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»Seht Ihr den Eingang zu einem vormals mächtigen und uralten Ort?«, fragte Anub’arak. »Einst war ich hier der Herrscher und mein Wort galt uneingeschränkt. Ich war mächtig und stark und ich beugte mich niemandem. Doch die Dinge ändern sich. Jetzt diene ich dem Lichkönig und ich muss ihn verteidigen.«

Arthas dachte kurz an seine eigene Empörung wegen der Seuche, an das brennende Verlangen nach Rache… an den Blick in den Augen seines Vaters, als Frostgram dessen Seele verschlang.

»Die Dinge ändern sich«, sagte er leise. »Doch jetzt ist keine Zeit für Sentimentalitäten.« Er wandte sich seinem merkwürdigen neuen Verbündeten zu und lächelte kalt. »Lasst uns hinabsteigen.«

24

Arthas wusste nicht, wie lange sie sich unter der gefrorenen Oberfläche von Nordend aufgehalten hatten, in dem alten und tödlichen Königreich der Neruber. Als er blinzelnd wie eine Fledermaus hinaus ins Licht trat, wusste er nur zwei Dinge: Zum einen hoffte er, noch rechtzeitig zur Rettung des Lichkönigs zu kommen. Zum anderen war er aus tiefster Seele dankbar, dass er diesem Ort entkommen war.

Das Königreich der Neruber musste einst ein wunderbarer Ort gewesen sein. Arthas wusste nicht, was genau er erwartet hatte. Jedenfalls nicht die eindringlichen, lebendigen blauvioletten Farben und auch nicht die komplexen geometrischen Formen, die einige Räume und Gänge auszeichneten. Sie hatten sich einen Hauch ihrer ursprünglichen Schönheit bewahrt, doch wie eine getrocknete Rose wirkten sie dennoch tot. Ein merkwürdiger Geruch durchdrang den Ort, während sie weitergingen. Arthas konnte ihn nicht zuordnen, er war gleichzeitig stechend und schal. Doch nicht unangenehm. Zumindest nicht für jemanden, der an die Gesellschaft verfaulender Toter gewöhnt war.

Schließlich hatte sich der Weg tatsächlich als Abkürzung erwiesen, wie Anub’arak es vorausgesagt hatte. Doch jeder Schritt hatte einen hohen Blutzoll gefordert. Schon bald, nachdem sie eingetreten waren, waren sie angegriffen worden.

Sie kamen aus der Finsternis, ein Dutzend oder mehr Spinnenwesen fiepten wütend, während sie sich auf die Eindringlinge stürzten. Anub’arak und seine Krieger nahmen den Kampf augenblicklich auf.

Arthas hatte den Bruchteil einer Sekunde lang gezögert, dann hatte auch er seinen Trappen den Angriff befohlen. Die großen Höhlen waren erfüllt vom Kreischen und Fiepen der Neruber, dem gutturalen Grunzen der Untoten und den schmerzerfüllten Schreien der Nekromanten, als die Neruber sie mit Gift angriffen. Dicke, klebrige Gespinste fingen einige der Untoten ein und sie mussten hilflos miterleben, wie die Spinnengegner ihnen die Köpfe mit ihren Mandibeln abtrennten oder die messerscharfen Beine benutzten, um sie aufzuspießen und auszuweiden.

Anub’arak war der leibhaftige Albtraum. Er stieß ein schreckliches hohles Geräusch in seiner gutturalen Sprache aus und stürzte sich auf seine ehemaligen Untertanen – mit verheerenden Folgen. Seine Beine schienen allesamt unabhängig voneinander zu agieren und er spießte seine glücklosen Opfer damit auf. Die bösartig wirkenden Greifer trennten Gliedmaßen ab. Die ganze Zeit war die abgestandene Luft derart von Schreien erfüllt, dass selbst Arthas erzitterte.

Der Kampf war erbarmungslos und verlustreich, doch schließlich zogen sich die Neruber in die Schatten zurück, aus denen sie gekommen waren. Sie hatten mehrere der ihren zurückgelassen. Deren acht Beine zappelten wild, bevor die Spinnenwesen sich einrollten und starben.

»Worum zum Teufel geht es hier eigentlich?«, keuchte Arthas und wirbelte zu Anub’arak herum. »Diese Neruber gehören zu Eurer Art. Warum haben sie uns angegriffen?«

»Viele von uns, die während des Kriegs der Spinne fielen, wurden wiederbelebt, um dem Lichkönig zu dienen«, antwortete Anub’arak. »Diese Krieger aber«, und er wies mit dem Vorderbein auf einen der Leichname, »starben niemals. Dummerweise kämpfen sie immer noch, um Nerub von der Geißel zu befreien.«

Arthas blickte auf die toten Neruber hinab. »Wirklich dumm«, murmelte er und hob eine Hand. »Im Tod dienen sie nun demjenigen, den sie im Leben bekämpften.«

Als er schließlich in das schwache Licht der überirdischen Welt hinaustrat und die kalte, saubere Luft einatmete, war seine Armee mit neuen, frisch verstorbenen Rekruten aufgefüllt, die ihm allesamt bedingungslos gehorchten.

Arthas ließ Invincible anhalten. Er zitterte und wollte einfach nur ein Weilchen rasten und die frische Luft genießen.

Die Luft wurde schnell vom verfaulten Gestank seiner eigenen Armee verpestet. Anub’arak kam vorbei, blieb stehen und blickte ihn einen Moment lang unerbittlich an.

»Keine Zeit, um auszuruhen, Todesritter. Der Lichkönig braucht uns. Wir müssen ihm dienen.«

Arthas warf dem Gruftlord einen Blick zu. Der Tonfall des Wesens deutete auf so etwas wie Unmut hin. Diente Anub’arak dem Lichkönig nur, weil er es musste? Würde er sich gegen den Lichkönig wenden, wenn er es könnte? Oder, noch wichtiger, würde er sich gegen Arthas wenden?

Die Kräfte des Lichkönigs schwanden – und so auch die von Arthas. Wenn sie beide schwach genug waren…

Der Todesritter beobachtete, wie der Gruftlord sich entfernte. Er atmete tief ein und aus. Dann folgte er ihm.

Arthas wusste nicht mehr, wie lange sie durch den dichten Schnee und die tobenden Winde gezogen waren. Irgendwann verlor er fast das Bewusstsein, so schwach war er. Nur mit Mühe kam er weiter. Seine eigene Schwäche erschreckte ihn, doch er zwang sich zum Durchhalten. Er durfte nicht versagen, nicht jetzt.

Sie überquerten einen Hügel und Arthas sah den Gletscher in der Mitte des Tals – und die Armee, die ihn dort erwartete. Beim Anblick so vieler Krieger, die nur hier waren, um ihn und den Lichkönig zu bekämpfen, erwachten seine Lebensgeister wieder.

Anub’arak hatte zuvor zahlreiche seiner Kämpfer hier zurückgelassen und sie warteten nun auf ihn, stoisch und bereit. Weiter unten, näher am Gletscher, erblickte er ganz andere umhereilende Gestalten. Er war zu weit entfernt, um sie zu erkennen, doch er wusste, wer diese Leute sein mussten. Sein Blick wanderte nach oben und er hielt den Atem an.

Da war der Lichkönig, tief im Gletscher. Eingesperrt in seinem Gefängnis. Arthas hatte ihn in seinen Visionen gesehen. Er hörte nur mit halbem Ohr zu, als die Neruber zu Anub’arak und Arthas eilten, um sie über die Situation aufzuklären.

»Ihr seid zur rechten Zeit gekommen. Illidans Streitkräfte haben ihre Positionen am Fuß des Gletschers eingenommen und…«

Arthas schrie, als ihn der schlimmste Schmerz erfasste, den er je erlebt hatte. Erneut wurde seine Welt blutrot, als die Krämpfe durch seinen Körper fuhren. So nah beim Lichkönig war die Qual, die er mit dem großen Wesen teilte, hundertfach schlimmer.

»Arthas, mein Held. Du bist schließlich gekommen.«

»Herr«, flüsterte Arthas, seine Augen waren geschlossen und er hatte die Finger gegen die Schläfen gedrückt. »Ja, ich bin gekommen. Ich bin hier.«

»In meinem Gefängnis ist ein Riss, der vereiste Thron und meine Energien sickern daraus hervor«, fuhr der Lichkönig fort. »Deshalb schwinden deine Kräfte.«

»Doch wie kann das sein?« Hatte ihn jemand angegriffen? Arthas sah keinen unmittelbaren Feind, sicherlich war er nicht zu spät gekommen…

»Die Runenklinge, Frostgram, war einst in dem Thron eingeschlossen. Ich stieß sie aus dem Eis, damit sie ihren Weg zu dir finden konnte… und dich so letztlich zu mir führte.«

»Ich… verstehe«, hauchte Arthas.

Der Lichkönig war reglos im Eis gefangen. Er musste das große Schwert mit reiner Willenskraft durch die gefrorene Schicht bewegt und es zu Arthas gesandt haben.

Jetzt erinnerte er sich wieder daran, wie das Eis, in dem Frostgram steckte, damals ausgesehen hatte – es hatte wie zerbrochen gewirkt, als würde es zu einem größeren Stück gehören. So viel Macht… gebündelt, um Arthas hierher zu bringen. Schritt für Schritt war Arthas hergeführt worden. Geleitet. Kontrolliert…