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»Sie sind eine große Künstlerin. Ich habe schon von Ihnen gehört.«

»Vielen Dank.«

»Für die Wahrheit? Keine Ursache.«

Ich war mal eine große Künstlerin, sagte Elverda sich. Früher. Vor langer Zeit. Nun bin ich nur noch eine alte Frau, die auf den Tod wartet.

»Haben Sie schon Arbeiten von mir gesehen?'«, fragte sie.

»Nur Hologramme«, sagte Dorn mit schwerer Stimme. »Ich wollte mir Den Gedenkenden einmal in natura ansehen, doch dann ist mir etwas dazwischengekommen.«

»Sie waren damals Soldat?«

»Ja. Priester bin ich erst, seit ich an diesen Ort kam.«

Elverda wollte ihm noch mehr Fragen stellen, doch Dorn blieb vor einer schmucklosen Tür stehen und öffnete sie für sie. Im ersten Moment glaubte sie, er wolle mit seiner Handprothese nach ihr greifen. Sie wich vor ihm zurück.

»Ich werde mich in elf Stunden und sechsundfünfzig Minuten wieder bei Ihnen melden«, sagte er, als ob er ihren Abscheu nicht bemerkt hätte.

»Vielen Dank.«

Er schwenkte herum wie eine Maschine und wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie«, rief Elverda. »Bitte — wie viele Menschen gibt es hier noch? Es ist so still hier.«

»Es gibt sonst niemanden mehr. Nur uns drei.«

»Aber …«

»Ich bin der Leiter der Sicherheitsabteilung. Ich habe die anderen Angehörigen meines Kommandos angewiesen, zu unserem Raumschiff zurückzukehren und dort zu warten.«

»Und die Wissenschaftler? Die Prospektoren-Familie, die diesen Asteroiden gefunden hat?«

»Sie sind in Mr. Humphries' Raumschiff, mit dem auch Sie hierher gekommen sind«, sagte Dom. »Sie stehen unter dem Schutz meiner Abteilung.«

Elverda schaute ihm in die Augen. Was auch immer in ihnen brannte, sie vermochte es nicht zu ergründen.

»Dann sind wir also allein hier?«

Dorn nickte gemessen. »Sie und ich — und Mr. Humphries, der die Zeche zahlt.« Die menschliche Hälfte des Gesichts war so reglos wie die metallische. Elverda vermochte nicht zu sagen, ob sein Ausspruch humorvoll oder bitter gewesen war.

»Vielen Dank«, sagte sie. Er wandle sich ab, und sie schloss die Tür.

Ihre Unterkunft bestand aus einem einzigen Raum; er war mollig warm, aber kaum größer ah die Kabine in dem Schiff, mit dem sie hier eingetroffen wann. Elverda sah, dass ihre Reisetasche mit den paar Habseligkeiten schon auf dem Bett lag. Der abgegriffene, alte Zeichencomputer lag im verschrammten Koffer auf dem Schreibtisch. Sie hatte das Gefühl, dass der Notebook-Koffer sie anklagend anstarrte. Ich hätte ihn zu Hause lassen sollen, sagte sie sich. Ich werde ihn sowieso nie mehr benutzen.

Ein kleiner Dienstrobot, kaum mehr als eine glänzende Metalltrommel mit sechs Armen, die wie bei einer Gottesanbeterin gefaltet waren, stand stumm in einer Ecke an der Rückwand des Raums. Elverda betrachtete ihn für einen Moment. Wenigstens handelte es sich um eine kompromisslose Maschine und nicht um einen selbstverstümmelten Menschen. Erst die schönste Gestalt im Universum anzunehmen und sie dann in einen Hybrid-Mechanismus zu verwandeln war eine Travestie der Menschlichkeit. Wieso hat er das getan? Um ein noch besserer Soldat zu werden? Eine noch effizientere Kampfmaschine?

Und wieso hat er die anderen weggeschickt, fragte sie sich, während sie die Reisetasche öffnete. Als sie die Toilettenartikel in die kleine Nasszelle brachte, kam ihr ein Gedanke. Hat er sie weggeschickt, bevor er das Artefakt sah oder erst hinterher? Hat er es überhaupt gesehen? Vielleicht …

Da erblickte sie sich im Spiegel überm Waschbecken. Ihr Herz sank. Früher hatte man sie als königlich bezeichnet, wunderschön, eine Göttin aus Kupfer. Nun wirkte sie verwelkt, vertrocknet und war nur noch Haut und Knochen. Ihr Gesicht war wie ein Baumquerschnitts-Relief mit unzähligen Jahresringen, und die Fliegerkombination schlackerte um ihre magere Gestalt.

Du bist alt, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. Alt und schmerzgepeinigt und müde.

Das kommt von der langen Reise, sagte sie sich. Du musst dich ausruhen. Doch die andere Stimme im Bewusstsein lachte spöttisch. Du hast doch nichts anderes getan als dich ausgeruht in der ganzen Zeit, die die Reise zu diesem Felsbrocken gedauert hat. Du bist reif für die ewige Ruhe; mach dir doch nichts vor.

Sie hatte an der Universität von Selene gelehrt. Weiter als bis zum Mond vermochte sie sich nach einem langen Leben in Niedergravitations-Umgebungen der Erde nicht mehr zu nähern. Aber nah genug, um ihrer Heimatwelt ansichtig zu werden, der einen Welt mit Leben und Wärme im Sonnensystem — der einzige Ort, wo ein Mensch frei unter der Sonne wandeln und sich von ihrer Wärme durchdringen lassen konnte, wo man die fruchtbare Erde roch, die diese Vielfalt hervorbrachte, und wo man eine kühle Brise spürte, die einem durchs Haar strich.

Doch sie hatte für immer von der Erde Abschied genommen. Sie hatte auf den Eisschollen von Europas gefrorenem Ozean gestanden; aus einem umkreisenden Raumschiff hatte sie die kaleidoskopartig wirbelnden Wolken von Jupiter mit ihrer Farbenpracht geschaut, und sie hatte den kilometerlangen Felsbrocken Des Gedenkenden modelliert. Aber sie konnte nicht mehr in ihre Heimatstadt zurückkehren, der donnernden Brandung des Pazifiks lauschen und sehen, wie die weißen Wolken die Gestalten imaginärer Tiere annahmen.

Ihre kreative Phase war längst beendet. Sie hatte schon zu lange gelebt; sie hatte keine Freunde mehr, und eine Familie hatte sie nie gehabt. Es gab keinen Sinn mehr in ihrem Leben, keinen Antrieb mehr, etwas zu tun, außer auf den Tod zu warten. Sie lehnte die Verjüngungstherapien ab, die ihr angeboten wurden. An der Universität widmete sie sich nicht mehr der Kunst, sondern war nur noch Mentorin der Studenten, in denen das Feuer der Inspiration heiß loderte. Ihr Leben war eine Bilanz all der Dinge, die sie nicht zustande gebracht hatte, und aller Fehlschläge, an die sie sich erinnerte. Das Scheitern in der Liebe war das Bitterste. Sie wurde als die größte Künstlerin des Sonnensystems verehrt: die Schöpferin Des Gedenkenden, die Schöpferin des ersten großen Ionosphären-Gemäldes, Der Jungfrau der Anden. Sie wurde respektiert, aber nickt geliebt. Sie fühlte sich leer, einsam, nutzlos. Es gab nichts, worauf sie sich noch freuen konnte — rein gar nichts.

Dann fegte Martin Humphries wie ein Wirbelsturm in ihr Leben. Ein Lebensalter jünger, ebenso draufgängerisch wie vital und skrupellos stürmte er mit der Nachricht ihren akademischen Elfenbeinturm, dass ein fremdartiges Artefakt in den Tiefen des Asteroidengürtels entdeckt worden sei.

»Es ist eine Art Kunstform«, sagte er außer sich vor Erregung. »Sie müssen mit mir kommen und es sich ansehen.«

Elverda versuchte, die lang vergessene Sehnsucht zu beherrschen, die sich in ihr regte, und fragte: »Wieso sollte ich wohl mit Ihnen gehen, Mr. Humphries? Wieso ausgerechnet ich? Ich bin eine alte Frau …«

»Sie sind die größte Künstlerin unserer Zeit«, hatte er wie aus der Pistole geschossen geantwortet. »Sie müssen das einfach sehen! Und kommen Sie mir jetzt nur nicht mit falscher Bescheidenheit. Sie sind der einzige andere Mensch im ganzen Sonnensystem, der es verdient hat, das zu sehen!«

»Der einzige andere Mensch außer wem?«, hatte sie gefragt.