Habitat Chrysallis
Big George kam zu ihrer Begrüßung in die Luftschleuse, als Pancho ihr privates Fusionsschiff Starpower III verließ und an Bord des Felsenratten-Habitats in der Umlaufbahn um Ceres ging.
»Willkommen in unserem bescheidenen Heim«, sagte George mit übertriebener Geste.
Pancho grinste ihn an. »Gut, hier zu sein, Georgie. Machste mir 'ne Zehn-Dollar-Führung?«
»Logo.«
George geleitete sie fast halbwegs durch den rotierenden Komplex miteinander verbundener Raumschiffe. Pancho liebte es, George damit aufzuziehen, dass das Habitat wie ein fliegender Schrottplatz aussah. Als sie sich aber im Innern des Raumschiff-Ensembles befand, musste sie zugeben, dass das Habitat sauber, behaglich und sogar ganz ansehnlich war. Die miteinander verbundenen Schiffe hatten einen individuellen Anstrich, wobei es sich vorwiegend um freundliche Pastelltöne handelte. Allerdings gab es hier und da auch ein paar stärkere farbige Akzente, und manche Luken wurden gar von kreativen Designs geziert. Es roch neu und frisch, ein himmelweiter Unterschied zu den stauberfüllten Höhlen und Tunnels von Ceres.
Während sie durch die Luken von einem Raumschiff zum anderen gingen, zeigte George Pancho stolz die Unterkünfte, Gemeinschaftsräume, Laboratorien, Werkstätten, Lagerräume und Geschäftsbüros, die den wachsenden Komplex ausmachten.
»Hier leben fast eintausend Menschen«, erklärte er, »und jede Woche werden es mehr.«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Pancho. »Bin ich wirklich. Ihr Leute habt verdammt gute Arbeit geleistet.«
George lächelte jungenhaft hinter seinem dicken roten Bart.
Die Tour endete an einer verschlossenen Stahltür mit der Aufschrift NANOTECH-LABOR. Pancho war überrascht und verspürte plötzlich einen Anflug von Hoffnung.
»Sag nur nicht, dass Kris zurück ist!«
»Nee«, erwiderte George und gab den Zugangscode auf der Tastatur neben der Tür ein. »Dr. Cardenas ist noch immer auf der Saturn-Expedition.«
»Aber sie ist nicht das einzige Nanotech-Genie in der Welt, weißt du«, sagte er und stieß die Tür auf. »Wir haben auch ein paar Spezialisten hier.«
Im Nanotech-Labor herrschte eine schier unheimliche Stille. Pancho sah glänzende weiße und Edelstahl-Schranke, mit denen die Wände gesäumt waren, und eine doppelte Reihe von Arbeitstischen, auf denen Metallkästen und Instrumente lagen. In einer Ecke identifizierte sie die graumetallenen Röhren eines Rasterkraftmikroskops, doch die übrige Ausrüstung war ihr fremd.
»Arbeitet hier irgendjemand?«, fragte sie. Von ihnen beiden abgesehen schien das Labor menschenleer.
»Müsste eigentlich«, sagte George mit leicht gerunzelter Stirn. »Ich hatte ihnen gesagt, dass wir hier vorbeikommen würden.«
»Entschuldigung«, sagte eine leise Stimme hinter ihnen.
Pancho drehte sich um und sah einen übergewichtigen jungen Mann mit zu einem Pferdeschwanz gebundenen dunklem Haar, einem ordentlich gestutzten Bart und einem leicht verwirrten Ausdruck auf seinem rundlichen Gesicht. Die buschigen dunklen Brauen waren leicht gewölbt, als ob er irritiert wäre. Die Lippen hatte er zu einem sparsamen Lächeln gekräuselt, als ob er um Entschuldigung bitten oder sich rechtfertigen wollte. Er trug einen schlichten grauen Overall, mit dem jedoch eine bunt karierte Weste darüber kontrastierte. Keine Tätowierungen oder Schmuck außer einem massiven rechteckigen Goldring an der rechten Hand.
»Ich musste mal eine Pause machen«, sagte er mit einer sanften, fast weiblichen Stimme. »Es tut mir Leid, dass ich nicht hier war, als Sie hereinkamen.«
George klopfte ihm leicht auf die Schulter, doch das genügte schon, dass der junge Mann ins Wanken geriet. »Alles in Ordnung, Lev. Wenn Sie gehen müssen, dann gehen Sie eben.«
Er stellte Pancho Levi Levinson vor und fügte dann hinzu: »Lev ist vom MIT. Der klügste Kopf, den wir haben. So 'ne Art Wunderkind.«
Levinson wirkte überhaupt nicht verlegen bei Georges Lobrede. »Ich habe sehr viel von Dr. Cardenas gelernt, bevor sie abreiste.«
»Zum Beispiel?«, versuchte Pancho ihn aus der Reserve zu locken.
Das Lächeln von Levinson nahm einen etwas hochmütigen Ausdruck an. »Ich werde es Ihnen zeigen. Ich habe einen Versuchsaufbau vorbereitet.« Er wies auf einen der Arbeitstische.
George zog zwei Hocker heran und bot Pancho einen an, während er erklärte: »Ich bin seit Jahren immer wieder mit der Bitte an Kris herangetreten, sich Gedanken zu machen, wie man Nanomaschinen einsetzen könnte, um die Metalle aus dem Asteroiden-Erz abzuscheiden. Lev glaubt, dass er das Problem nun gelöst hat.«
Pancho war beeindruckt. »Haben Sie?«, fragte sie an Levinson gewandt.
Er machte einen ruhigen und zuversichtlichen, beinahe selbstgefälligen Eindruck. »Schauen Sie«, war alles, was er sagte.
Pancho schaute. Levinson nahm einen dunklen Brocken von der Größe einer Kartoffel, der von einem metallischen Asteroiden stammte, und deponierte ihn in einem der großen Metallbehälter auf dem Arbeitstisch. Ein halbes Dutzend transparenter Kunststoffschläuche führte vom Behälter zu kleineren Gefäßen weiter unten auf der Bank. Pancho sah, dass auf einer Zeituhr ein Countdown gestartet wurde, als Levinson den Deckel mit einem Klicken schloss.
»Es gehört nicht viel dazu, Nanomaschinen darauf zu programmieren, ein spezifisches Element von einer uneinheitlichen Probe zu trennen«, sagte er. »Nanos sind durchaus imstande, spezifische Atome von einer beliebigen Materialprobe abzuscheiden. Es ist nur eine Frage der richtigen Programmierung.«
»Äh … ja«, sagte Pancho.
»Das Problem hat bisher lediglich darin bestanden, alle verschiedenen Elemente in einem Asteroiden gleichzeitig zu trennen, ohne dass die Nanos sich ins Gehege kommen.«
»Und in einer Hoch-UV-Umgebung«, ergänzte George.
Levinson zuckte die runden Schultern. »Das war noch eine leichte Übung. Man musste die Nanos nur härten, damit sie nicht zerfielen.«
»Sie meinen, dass die Nanomaschinen durch ultraviolettes Licht nicht zerstört werden?«, fragte Pancho mit einem Fingerzeig auf den versiegelten Behälter.
»Deshalb habe ich sie gerade im Behälter versiegelt«, erwiderte Levinson. »Falls sie sich ausbreiten, würden sie das Habitat Atom für Atom auseinander nehmen.«
»Meine Güte«, murmelte Pancho.
»Es ist völlig sicher«, sagte Levinson ruhig. »Der Behälter ist mit einer Diamantschicht ausgekleidet, und die Nanos sind nicht auf die Trennung von Kohlenstoff programmiert.«
»So können sie auch keine Menschen angreifen«, sagte George.
Levinson nickte, aber Pancho sagte sich, dass Menschen auch Eisen, Phosphor und viele andere Elemente enthielten, auf deren Trennung die Nanomaschinen durchaus programmiert waren. Vielleicht ließ Kris es deshalb so langsam mit diesem Projekt angehen, sagte sie sich.
Eine Klingel ertönte. Ein Elektromotor surrte. Pancho sah ein paar Tropfen von etwas, das wie Schmutz oder Staub aussah, durch die sechs transparenten Röhren zu den Behältern auf der Arbeitsbank herunterrinnen. Bei genauerem Hinsehen schienen ein paar der wachsenden Zusammenballungen im Licht der Deckenbeleuchtung zu glitzern.
»Die Transportröhren sind auch aus reinem Diamant«, sagte Levinson. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass doch noch ein paar Nanomaschinen in den jeweiligen Proben vorhanden sind.«
Pancho nickte wortlos.
Levinson untersuchte die Schmutzanhäufungen der Reihe nach mit einem tragbaren Massenspektrometer. Reines Eisen, reines Nickel, Gold, Silber, Platin und Blei.