auf ihren Gesichtern bildete sich ein boshaftes Grinsen. »Wir haben entdeckt, dass der Lichkönig seine Kraft verliert«, sagte Varimathras mit höllischem Leuchten in den Augen. »Und wenn sie schwindet, dann gilt das auch für seine Fähigkeit, Untote wie Euch zu befehligen.«
Das waren wahrhaftig gute Neuigkeiten, so es denn stimmte. Doch es reichte Sylvanas nicht. »Und was ist mit König Arthas?«, fragte sie weiter, unfähig, die Verachtung aus ihrer Stimme herauszuhalten, als sie den Titel des Todesritters benutzte. »Was ist mit seinen Kräften?«
Balnazzar wedelte abschätzig mit seiner schwarzen, klauenförmigen Hand. »Er wird uns nicht mehr stören. Er ist wie eine Fliege, deren Zeit gekommen ist. Er wird verschwinden. Obwohl seine Runenklinge, Frostgram, mächtige Zauber birgt, werden Arthas’ eigene Kräfte mit der Zeit schwinden. Das ist unausweichlich.«
Sylvanas war sich da nicht so sicher. Auch sie hatte Arthas unterschätzt und mit ihrem kalten Hass in ihrem Herzen trug sie mit Schuld an seinem blutigen Sieg. »Ihr wollt ihn stürzen und braucht dazu meine Hilfe«, sagte sie knapp.
Detheroc, der der Anführer zu sein schien, hatte bislang stumm daneben gestanden, während seine Brüder mit Sylvanas geredet hatten. Sie waren wütend und ungeduldig gewesen. Doch sein Gesichtsausdruck war neutral geblieben. Jetzt sprach er im kühlen Tonfall äußersten Ekels.
»Die Legion mag geschlagen sein, doch wir sind die Nathrezim. Wir lassen uns von keinem Emporkömmling der Menschen vorführen.« Er machte eine Pause und sah sie alle der Reihe nach an. »Arthas muss stürzen!« Der leuchtende grüne Blick lag auf Sylvanas. »So, wie Ihr uns beobachtet habt, kleiner Geist, so haben wir auch Euch beobachtet. Es ist offensichtlich, dass der Lich, Kel’Thuzad, viel zu sehr ergeben ist, um seinen Herrn zu verraten. Es scheint… eine gewisse Zuneigung zwischen den beiden zu geben.« Seine grauen Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Grinsen. »Doch Ihr dagegen…«
»Ich hasse ihn.« Sie glaubte nicht, dass sie diese Wahrheit verbergen konnte, selbst wenn sie es wollte. Zu feurig brannte der Zorn in ihr. »Wir sind uns so weit einig, Schreckenslord. Ich habe meine eigenen Gründe für die Rache. Arthas hat mein Volk ermordet und mich in diese… Monstrosität verwandelt.« Sie machte eine Pause. Die Abscheu gegen Arthas und alles, was er ihr angetan hatte, war so stark, dass sie nicht weiterreden konnte.
Die Dämonen warteten geduldig und ein wenig selbstgefällig. Sie glaubten, Sylvanas benutzen zu können. Damit lagen sie falsch.
»Ich werde vielleicht an Eurem blutigen Spiel teilnehmen, aber ich mache es auf meine eigene Art.« Sie wollte die Dämonen als Verbündete, doch die Schreckenslords sollten wissen, dass sie kein Spielzeug war. »Ich werde nicht einen Herrn gegen den anderen austauschen. Wenn Ihr meine Hilfe wollt, dann müsst Ihr das akzeptieren.«
Detheroc lächelte. »Dann werden wir also den Todesritter gemeinsam töten?«
Sylvanas nickte und langsam legte sich Genugtuung auf ihr geisterhaftes Gesicht.
Deine Tage sind gezählt, König Arthas Menethil. Und ich… ich bin das Stundenglas.
22
Arthas rieb sich die Schläfen und ging die Visionen, die er gehabt hatte, immer wieder durch. Bislang hatte die Kommunikation mit dem Lichkönig immer nur über Frostgram stattgefunden. Doch in der Sekunde, als ihn der Schmerz durchfuhr, hatte Arthas tatsächlich zum ersten Mal das Wesen selbst gesehen, dem er diente.
Der Lichkönig saß allein in der Mitte einer großen Höhle, gefangen im künstlichen Eis. So ähnlich war es bei Frostgram gewesen. Doch das Eis war gesprungen, als hätte jemand ein Stück herausgebrochen. Deshalb konnte man den Lichkönig nur unvollständig erkennen, aber seine Stimme drang tief in den Geist des Todesritters ein, der sich vor Schmerz krümmte.
»Dem vereisten Thron droht Gefahr! Die Macht schwindet… Die Zeit verrinnt… Du musst sofort nach Nordend zurückkehren!« Und dann durchfuhr es Arthas wie eine Lanze: »Gehorche!«
Jedes Mal, wenn das geschah, fühlte sich Arthas benommen und schlecht. Die Kraft, die wie Adrenalin durch seine Adern jagte, entzog ihm mittlerweile mehr Energie, als sie ihm einst gegeben hatte. Er war schwach und verwundbar…
Das hatte er sich nicht vorstellen können, als er Frostgram das erste Mal berührt, sich von allem abgewandt hatte, an was er glaubte. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, als er mühsam auf Invincible kletterte und zu dem Treffen mit Kel’Thuzad ritt.
Der Lich wartete bereits auf ihn. Seine flatternde Robe und sein ganzes Auftreten strahlte Besorgnis aus.
»Sind die Krämpfe noch schlimmer geworden?«, fragte er.
Arthas zögerte. Sollte er den Lich ins Vertrauen ziehen? Würde Kel’Thuzad versuchen, ihm die Kraft zu entreißen? Nein, entschied er. Der ehemalige Nekromant hatte ihn niemals irregeführt. Stets galt seine volle Loyalität dem Lichkönig und Arthas selbst.
Der König nickte. Ihm war, als drohe sein Kopf durch diese Geste abzufallen. »Ja. Nachdem meine Kräfte schwinden, kann ich kaum mehr meine eigenen Krieger befehligen. Der Lichkönig hat mich gewarnt, dass alles verloren sein könnte, wenn ich nicht bald nach Nordend komme. Wir müssen unverzüglich aufbrechen.«
Wenn die brennenden, leeren Augenhöhlen Besorgnis zeigen konnten, dann taten sie es jetzt. »Natürlich, Euer Majestät. Ihr habt nicht versagt und werdet nicht versagen. Wir brechen auf, sobald Ihr meint, dass Ihr…«
»Es gibt eine Änderung der Pläne, König Arthas. Du gehst nirgendwohin.«
Es war der Beweis für seine schwindenden Kräfte, dass er die Angreifer nicht einmal gespürt hatte. Arthas blickte höchst überrascht auf, als die drei Schreckenslords ihn umzingelten.
»Meuchelmörder!«, schrie Kel’Thuzad. »Das ist eine Falle! Verteidigt euren König vor diesen…«
Doch das Geräusch eines zuschlagenden Tors übertönte des Lichs Ruf zu den Waffen.
Arthas zog Frostgram. Zum ersten Mal, seit er es berührt und sich mit dem Schwert verbunden hatte, fühlte es sich schwer und fast leblos in seinen Händen an. Die Runen entlang der Klinge leuchteten nur schwach und das Schwert wirkte wie ein totes Stück Metall, nicht wie die ausbalancierte, schöne Waffe, die es immer gewesen war.
Die Untoten stürmten auf ihn zu und einen Moment lang fühlte sich Arthas in der Zeit zurückversetzt zu seinem ersten Aufeinandertreffen mit den wandelnden Toten. Er stand wieder vor dem kleinen Bauernhaus, angewidert von dem Gestank nach Verwesung und erstarrt vor Schreck, als Kreaturen, die tot hätten sein müssen, ihn angriffen. Seitdem hatte er seine Abscheu gegen diese Wesen längst abgelegt. Eigentlich dachte er inzwischen mit einer gewissen Zuneigung an sie. Es waren seine Untertanen, er hatte sie vom Leben befreit, damit sie dem höheren Wohl des Lichkönigs dienten. Arthas störte weniger der Gedanke, dass die Untoten nun kämpften. Schlimm war lediglich, dass sie gegen ihn kämpften. Sie standen vollständig unter der Kontrolle der Schreckenslords. Grimmig, mit all der Kraft, die er noch besaß, setzte er sich zur Wehr. Ein seltsames, Übelkeit erregendes Gefühl stieg in ihm auf. Er hatte niemals erwartet, dass seine Untoten sich gegen ihn stellen würden.