»Geschwindigkeit drosseln und ans Ziel angleichen«, befahl er. »Näher ran.«
Nun ging es nur noch darum, das Schiff in Stücke zu schneiden und dafür zu sorgen, dass niemand darin überlebte.
Plötzlich gingen die Lichter auf der Brücke aus. Als die trübe Notbeleuchtung anging, sah Harbin, dass die Konsole des Piloten ein rotes Lichtermeer war.
»Was ist los?«, fragte er.
»Funktionsstörung in der Waffengondel«, sagte die Pilotin, während ihre Finger über die Konsolen-Tastatur huschten. »Ausfall der Elektrik und …«
Die Lampen blinkten. Dieses Mal spürte Harbin, wie ein leichter Ruck durchs Schiff ging.
»Wir sind getroffen worden!«, blaffte er.
»Die Mathilda schießt nicht auf uns«, sagte der Navigator und starrte auf den Hauptbildschirm. »Das Schiff ist nicht bewaffnet. Es ist nur ein …«
Die Samarkand schlingerte merklich.
»Wir drehen uns!«, rief die Pilotin. »Treibstofftank Nummer zwei ist getroffen!«
»Sie schießen auf uns«, rief Harbin.
»Aber das können sie doch gar nicht!«
»Irgendjemand schießt aber auf uns!«, insistierte er. »Bring uns von hier weg!«
»Ich versuche, das Schiff unter Kontrolle zu bringen«, schrie die Pilotin mit überschnappender Stimme. Sie war der Panik nahe.
Wir müssten die Raumanzüge anlegen, sagte Harbin sich. Nur dass wir dafür keine Zeit mehr haben.
»Bring uns weg von hier!«, wiederholte er und versuchte dabei ruhig und gemessen zu klingen.
Es ist dieser Asteroid, wurde er sich bewusst. Irgendjemand ist auf diesem Asteroiden und schießt auf uns. Es muss Fuchs sein.
Lars Fuchs stand mit leicht gespreizten Beinen und in die Hüfte gestemmten Fäusten hinter dem Sitz des Piloten. Mit zornig funkelnden Augen studierte er den Bildschirm.
Sie haben auf Georges Schiff gefeuert, sagte er sich. Wieso? Ob sie glaubten, dass ich an Bord war? Oder wollten sie Pancho töten? Wahrscheinlich beides.
»Der Feind flieht«, sagte Nodon. Er sprach mit leiser Stimme und in neutralem Ton, um Fuchs nach Möglichkeit nicht noch mehr zu erzürnen.
»Lass sie abziehen«, sagte Fuchs. »Der Hund hat Prügel bezogen, und es hat keinen Sinn, wenn er kehrtmacht und nach uns schnappt.«
Keines der Besatzungsmitglieder auf der Brücke erhob einen Einwand.
»Sanja«, sagte Fuchs zu dem Mann an der Kommunikations-Konsole, »versuch Kontakt zu dem Schiff herzustellen, das sie angegriffen haben.«
Nach ein paar Minuten erschien Big Georges Gesicht auf dem Schirm; das ziegelrote Haar und der Bart steckten noch immer unter dem Kugelhelm seines Raumanzugs.
»Wir haben einen Mann verloren«, sagte George grimmig. »Keine Schäden an den Systemen des Schiffes.«
Beim Blick über Georges breite Schulter sah Fuchs, dass Besatzungsmitglieder in Raumanzügen die Frontscheibe der Brücke mit Kunstharz abdichteten.
»Wir werden das Schiff in einer halben Stunde wieder mit Druck beaufschlagt haben; vielleicht auch schon früher«, sagte George.
»Pancho ist bei dir?«, fragte Fuchs.
»Ja. Ihr ist nichts passiert.«
»Du sagtest, dass sie mich sprechen wollte.«
»Ich werde sie ans Gerät holen«, sagte George.
Fuchs wartete ungeduldig und kämpfte gegen den Drang an, auf dem engen Raum der Brücke der Nautilus umherzustapfen. Nach ein paar Minuten verschwand Georges Gesicht vom Schirm und wurde durch Panchos Konterfei ersetzt. Sie befand sich anscheinend in einer Privatkabine und trug noch immer den Raumanzug.
»Er hat versucht, Sie zu ermorden«, sagte Fuchs ohne Umschweife.
»Humphries?«, erwiderte sie.
»Wer denn sonst.«
»Vielleicht hatte er es auch auf Sie abgesehen«, sagte Pancho.
»Er hat Amanda versprochen, mich in Ruhe zu lassen«, sagte Fuchs mit vor Ironie triefender Stimme.
Ein sonderbarer Ausdruck erschien auf Panchos Gesicht. Er vermochte nicht zu sagen, was ihr in diesem Moment durch den Kopf ging.
»Es könnte auch ein ›freier‹ Söldner gewesen sein«, sagte sie schließlich. »Viele Leute sind hinter Ihrem Skalp her, Lars.«
Er schüttelte grimmig den Kopf. »Das war kein Freibeuter. Er wusste, wo Sie sein würden, und er wusste auch, dass Sie ein Treffen mit mir arrangieren wollten. Nur einer von Humphries' Agenten würde über solche nachrichtendienstlichen Erkenntnisse verfügen.«
Pancho nickte unterm Helm des Raumanzugs. »Stimmt wohl.«
Fuchs atmete tief durch und sagte: »Also, Pancho, Sie wollten mit mir sprechen. Hier bin ich. Was gibt es denn so Wichtiges?«
Dieser seltsame Ausdruck umwölkte ihr Gesicht plötzlich wieder. »Lars, ich muss mit Ihnen persönlich darüber sprechen. Nicht über eine Funkverbindung.«
»Unmöglich. Sie können nicht an Bord meines Schiffes kommen, und ich werde es auch nicht verlassen. Sprechen Sie jetzt. Worum geht es?«
Sie zögerte, offensichtlich hin- und hergerissen zwischen widerstreitenden Gefühlen.
»Nun?«, sagte er.
»Lars … es geht um Amanda. Bevor sie starb …«
»Sie ist tot?« Fuchs spürte, wie das Herz unter den Rippen sich verkrampfte. »Amanda ist tot?«
Pancho schaute betrübt. »Ich wollte es Ihnen nicht auf diese Art sagen. Ich wollte …«
»Sie ist tot?«, wiederholte Fuchs mit hohler Stimme. Er hatte das Bedürfnis, sich zu setzen, aber er durfte hier auf der Brücke vor seiner Besatzung keine Schwäche zeigen.
»Sie ist bei der Geburt gestorben, Lars.«
»Als sie seinen Sohn zur Welt brachte«, murmelte Fuchs.
»Nein, nicht …«
»Er hat sie getötet. Humphries hat sie getötet, als ob er ihr eine Pistole an den Kopf gesetzt und den Abzug betätigt hätte.«
»Lars, Sie verstehen nicht«, sagte Pancho fast flehentlich.
»Ich verstehe alles«, knurrte er. »Alles! Jetzt, wo sie tot ist, ist auch das verlogene Versprechen hinfällig, das er ihr gegeben hat. Nun wird er alles daransetzen und jeden Auftragskiller, den er kaufen kann, auf mich ansetzen. Aber es wird nicht funktionieren, Pancho. Er wird mich niemals töten!«
»Lars, bitte. Lassen Sie mich doch erklären …«
»Aber ich werde ihn töten!«, brüllte Fuchs und hob die Fäuste über den Kopf. »Ich werde ihm dieses selbstgefällige Grinsen aus der Visage prügeln und ihn mit diesen bloßen Händen umbringen! Ich werde es ihm wegen Amanda heimzahlen! Ich werde ihn töten!«
Er wankte zwischen den beiden Pilotensitzen hindurch und schlug so fest auf die Kommunikationskonsole, dass Glas splitterte. Panchos Abbildung verschwand vom Bildschirm.
»Ich werde dich töten, Humphries!«, schrie Fuchs einem seelenlosen Weltall entgegen.
Das Humphries-Anwesen
»Er ist wieder davongekommen?«, schimpfte Humphries.
Die vorm Schreibtisch stehende Victoria Ferrer nickte bedrückt. Sie trug ein schlichtes taubengraues Business-Kostüm: knielanger Rock, kragenlose, tief ausgeschnittene Jacke und keine Bluse darunter.
Humphries schaute sie finster an. »Und Harbin hat Pancho auch nicht erwischt?«
»Leider nein«, gestand Ferrer. »Ich habe das Gefecht von unserem besten Militärberater analysieren lassen. Fuchs hatte sein Schiff anscheinend als Asteroiden getarnt — zumindest oberflächlich.«
»Und dieser Psychopath Harbin ist darauf reingefallen.«
»Ja, soweit es aus den Berichten hervorgeht, hat es sich so ereignet. Er hat die Mathilda II zwar beschädigt, aber nicht außer Gefecht gesetzt. Das Schiff hat sich nach Ceres zurückgeschleppt. Und Pancho Lane blieb unverletzt.«
»Und Fuchs ist wieder entkommen«, murmelte Humphries düster.
Ferrer sagte nichts.
»Entlassen Sie diesen geisteskranken Harbin«, blaffte er. »Ich will ihn nicht mehr auf meiner Lohnliste haben.«