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Arthas bewegte sich steif aus dem Ruderboot an den Strand. Zwar spürte er die Kälte dieses Ortes nicht, doch seine Kraft und sein physisches Selbst waren schwach. Sobald er den Boden berührte, spürte Arthas die Präsenz des Lichkönigs. Doch diesmal nicht in seinem Geist, nicht indem der Lichkönig durch Frostgram zu ihm sprach – obwohl das schwache Leuchten von Frostgram sich leicht verstärkte. Nein, Arthas spürte ihn, spürte seinen Herrn hier, wie er es noch nie zuvor getan hatte.

Es war das prickelnde Gefühl der aufziehenden Gefahr.

Er wandte sich an alle, die ihm an Land folgen würden – Ghoule, Geister, Schatten, Monstrositäten, Nekromanten. »Wir müssen uns beeilen«, rief er. »Etwas da draußen bedroht den Lichkönig. Wir müssen die Eiskrone schnellstens erreichen.«

»Milord!«, rief einer der Nekromanten und wies auf etwas.

Arthas wirbelte herum und zog Frostgram.

Durch den dicht fallenden Schnee konnte er rotgoldene Gestalten erkennen. Sie kamen näher und seine Augen verengten sich vor Überraschung und Wut, als er die Kreaturen erkannte. Ihm war klar, wer ihr Herr sein musste.

Drachenfalken.

Er war erstaunt. Er hatte die Elfen fast vollständig vernichtet. Wie konnte es sein, dass so viele überleben und sich auch noch neu organisieren konnten? Und wie hatten sie herausgefunden, wo er sich gegenwärtig befand? Ein Lächeln bildete sich auf seinen schönen Zügen und er empfand Bewunderung.

Die Drachenfalken kamen näher. Er hob Frostgram zum Gruß.

»Ich muss zugeben«, rief er, »dass ich überrascht bin, die Quel’dorei hier anzutreffen. Ich dachte immer, dass die Kälte für so ein feinfühliges Volk unerträglich sei.«

»Prinz Arthas!«, rief einer der Reiter, die Stimme klang klar, hell und stark. Sein Tier schwebte über Arthas. »Wir sind auch keine Quel’dorei. Wir sind die Sin’dorei – die Blutelfen! Wir haben geschworen, die Geister von Quel’Thalas zu rächen. Dieses tote Land… wird von Euch gereinigt werden! Die abscheulichen Wesen, die Ihr geschaffen habt, werden schließlich doch noch ruhen, wie es ihnen bestimmt ist. Und Ihr, Schlächter, werdet Eure gerechte Strafe erhalten.«

Einen Moment lang war Arthas amüsiert. Ihre Anzahl war nicht unerheblich. Arthas erkannte, dass er wohl auf die letzten Vertreter eines beinahe ausgestorbenen Volkes blickte. Und sie alle waren nur seinetwegen hier. Dann verschwand dieser selbstgefällige Gedanke und verwandelte sich in Wut. Trotz seines geschwächten Zustands war seine Stimme zornerfüllt, als er rief: »Nordend gehört der Geißel, Elf, und Ihr werdet Euch ihr bald anschließen. Ihr habt einen schrecklichen Fehler gemacht, herzukommen!«

Weitere Drachenfalken erschienen, zusammen mit Waldläufern. Pfeile flogen durch die Luft, zahllos wie Schneeflocken, und durchstießen die Untoten, als die Elfen angriffen. Dennoch richtete dieser Angriff nur wenig aus. Solange ein Pfeil keine lebenswichtige Stelle traf, wurden die Skelette davon nicht aufgehalten.

Ohne auch nur Invincible zu besteigen, stürmte Arthas vor. Frostgram hatte Hunger. Es schien mit jeder hell leuchtenden Seele, die es verschlang, Energie und Stärke zu sammeln, so wie auch Arthas. In der Mitte der Schlacht hörte er eine Stimme, so tief und kalt wie Nordend selbst, vom Hügel her erklingen.

»Vorwärts mit der Geißel! Schlagt sie in Ner’zhuls Namen!«

Trotz allem, was er bereits erlebt hatte, erschauderte Arthas beim Klang der eiskalten Stimme. Er wagte einen Blick nach oben und seine Augen weiteten sich.

Neruber! Nordend war ihre Heimat. Arthas’ Herz hob sich, als sie heranströmten. Er konnte ihre Körper deutlich durch den Schneefall erkennen. Er erkannte die vertraute und dennoch beunruhigende Geschwindigkeit, mit der sich die Spinnenwesen auf ihre Beute stürzten. Arthas musste diese sogenannten Sin’dorei bewundern – sie kämpften tapfer. Doch sie waren hoffnungslos in der Unterzahl und bald stand Arthas in einem Meer von rotgolden gekleideten Leichen. Er hob die Hand und ein toter Elf nach dem anderen kam auf die Beine und schaute ihn mit glasigem Blick an.

»Weitere Soldaten für unseren Herrn«, sagte Arthas. Er blickte erneut auf und entdeckte den Anführer der Neruber.

Er war größer als seine Untergebenen, überragte sie, als er sich leichtfüßig über die schneebedeckte Landschaft auf Arthas zubewegte. Er bewegte sich wie der König, der er war, mit Besonnenheit und Präzision. Arthas versuchte, etwas Vertrautes in einem derart fremden Wesen zu erkennen. Anub’arak wirkte wie eine Kreuzung aus einem Käfer und einem der normalen, spinnenähnlichen Neruber. Arthas stellte fest, dass er einen unbewussten Schritt zurück getan hatte, und zwang sich dort stehen zu bleiben, wo er war.

Anub’arak kam näher, bis er direkt vor ihm stehen blieb. Er blickte den Prinzen gleichzeitig aus mehreren Augen an, ein schreckliches Wesen. »Danke für die Hilfe, oh Mächtiger.«

Die Kreatur neigte den Kopf, die Mandibeln klackten leise, als sie in einem tiefen, düsteren Tonfall sprach, der bei Arthas Unbehagen auslöste. »Der Lichkönig hat mich geschickt, um dir zu helfen, Todesritter. Ich bin Anub’arak, der uralte König von Azjol-Nerub. Wo ist der andere?« Er stellte sich auf die Hinterbeine und sah sich um.

»Welcher andere?«

»Kel’Thuzad«, zischte Anub’arak wieder mit seufzender, nachhallender Stimme. Er beugte sich herab und fixierte Arthas mit seinem vieläugigen Blick. »Ich kenne ihn. Ich hieß ihn willkommen, als er sich dem Lichkönig anschloss, so wie ich Euch jetzt willkommen heiße.«

Arthas fragte sich, ob Kel’Thuzad sich bei seiner ersten Begegnung mit diesem untoten, insektoiden König eines alten Volkes auch so unwohl gefühlt hatte. Sicherlich hatte er das, beruhigte Arthas sich selbst. Jeder würde so empfinden.

»Euer Volk war eine willkommene Stärkung unserer Reihen, als wir diese Elfen das erste Mal angriffen«, sagte er und blickte auf die gefallenen Sin’dorei. Er war sehr froh, dass Anub’araks »Volk« auf seiner Seite stand. »Und ich heiße Eure Hilfe erneut willkommen. Doch wir haben wenig Zeit für Höflichkeiten. Wenn der Lichkönig Euch geschickt hat, dann wisst Ihr auch, dass er in Gefahr ist. Wir müssen so schnell wie möglich die Eiskrone erreichen.«

»So ist es«, zischte Anub’arak. Er drehte den furchterregenden Kopf ruckartig herum und streckte seine beiden Vorderbeine aus. »Ich werde den Rest meines Volkes sammeln und gemeinsam werden wir unseren Herrn beschützen.«

Die riesige Kreatur entfernte sich gebieterisch und rief ihre gehorsamen Untertanen, die eifrig zu ihr eilten. Arthas unterdrückte ein Schaudern und tippte mit der Fußspitze einen der Leichname der gefallenen Elfen an. Er war zerfetzt worden und zu stark verletzt, um noch von Nutzen zu sein. »Diese Elfen sind erbärmlich. Es ist kein Wunder, dass wir ihre Heimat so leicht vernichten konnten.«

»Eine Schande, dass ich nicht dort war, um Euch aufzuhalten. Es ist lange her, Arthas.«

Die Stimme klang so musisch, sanft, kultiviert… und war dennoch so sehr von Hass durchdrungen. Arthas wandte sich um, erkannte sie und war gleichermaßen erschreckt wie erfreut, ihn hier anzutreffen. Die Wege des Schicksals waren tatsächlich unergründlich.

»Prinz Kael’thas«, sagte er grimmig. Der Elf stand nur ein paar Meter von ihm entfernt, das Schimmern des Teleportzaubers verschwand gerade erst. Er schien alterslos zu sein und wirkte noch genauso, wie Arthas ihn in Erinnerung hatte. Nein, das stimmte nicht ganz. Die blauen Augen glommen vor unterdrückter Wut. Es war nicht die heiße Wut, die er beim letzten Mal erlebt hatte, als sie aufeinandergetroffen waren, sondern kalter, tief sitzender Zorn. Er trug nicht mehr die violetten und blauen Roben der Kinn Tor, sondern das traditionelle Rot seines Volkes.