Das waren die Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, als Victoria Ferrer an seinen Tisch kam und sagte:
»Sie sind Dr. Levinson? Ich bin Vicki Ferrer.«
Irgendetwas im Hinterkopf sagte Levinson, dass er hätte aufstehen sollen, dass das ein Gebot der Höflichkeit war. Aber er vermochte diese wunderschöne Frau nur mit offenem Mund anzustarren, die da vor ihm stand. Ferrer trug ein Goldmetallisé-Kleid, das im Kerzenlicht glänzte und ihre Figur verführerisch zur Geltung brachte.
Der Kellner rückte ihr den Stuhl zurecht, als sie sich setzte und Levinson dabei anlächelte. Er fühlte sich wie im siebten Himmel.
Das Abendessen war wie ein romantischer Traum. Vicki übernahm die Bestellung, während Levinson sie einfach nur verzückt anstarrte. Während sie die verschiedenen Gänge abarbeiteten, die jeweils von einem passenden Wein begleitet wurden, erzählte Levinson ihr seine Lebensgeschichte. Ihm selbst erschien sie banal und langweilig, doch sie schien überaus interessiert.
»Und Sie haben wirklich Nanos programmiert, um das Erz der Asteroiden zu verarbeiten?«, fragte sie, wobei ihre großen braunen Augen vor Respekt, vielleicht sogar vor Faszination glänzten — das glaubte er jedenfalls.
Er erging sich in Details darüber, endete jedoch zwangsläufig mit der enttäuschenden Information, dass die Felsenratten sich weigerten, sein Verfahren anzuwenden, weil sie es für zu gefährlich hielten.
»Im Grunde ist es aber nicht gefährlich«, sagte Levinson. »Ich meine, es wäre möglich, aber ich könnte Prozeduren für sie ausarbeiten, die das Risiko auf ein handhabbares Niveau reduzieren würden.«
»Ich bin sicher, dass Sie das könnten«, sagte Vicki und griff nach dem Sauterneswein, der zusammen mit dem Nachtisch gereicht worden war.
»Aber sie interessieren sich nicht dafür«, sagte Levinson betrübt.
»Tun sie nicht?«
»Nein.«
Sie neigte sich etwas zu ihm hin. »Wieso hat Pancho Lane ihren Leuten in Ceres dann befohlen, mit Nanoverarbeitung weiterzumachen?«
Levinson schaute sie blinzelnd an. »Sie hat was?«
»Die Astro Corporation bereitet sich darauf vor, Nanomaschinen zum Ausbeuten der Asteroiden einzusetzen.«
»Aber es ist meine Arbeit! Ich habe sie veröffentlicht! Ich meine, ich habe sie ans Journal geschickt und …«
»Ich bin sicher, dass Astro Ihnen ein Honorar zahlen wird«, sagte Ferrer. »Wahrscheinlich einen Hungerlohn, gerade genug, um einen Rechtsstreit zu vermeiden.«
Levinson hatte das Gefühl, einen Stich ins Herz bekommen zu haben.
Ferrer griff über den Tisch und berührte seine Hand. »Lev, was würden Sie dazu sagen, für Humphries Space Systems zu arbeiten? Wie würde es Ihnen gefallen, eine ganze Operation im Gürtel zu leiten?«
»Ich?«
»Sie. Sie sind der Mann, den wir brauchen, Lev. Sie werden für Nanoverarbeitungs-Operationen verantwortlich sein, und zwar mit dem Gehalt eines Top-Managers.«
Er machte sich nicht einmal die Mühe zu fragen, wie viel Geld das wäre. Er wusste, dass es eine astronomische Summe war im Vergleich zum Salär eines Laborwissenschaftlers.
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ›ja‹ sagten, Lev«, sagte Victoria Ferrer mit flüsternder Stimme und schüchtern gesenktem Blick.
Er nickte stumm. Sie lächelte ihn allerliebst an. Als Levinson mit Vicki an seiner Seite zu seiner Unterkunft zurückging, schwebte er wie auf Wolken. Sie gestattete ihm sogar, ihr einen linkischen Kuss auf den Mund zu geben, und ließ ihn dann im Gang stehen — beschwipst vom Wein und volltrunken von der Vorstellung, für eine große Konzern-Operation verantwortlich zu sein und vielleicht sogar mit der Aussicht, die Gunst dieser schönen Frau zu erringen.
Er sah ihr nach, wie sie den Gang entlangging, drehte sich dann zu seiner Tür um und fummelte an der elektronischen Kombinationsverriegelung herum. Als er schließlich in sein Zimmer wankte, sagte er sich, dafür, dass das unsere erste Verabredung war, ist es verdammt gut gelaufen. Ich glaube, dass sie mich wirklich mag.
Victoria Ferrer nahm die Rolltreppe nach unten zu ihrem Quartier. Ein stilles, zufriedenes Lächeln spielte um ihre Lippen. Wir haben ihn, sagte sie sich. Martin wird zufrieden sein.
Selene: Fabrik Nummer Elf
Douglas Stavengers jugendliches Gesicht wurde von Zornes- und Sorgenfalten zugleich zerfurcht, während er langsam die gesamte Länge der Fabrik abschritt. Wie die meisten Mond-Produktionsstätten hatte man Fabrik Elf an der Oberfläche errichtet: offen, dem Vakuum ausgesetzt und nur durch eine dünne Kuppel aus Wabenkernmetall vor dem unaufhörlichen Mikrometeoriten-Regen geschützt.
»Es gibt im Grunde nicht viel zu sehen«, sagte die Betriebsleiterin und deutete mit einer behandschuhten Hand auf die Fässer, in denen winzige Nanomaschinen Raumschiffs-Hüllen aus purem Diamant fertigten — Atom für Atom aus Ruß zusammengesetzt, der aus Asteroiden gewonnen wurde.
Stavenger trug einen der neuen, so genannten ›Softsuits‹ aus nanogefertigtem Gewebe anstatt der schweren Hartschalen-Raumanzüge aus Cermet, wie die Fabrikdirektorin einen trug. Der Softsuit war fast so bequem wie ein Schlafanzug, bis hinunter zu den angeschweißten Stiefeln. Er war leicht anzuziehen und zu schließen. Die Nanomaschinen hielten im Anzug einen fast normalen Luftdruck aufrecht, sodass er sich nicht aufblähte,wie älteres Gewebe es im Vakuum tat. Sogar die Handschuhe waren bequem und flexibel. Ein transparenter Kugelhelm vervollständigte die Ausrüstung, und im Gürtel um Stavengers Taille steckten ein kleiner Luftrecycler und ein noch kleineres Funkgerät.
»Wie ist der Tragekomfort?«, fragte die Fabrikdirektorin. Ihre Stimme klang etwas unbehaglich und nervös in Stavengers Ohrhörer.
»Gut«, sagte er. »Ich wette, ich könnte einen Handstand darin machen.«
»Davon würde ich Ihnen abraten, Sir«, sagte die Frau wie aus der Pistole geschossen.
Stavenger lachte. »Nennen Sie mich doch bitte Doug. Jeder nennt mich so.«
»Ja, Sir. Ich meine … äh … Doug. Mein Name ist Ronda.«
Stavenger kannte ihren Namen schon. Und ihr vollständiges Dossier. Obwohl er schon seit Jahrzehnten kein offizielles Amt mehr in der Regierung von Selene bekleidete, hielt Doug Stavenger dennoch ständig den Finger am Puls der Mondnation. Er genoss den Vorteil des Prestiges und den noch größeren Vorteil der Freiheit. Er vermochte überall hinzugehen, sich alles anzuschauen und jeden zu beeinflussen. Und das tat er auch, in der Regel aber nur sehr dezent.
Doch die Zeit für Subtilitäten lief nun ab. Er hatte um eine Führung durch die modernste Fabrik von Selene gebeten, weil sie errichtet worden war, um neue Fusionsschiffe für die Unternehmen zu liefern, die im Gürtel konkurrierten: mit starken Lasern bewaffnete Fusionsschiffe, Kriegsschiffe mit Hüllen aus Diamant.
Sie bringen sich im Gürtel gegenseitig um, wie Stavenger wusste. Er wusste auch, dass früher oder später — auf die eine oder andere Art — der Krieg nach Selene kommen würde. Er wusste jedoch nicht, wie man das verhindern und den Kampf beenden sollte.
»Aufträge für wie viele Schiffe haben Sie?«, fragte er die Betriebsleiterin.
»Sechs«, erwiderte sie. »Drei von Astro und drei von HSS.« Sie hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Komisch, dass die Bestellungen immer paarweise hereinkommen. Wir bauen immer zeitgleich je ein Schiff für beide Unternehmen.«
Das hatte Stavenger so eingerichtet. Er hatte seinen ganzen Einfluss in die Waagschale geworfen, um zu verhindern, dass Humphries oder Pancho die Gegenseite ausstachen. Wenn sie schon kämpfen wollen, hatte Stavenger sich gesagt, liegt es an uns, für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Sobald einer von ihnen die Oberhand bekommt, wird er imstande sein, uns die Rohstoffpreise zu diktieren. »Selene wird dann jeden Preis zahlen müssen, den der Sieger für seine natürlichen Ressourcen verlangt. Wer auch immer diesen Krieg im Gürtel gewinnt, wird auch die Kontrolle über Selene erringen.«