Als sie die Tür öffnete und den Raum betrat, sah sie zu ihrer Überraschung jedoch nicht Amanda, sondern Doug Stavenger.
»Hallo, Pancho«, sagte er und erhob sich. »Ich möchte mich für diese Geheimniskrämerei entschuldigen.«
Der Raum war anscheinend ein Wartebereich. Kleine, aber bequeme Polstersitze waren entlang der Wände aufgereiht. Ein Holo-Fenster zeigte einen Ausschnitt der Erde in Echtzeit. In der rückwärtigen Wand war eine zweite Tür.
»Ich bin mit Mandy verabredet«, sagte Pancho.
»Sie wird in ein paar Minuten hier sein.«
Doug Stavengers Familie hatte einst die Mondbasis gegründet, den Außenposten auf dem Mond, der zur Keimzelle der Nation von Selene geworden war. Er hatte die Mondbasis im kurzen, siegreichen Krieg gegen die alten Vereinten Nationen und die Friedenstruppen geführt und schließlich die Unabhängigkeit der Mondgemeinschaft von der Erde erkämpft. Stavenger selbst hatte den Namen ›Selene‹ für die junge Mondnation gewählt.
Obwohl er eine ganze Generation älter war als Pancho, sah Stavenger nicht älter aus als dreißig: Er war ein stattliches, kräftiges Mittelgewicht, dessen gebräunte Haut nur eine Nuance heller war als ihre. In seinem Körper wimmelte es von therapeutischen Nanomaschinen, die Mikroben zerstörten, Fett- und Kalkablagerungen in den Arterien beseitigten und das Gewebe regenerierten, wodurch er physikalisch jung gehalten wurde. Sie hatten ihm schon zweimal das Leben gerettet. Offiziell war Stavenger vor vielen Jahren zurückgetreten, doch jeder wusste, dass er die graue Eminenz in Selene war. Sein Einfluss erstreckte sich bis in den Asteroidengürtel und zur Station für Fusionsbrennstoff-Gewinnung im Orbit um Jupiter. Doch der Weg zur Erde war ihm versperrt; die weltweite Ächtung der Nanotechnik bedeutete, dass keine Nation der Erde ihn innerhalb ihrer Grenzen dulden würde.
»Was machen Sie denn hier?«, fragte Pancho und setzte sich auf den Sitz neben Stavenger.
Er hielt für einen Moment inne und erwiderte dann: »Das soll Amanda Ihnen sagen.«
»Und weshalb ist sie hier?«
Stavenger lächelte nur wie eine Sphinx.
Bei jedem anderen wäre Pancho fuchsteufelswild geworden. Sie spürte auch, wie ihre Brauen sich zusammenzogen. »Läuft hier irgendeine Art von Spiel?«
Stavengers Lächeln verschwand. »Ja, in der Tat.«
Die innere Tür ging auf, und Amanda trat in den Raum. Sie trug ein topmodisches weites, blaugraues Sweatshirt, das über der dunklen Crinkle-Hose den Bauch freiließ. Nach der neusten Mode hatte sie sich eine animierte Tätowierung auf die Hüfte gesprüht: eine Prozession bunter Elfen und Trolle, deren endloser Marsch von Amandas Körperwärme angetrieben wurde. Ihr hellblondes Haar wirkte leicht derangiert. Obwohl sie Pancho anlächelte, war ihr Gesichtsausdruck alles andere als glücklich. Sie wirkte blass und angespannt.
Stavenger erhob sich, doch Pancho war schneller. Sie stürzte sich förmlich auf Amanda, schlang die Arme um sie und drückte sie an sich.
»Meine Güte, Mandy, ich freue mich so, dich endlich zu sehen.« Ohne deinen Hurensohn von Ehemann zwischen uns, fügte Pancho im Geist hinzu.
Amanda schien genau zu verstehen, wie Pancho sich fühlte. Sie legte Pancho für einen Moment die Hand auf die Schulter und murmelte: »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Pancho.«
Dann lösten sie sich wieder voneinander und setzten sich gegenüber. Stavenger zog einen dritten Stuhl heran und setzte sich zu ihnen.
»Der Raum ist sauber«, sagte er. »Was auch immer wir hier besprechen, wird nicht nach draußen dringen. Und die anderen Warteräume in diesem Korridor sind alle leer.«
Pancho wurde sich bewusst, dass die Sicherheitsleute draußen im Gang aus Selene waren und nicht von Humphries Space Systems.
»Was hat das alles überhaupt zu bedeuten?«, fragte sie.
»Ich muss dir etwas sagen, Pancho«, sagte Amanda.
»Muss wohl wichtig sein.«
»Es geht um Leben und Tod«, murmelte Stavenger.
»Martin plant eine Aktion gegen Astro«, sagte Amanda. »Er hat eine Stinkwut auf dich, Pancho. Er glaubt, dass du Lars versorgst und ihm beim Überfall auf HSS-Schiffe hilfst.«
»Das ist doch Unsinn«, sagte Pancho unwirsch. »Teufel, er hat im letzten Monat drei von Astros Roboterfrachtern abgeschossen. Beim ersten glaubte ich noch, dass Lars es vielleicht getan hätte, aber doch nicht drei.«
»Lars würde deine Schiffe auch nicht angreifen, Pancho«, sagte Amanda.
Stavenger pflichtete ihr bei. »Da liegt was in der Luft, das steht mal fest. Irgendjemand pumpt Geld in diese neue afrikanische Firma.«
»Nairobi Industries«, sagte Pancho. »Sie errichten eine Anlage im Shackleton-Krater in der Nähe des Südpols.«
»Und Martin unterstützt sie?«
»Entweder Humphries oder ein dritter Mitspieler, der sich bisher im Hintergrund hält«, sagte Stavenger.
»Der Stecher heckt immer irgendwas aus«, sagte Pancho finster. »Er wollte sich Astro doch schon die ganze Zeit krallen.«
»Falls er die Kontrolle über die Astro Corporation erringt«, prophezeite Stavenger, »wird er ein Monopol auf alle Weltraumoperationen von hier bis zum Gürtel haben. Und die Felsenratten werden ihm dann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein. Und auch Selene«, fügte er grimmig hinzu.
»Ich glaube, was auch immer Martin plant, könnte in Gewalt münden«, sagte Amanda. »Er baut die Basis auf Vesta wieder auf, die Lars zerstört hat. Er hat eine kleine Söldner-Armee angeheuert.«
Pancho hatte von ihren Nachrichtenleuten schon die gleiche Kunde erhalten.
»Aber wieso stürzt er sich in solche Kosten?«, fragte Stavenger sich.
»Weil er die Kontrolle über Astro erringen will. Und weil er die Kontrolle über überhaupt alles erringen will«, sagte Amanda.
»Einschließlich Lars«, sagte Pancho.
»Er hat versprochen, Lars nichts zu tun«, sagte Amanda. Aber sie schien nicht sonderlich überzeugt davon zu sein, sagte Pancho sich.
»Und das glaubst du ihm?«
Amanda wandte den Blick ab und sagte bitter: »Früher habe ich es geglaubt. Jetzt nicht mehr.«
Pancho nickte. »Ich auch nicht.«
»Ich dachte, dass wir das vor acht Jahren alles geklärt hätten«, sagte Stavenger. »Ihr beiden wart euch doch einig, den Kampf zu beenden.«
»Astro hat die Vereinbarung direkt eingehalten«, sagte Pancho.
»Humphries ebenfalls«, erwiderte Stavenger. »Bisher zumindest.«
»Aber wieso?«, fragte Pancho wieder. »Wieso fängt er schon wieder mit dem ganzen Mist an? Ist er wirklich so verrückt, dass er der Herr des Universums werden will?«
»Es ist Lars«, sagte Amanda. »Er will Lars töten. Er glaubt, dass ich ihn noch immer liebe.«
»Und liebst du ihn noch?«
Amanda presste die Lippen zusammen. »Deshalb bin ich hier«, sagte sie schließlich.
»Hier? Du meinst im Medizinischen Zentrum?«
»Ja.«
»Ich verstehe nicht, Mandy.«
Sie holte tief Luft. »Das Kind, mit dem ich schwanger bin, ist von Lars und nicht von Martin.«
Pancho hatte das Gefühl, als ob jemand ihr einen Hieb auf den Solarplexus versetzt hätte. »Lars? Wie, zum Teufel, hast du …«
»Wir haben vor ein paar Jahren Zygoten tiefgekühlt und eingelagert«, sagte Amanda. »Damals, als Lars und ich mit der alten Starpower zum ersten Mal in den Gürtel geflogen sind. Wir wussten, dass wir gefährlichen Strahlungsdosen ausgesetzt sein könnten. Also haben wir ein paar Eier von mir befruchtet und in Selene eingelagert.«
»Und nun hast du dir eins einsetzen lassen«, sagte Pancho mit hohler Stimme.
Amanda nickte langsam und sagte: »Martin glaubt, ich würde seinen Sohn austragen. Aber es ist Lars' Sohn.«
»Wenn er das herausfindet, wird er euch beide töten.«
»Deshalb habe ich es hier tun lassen. Doug hat die Vorbereitungen für mich getroffen und das medizinische Personal besorgt. Er hat alle Sicherheitsvorkehrungen arrangiert.«