Der erste Laserschuss richtete kaum mehr Schaden an, als die dünne Hülle der Ladebucht dei Roebuck zu perforieren. Als die Luft aus der Ladebucht strömte, erteilte der Söldner-Kommandant den Befehl, die Luken zu öffnen und das Feuer auf die Nautilus zu erwidern.
Im Cockpit spürte Abrams, dass am ganzen Körper der kalte Schweiß ausbrach. »Er schießt auf uns!«
Wanmanigee verspannte sich auch. »Wir müssen die Raumanzüge anlegen! Schnell!«
Das waren ihre letzten Worte.
Fuchs hatte die Augen auf den Hauptbildschirm geheftet und sah, wie die Ladeluken der Roebuck sich öffneten.
»Sie schießen zurück«, meldete Amarjagal mit monotoner und ruhiger Stimme.
»Alle Waffen Feuer«, sagte Fuchs. »Schießt sie in Stücke.«
Es war ein höchst ungleicher Kampf. Die Laserstrahlen der Roebuck perlten förmlich von der Kupferarmierung der Nautilus ab. Die fünf Laserkanonen der Nautilus hingegen durchstachen die dünne Hülle der Roebuck und zersägten die Ladebucht und die Besatzungskapsel innerhalb weniger Sekunden. Fuchs sah ein paar Gestalten in Raumanzügen aus dem Wrack taumeln.
»Feuer einstellen«, sagte er.
»Sollen wir sie aufsammeln?«, fragte Nodon und wies mit dem Finger auf das Bild der hilflos treibenden Leute in den Raumanzügen.
»Willst du deine Rationen mit ihnen teilen?«, fragte Fuchs ihn spöttisch.
Nodon zögerte. Er war offensichtlich hin- und hergerissen.
»Und wenn wir sie an Bord nehmen, was sollten wir dann mit ihnen tun? Wie werden wir sie wieder los? Glaubst du vielleicht, wir können nach Ceres zurückfliegen und sie dort absetzen?«
Nodon schüttelte den Kopf. Dennoch drehte er sich noch einmal zu den hilflosen Gestalten um, die inmitten der Trümmer dessen trieben, was vor ein paar Minuten noch ein Raumschiff gewesen war. Sein Finger schwebte über der Funktastatur.
»Geh nicht auf ihre Frequenz«, befahl Fuchs ihm. »Ich will ihr Betteln nicht hören.«
Für eine Weile betrachteten Fuchs und die Besatzung der Brücke die im All treibenden Gestalten. Sie mussten um Hilfe schreien, sagte Nodon sich. Uns um Gnade anflehen. Aber wir hören sie nicht.
Schließlich brach Fuchs das Schweigen. »Beschleunigung ein Drittel Ge«, befahl er. »Wir gehen wieder auf den ursprünglichen Kurs. Suchen wir lieber nach einem echten Versorgungsschiff, um die Vorräte aufzufüllen.«
»Aber …«
»Das sind Söldner«, sagte Fuchs schroff. »Auftragskiller. Sie sind hergekommen, um uns zu töten. Nun werden sie tot sein. Das ist kein großer Verlust.«
Nodon schaute noch immer unglücklich. »Aber sie werden sterben. Sie werden … für immer da draußen treiben.«
»Sieh es mal so«, sagte Fuchs mit eisenharter Stimme. »Wir haben den Gürtel um ein paar kleine Asteroiden bereichert.«
Selene: Hauptquartier der Astro Corporation
»Sabotiert.« Pancho wusste, dass das wahr war, wenn sie es auch nicht glauben wollte.
Doug Stavenger schaute grimmig. Er saß mit einer hellen beigefarbenen Hose bekleidet angespannt vor Panchos Schreibtisch. Nur das schwache Flimmern in der Luft um ihn herum verriet, dass seine Präsenz ein Hologramm war; ansonsten wirkte er so massiv und echt, als ob er wirklich in Panchos Büro wäre, anstatt in seinem eigenen Büro in einem der Türme, die die Kuppel der Grand Plaza trugen.
»Es hätte schlimmer kommen können«, sagte er. »Ein paar Stunden nach Ihrer Rettung brach ein Sonnensturm aus. Wir mussten alle Oberflächen-Operationen wegen der Strahlung abbrechen. Wenn der Sturm etwas früher eingesetzt hätte, wären Sie in der Kabine gegrillt worden.«
»Niemand vermag Sonnenstürme mit einer solchen Präzision vorherzusagen«, gab Pancho zu bedenken.
»Nein, ich glaube nicht.«
»Aber — Sabotage?«, wiederholte sie.
»Das geht jedenfalls aus unserer Untersuchung hervor«, erwiderte Stavenger. »Wer auch immer sie verübte, ging nicht gerade sehr subtil vor. Es wurde ein Sprengsatz benutzt, um die Räder zu zerstören, an denen die Seilbahn läuft. Die Druckwelle hat darüber hinaus einen der Masten beschädigt.«
Pancho stützte beide Ellbogen auf den Schreibtisch. »Doug, damit sagen Sie nichts anderes, als dass wir Terroristen in Selene haben.«
Stavenger schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Aber wer würde eine Seilbahnkabine sabotieren wollen? Das ist die Art von zielloser Gewalt, die ein Terrorist ausüben würde. Oder ein Wahnsinniger.«
»Oder ein Attentäter.«
Pancho krampfte sich der Magen zusammen. Das war es. Zu diesem Schluss waren ihre Sicherheitsleute nämlich gleich gekommen. Und doch hörte sie sich »Mörder?« fragen.
»Selenes Ermittler glauben, dass jemand versuchte, Sie zu töten, Pancho.«
Und dreiundzwanzig weitere Menschen, die zufällig auch in der Seilbahn waren, sagte sie sich.
»Was meinen Ihre Sicherheitsleute?«, fragte Stavenger.
»Genau das Gleiche«, erwiderte sie.
»Das überrascht mich nicht«, sagte Stavenger.
»Mich auch nicht«, sagte sie. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass er versuchen würde, mich zu töten«, gestand sie dann.
»Er?«
»Humphries. Wer denn sonst?«
Und sie erinnerte sich an den Wortwechsel auf Humphries' Party:
Wieso treten Sie nicht ehrenhaft zurück, Pancho, und überlassen mir meinen rechtmäßigen Platz als Vorsitzender der Astro Corporation?
In Ihren Träumen, Martin.
Dann werde ich eben einen anderen Weg finden müssen, die Kontrolle über Astro zu übernehmen.
Nur über meine Leiche.
Vergessen Sie nicht, dass Sie das gesagt haben, Pancho. Ich war's jedenfalls nicht.
Dieser Hundesohn, sagte Pancho sich.
Stavenger atmete tief durch. »Ich werde hier in Selene keine Auseinandersetzung dulden.«
Pancho wusste, was er damit meinte. Wenn Astro und Humphries sich bekriegen wollten, dann sollten sie es im Gürtel austragen.
»Doug«, sagte sie ernst, »ich will keinen Krieg. Ich glaubte, dass wir das Kapitel vor acht Jahren beendet hätten.«
»Ich auch.«
»Der Hurensohn will die Kontrolle über Astro, und er weiß auch, dass ich nicht zur Seite trete und ihn das Ruder werde übernehmen lassen.«
»Pancho«, sagte Stavenger müde und rieb sich die Augen, »Humphries will die Kontrolle über den Gürtel und alle seine Ressourcen. Das ist klar.«
»Und wenn er den Gürtel dann hat, wird er die Kontrolle übers ganze Sonnensystem haben. Und alle, die darin leben.«
»Einschließlich Selene.«
Pancho nickte. »Einschließlich Selene.«
»Ich kann das nicht zulassen.«
»Was gedenken Sie also in dieser Angelegenheit zu tun, Doug?«
Er breitete die Hände in einer Geste der Ratlosigkeit aus. »Das ist es ja gerade, Pancho. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas tun kann. Humphries will schließlich nicht die politische Kontrolle über Selene übernehmen. Er strebt nur nach wirtschaftlicher Macht. Er weiß, dass er, wenn er die Ressourcen des Gürtels kontrolliert, Selene und allen anderen Körperschaften die Daumenschrauben anlegen kann. Unsere politische Selbständigkeit wird er vielleicht nicht antasten. Aber wir werden das Wasser und die meisten anderen Rohstoffe von ihm kaufen müssen.«
Pancho schüttelte den Kopf. Einst war Selene praktisch autark gewesen: Man hatte Wasser aus den Eisvorkommen an den Mondpolen gewonnen und Rohstoffe aus dem Regolith an der Oberfläche des Mondes. Selene exportierte sogar Fusions-Brennstoffe zur Erde und lieferte auch das Aluminium und Silizium, um Solarkraftwerks-Satelliten in der Erdbahn zu bauen.