Trotzdem sagte sie sich beim Anblick des jungen Mannes, dessen Finger über die Tastatur der Steuerkonsole huschten, dass es ihr Spaß machen würde, alles aus dieser Kiste herauszuholen.
»Das ist der Punkt, stimmt's?«, fragte George. Er stand hinter dem Pilotensitz und beugte sich nun etwas nach vorn, um aus der Frontscheibe zu sehen. Nichts zu erkennen außer der Wüstenei des dunklen leeren Raums, die mit feierlichen, stetig leuchtenden Sternen durchsetzt war.
Der Name des Piloten war Oskar Johannson. Trotz seines jugendlichen Erscheinungsbilds verkehrte er förmlich und steif mit George und Pancho.
»Ja, Sir«, sagte er und wies auf den Hauptbildschirm der Steuerkonsole. »Das in Gelb sind die Koordinaten, und der blinkende rote Cursor ist unsere Position. Wie Sie selbst sehen, Sir, überlappen sie sich. Wir sind an der richtigen Position.«
George nickte. Pancho bewunderte das starke Kinn von Johannson und die blendend weißen Zähne. Ich wünschte mir, er würde mal lächeln, sagte sie sich. Ich frage mich, was wohl erforderlich wäre, um ihn ein wenig aus der Reserve zu locken.
»Keine Schiffe in Sicht?«
»Nichts in Sicht, Sir, außer einem kleinen Asteroiden etwa fünfhundert Klicks entfernt, ungefähr in der Vier-Uhr-Position.« Er betätigte eine Taste. »Fünfhundertsiebzehn Kilometer, einhundertzweiundzwanzig Grad relativ zu unserer Position, acht Grad Überhöhung.«
Pancho lächelte angesichts der Ernsthaftigkeit des Jungen. »Ich dachte, dass es hier im Umkreis von mindestens tausend Klicks keine Gesteinsbrocken gibt«, sagte sie.
»Asteroiden werden ständig in neue Umlaufbahnen gezwungen, Pancho«, sagte George und zupfte sich am Bart. »Durch Gravitations-Resonanzen vom Jupiter und den anderen Planeten werden die kleineren Asteroiden sozusagen immer wieder neu zusammengewürfelt.«
»Ein unmarkierter Felsen«, sagte sie und widerstand dem Drang, sich selbst ans Display zu setzen. »Wir könnten ihn genauso gut beanspruchen.«
»Um das zu tun, müsste einer von uns in einen Raumanzug steigen und dort eine Markierung anbringen.«
»Wieso denn nicht?«, sagte Pancho und stieß sich vom Sitz ab. »Ich werde es tun. Ihn für Astro beanspruchen.«
»Gib mir eine vergrößerte Ansicht, Oskar«, sagte George. Das Radarbild zeigte einen hanteiförmigen chondritischen Asteroiden, der langsam um die Querachse taumelte.
»Eine Erdnuss«, sagte George. »So sollten wir ihn auch nennen.«
»Ida«, sagte Johannson. »Asteroid Nummer 243.«
»Prahlst du mit deiner höheren Schulbildung, Ossie?«, fragte George.
Johannson wurde tatsächlich rot.
Pancho schob sich an George vorbei und sagte: »Ich werde rausgehen und ihn beanspruchen. Da habe ich wenigstens etwas zu tun, während wir darauf warten, dass Lars auftaucht.«
George drehte sich um und schlüpfte hinter ihr durch die Luke. »Ich werde dir zur Hand gehen, Pancho.«
»Das schaffe ich schon allein«, sagte sie und ging durch den schmalen Gang zur Hauptluftschleuse, wo die Raumanzüge gelagert wurden.
»Du wirst Hilfe beim Anlegen des Raumanzugs brauchen«, rief George ihr nach. »Ich muss selbst auch einen Anzug anlegen, weißt du.«
»Du brauchst nicht …«
»Sicherheitsvorschriften«, sagte George bestimmt. »Jemand muss im Raumanzug in Bereitschaft sein, um bei einem Notfall sofort rauszugehen.«
Pancho schnaufte unwillig, protestierte aber nicht mehr. Sie wusste, dass diese Sicherheitsvorschriften schon viele Astronauten gerettet hatten. Also gestattete sie George, ihr in den Anzug zu helfen und die Dichtungen und Systeme zu überprüfen. Dann half sie George und checkte seinen Anzug durch.
»Was ist denn so komisch?«, fragte George, als er den Kugelhelm über seine wilde rote Mähne stülpte.
Pancho war sich gar nicht bewusst, dass sie grinste. Der Anzug mit George darin schien aus allen Nähten zu platzen. »Georgie, du siehst aus wie ein rothaariger Weihnachtsmann, weißt du das?«
»Ho, ho, ho«, erwiderte er sarkastisch.
Pancho war bereit, die Luftschleuse zu betreten, als die Stimme von Johannson über den Schiffs-Interkom ertönte:
»Ein Schiff nähert sich«, rief er. »Es kommt schnell näher.«
»Laser scharf und bereit, Sir«, sagte der Waffenmeister.
Harbin nickte knapp; den Blick hatte er auf die Abbildung der Mathilda II auf dem Hauptbildschirm der Brücke der Samarkand geheftet. Nichts innerhalb des Erfassungsbereichs außer einem kleinen Asteroiden ungefähr fünfhundert Klicks entfernt.
Die Samarkand war mit zwei starken Kontinuierlichen Lasern bestückt, die von den Schneidwerkzeugen der Felsenratten abgeleitet waren, und mit einer Hochenergiepuls-Waffe, die auf eine Distanz von tausend Kilometern ein zentimetergroßes Loch in die Hülle eines Raumschiffs zu schießen vermochte.
Harbin sah, dass das Besatzungs-Modul der Mathilda nicht in der Visierlinie war; es war von seinem schnell sich nähernden Schiff wegrotiert und wurde durch die Masse des Antriebssystems, der Motoren und großen kugelförmigen Treibstofftanks teilweise abgeschirmt.
»In Bereitschaft bleiben«, befahl Harbin ruhig. Die dreiköpfige Besatzung auf der Brücke saß angespannt da und wartete auf den Feuerbefehl.
Nur noch ein Stückchen näher, sagte Harbin atemlos zur langsam rotierenden Mathilda. Dreh dich noch ein wenig.
Jetzt. Das Besatzungs-Modul war nun deutlich zu sehen.
»Feuer«, sagte Harbin zum Waffenmeister. Um wirklich sicherzugehen, drückte er den roten Knopf auf der Tastatur, die in die Armlehne des Kommandantensitzes eingelassen war.
»Wir haben sie«, wisperte er triumphierend.
Pancho war in der Luftschleuse und schickte sich an, auszusteigen und den namenlosen Asteroiden zu beanspruchen, als sie einen gurgelnden Schrei in den Ohrhörern hörte und Alarmsirenen ein ohrenbetäubendes Heulen anstimmten. »Was ist das?«, schrie sie ins Helm-Mikrofon.
»Weiß nicht«, sagte Georges Stimme. »Hört sich so an, als ob sich die Notfallschotts geschlossen hätten.«
Pancho schlug auf die Luftschleusen-Steuerkonsole und brach den Pumpzyklus ab. Dann öffnete sie wieder die Innenluke. George war im Raumanzug und ließ den Blick durch den Gang schweifen; Sorgenfalten zerfurchten sein bärtiges Gesicht.
»Ich bekomme Johannson nicht ans Interkom«, murmelte er.
»Wir haben einen Luftdruckabfall«, sagte Pancho und wies auf die Schaltfläche am Notfallschott ein paar Meter weiter im Gang.
»Dann lassen wir die Anzüge besser an«, sagte George und ging zur geschlossenen Luke.
Pancho folgte ihm durch drei Luken und durch die Bordküche bis zur Luke, die auf die Brücke führte. Rote Warnlampen zeigten an, dass es auf dem ganzen Weg keinen Luftdruck mehr gab.
»Jesus!«, rief George, als er die Luke aufstieß.
Pancho schaute George über die Schulter und sah, dass in der Frontscheibe der Brücke ein faustgroßes Loch klaffte; die Steuerkonsole war mit hellrotem Blut bespritzt. Johannson war auf dem Sitz zusammengesackt, und der blutige Kopf wackelte auf den Schultern. George ging zu ihm hin und drehte den Pilotensitz etwas. Johannsons Augen waren herausgedrückt worden, und aus dem offenen Mund strömte Blut.
Zum ersten Mal in ihrer langen Karriere als Astronaut und Manager eines Weltraum-Unternehmens erbrach Pancho sich in den Helm ihres Raumanzugs.
»Treffer!«, sagte der Waffenmeister.
Harbin sah, dass sie das Besatzungs-Modul tatsächlich getroffen hatten, wahrscheinlich auf der Höhe der Brücke. Gut.