»Die Anlage, die wir bauen, wird mehr als nur eine Basis sein«, ergänzte der Nairobi-Vertreter. »Wir beabsichtigen, nach dem Vorbild von Selene eine ganze Stadt im Shackleton-Krater zu errichten.«
»Wirklich?«, sagte Pancho mit ausdruckslosem Gesicht. Sie war erst vor ein paar Minuten darüber informiert worden, dass schon wieder ein Astro-Frachter im Gürtel verschwunden war; der zweite in zwei Wochen. Humphries kann es einfach nicht lassen, sagte sie sich. Und wenn dieser Kerl kein Spion von Humphries ist, dann fresse ich einen Besen.
Die zweite Lektion, die Pancho gelernt hatte, war, sich ein möglichst jugendliches Aussehen zu bewahren. Verjüngungstherapien, die früher als teure Extravaganzen für Videostars und besonders eitle Menschen galten, waren inzwischen alltäglich — vor allem bei den Top-Managern der Konzerne, die in einem unerbittlichen Konkurrenz- und Machtkampf standen. Äußerlich wirkte Pancho noch immer wie eine Dreißigjährige: groß gewachsen, mit langen Beinen und einer schlanken Figur. Sie hatte sogar die Tattoos am Po entfernen lassen, weil Vorstandspolitik manchmal auch im Schlafzimmer endete und sie nicht wollte, dass sie wegen einer Jugendsünde zum Objekt von Gerüchten wurde. Am Gesicht hatte sie aber nichts ändern lassen; bis aufs ›Pferdegebiss‹ hatte sie nichts daran auszusetzen. Das einzige Zugeständnis an ihr wahres Alter bestand darin, dass sie ihr raspelkurzes Haar schlohweiß hatte werden lassen. Die Kosmetikerin sagte ihr, dass das einen tollen Kontrast zu ihrer mokkafarbenen Haut darstellte.
Pancho kleidete sich ganz bewusst konträr zur jeweils aktuellen Mode. In dieser Saison waren Schlabber-Pullover und robuste Sweater mit Ausschnitten an strategischen Stellen angesagt, die dem Auge etwas boten. Pancho trug stattdessen einen maßgeschneiderten elfenbeinfarbenen Hosenanzug, der ihre lange, schlanke Figur betonte und durch Asteroidenschmuck an den Handgelenken und Ohren akzentuiert wurde. Ihr Büro war nicht so groß, wie man es von Vorstands-Suiten eigentlich gewohnt war; dafür war es üppig mit modernen Möbeln ausgestattet, mit Gemälden, die Pancho erworben hatte, und mit Holofenstern, die Szenerien von einem halben Dutzend Welten darzustellen vermochten.
»Ich bitte die dumme Frage zu entschuldigen, aber ich bin noch nie zuvor auf dem Mond gewesen. Ist das etwa eine Echtholztäfelung?«, fragte ihr Besucher mit großen Augen.
Ich bitte dich, sagte Pancho sich grimmig. So bescheuert kannst du doch gar nicht sein.
»Und der Schreibtisch auch? Haben Sie ihn den ganzen weiten Weg zum Mond einfliegen lassen?«
»In gewisser Weise«, erwiderte Pancho gleichmütig und fragte sich, bis zu welchem Grad die Naivität dieses Kerls nur gespielt war. »Unsere Biotech-Abteilung hat eine Schiffsladung genmanipulierter Bakterien raufgeschickt, die Zellulose produzieren. Das gleiche, was Bäume auf der zellulären Ebene tun.«
»Ich verstehe«, sagte er mit noch immer ehrfurchtsvoller Stimme. »Die Bakterien produzieren gentechnisches Holz für Sie.«
Pancho nickte. »Wir bringen lediglich eine kleine Probe Nanobots von der Erde herauf, die sich dann für uns reproduzieren.«
»Wunderbar. Nairobi Industries hat keine Biotech-Abteilung. Verglichen mit Astro oder Humphries Space Systems sind wir nur eine kleine Klitsche.«
»Jeder von uns hat mal klein angefangen«, sagte Pancho. Im Nachhinein fand sie, dass das irgendwie herablassend klang.
Ihren Besucher schien das aber nicht zu stören. »Im Gegenzug für Ihre Hilfe beim Bau unserer Basis hier auf dem Mond bieten wir Ihnen einen exklusiven Zugang zu den Wachstumsmärkten Afrikas und des indischen Subkontinents.«
Der indische Subkontinent, sagte Pancho sich düster; zwischen ihren Atomraketen und dem Biokrieg bleibt nicht mehr viel übrig für diese armen Bastarde. Und in Afrika sieht es noch schlimmer aus.
»Wir bauen auch tragfähige Beziehungen zu Australien und Neuseeland auf«, fuhr er fort. »Zwar zögert man dort noch, mit Afrikanern Geschäfte zu machen, aber wir überwinden ihre Vorurteile mit zukunftsfähigen Geschäftsideen.«
Pancho nickte. Dieser Kerl ist wirklich ein Trojaner. Wer auch immer der Auftraggeber ist, er hält es für einen cleveren Schachzug, das Angebot von einem schwarzen Mann unterbreiten zu lassen. Er glaubt, ich würde ihm auf den Leim gehen und nicht die Falle erkennen, die er aufstellt.
Humphries. Es muss Martin Humphries sein, sagte sie sich. Der alte Stecher hat es schon seit Jahren auf Astro abgesehen. Das ist sein neustes Manöver. Und er vergreift sich wieder an unseren Frachtern.
»Zumal durch ein Bündnis zwischen Ihrer und unserer Firma Humphries Space Systems quasi in die Zange genommen würde«, setzte der Vertreter aus Nairobi mit vertraulich leiser Stimme, fast einem Flüstern, nach — als ob er ihre Gedanken lesen würde. »Gemeinsam könnten wir HSS beträchtliche Marktanteile abnehmen.«
Pancho spürte, wie ihre Augenbrauen nach oben gingen. »Sie meinen die Asteroidenmetalle und -mineralien, die von den Unternehmen auf der Erde gekauft werden.«
»Ja. Natürlich. Aber Selene importiert auch einen großen Teil von Humphries' Bergbau-Erzeugnissen im Gürtel.«
Pancho wusste, dass der Kampf nur deshalb geführt wurde, um die Ressourcen des Asteroidengürtels zu kontrollieren. Mit den Metallen und Mineralien, die auf den Asteroiden abgebaut wurden, wurde die irdische Industrie versorgt, die durch die vom Klimakollaps verursachten Umweltkatastrophen schwer angeschlagen war.
»Darum geht es letztendlich«, sagte der Nairobi-Manager mit seinem strahlenden Lächeln. »Ist es mir endlich gelungen, Ihr Interesse zu wecken?«
Pancho erwiderte sein Lächeln. »Aber sicher«, sagte sie. Und sie erinnerte sich daran, dass die Kinder, mit denen sie in Westtexas aufgewachsen war, die Finger gekreuzt hatten, wenn sie gar nicht daran dachten, ein gegebenes Versprechen einzuhalten. »Glauben Sie mir, ich habe mich schon eingehend damit befasst.«
»Dann werden Sie Ihrem Vorstand also ein strategisches Bündnis empfehlen?«
Sie sah den gierigen Ausdruck in seinem schönen jungen Gesicht.
Pancho behielt das Lächeln bei und erwiderte: »Geben Sie mir etwas Bedenkzeit. Ich lasse die Zahlen von meinen Mitarbeitern prüfen. Und wenn die Sache Hand und Fuß hat, werde ich sie im Vorstand auf die Tagesordnung setzen.«
Er strahlte freudig. Wer auch immer diesen Typ geschickt hat, sagte Pancho sich, hat ihn sicher nicht wegen seines Pokergesichts ausgewählt.
Sie erhob sich, und er sprang so schnell auf, dass Pancho schon glaubte, er würde gegen die Decke stoßen. Weil er nicht an die niedrige Mondschwerkraft gewöhnt war, taumelte er und musste sich an der Ecke des Schreibtischs festhalten.
»Die Leichtigkeit des Seins«, sagte sie grinsend. »Sie wiegen hier nur ein Sechstel wie auf der Erde.«
Er lächelte zerknirscht. »Das hatte ich ganz vergessen. Die Ballaststiefel sind auch keine allzu große Hilfe. Ich bitte um Verzeihung.«
»Keine Ursache. Jeder muss sich erst einmal an die Mond-Schwerkraft gewöhnen. Aber wie lang gedenken Sie überhaupt in Selene zu bleiben?«
»Ich werde morgen wieder abreisen.«
»Sie werden mit niemandem von HSS sprechen?«
»Nein. Mr. Humphries ist eher dafür berüchtigt, kleine Firmen zu schlucken, anstatt ihnen zu helfen.«
Vielleicht ist er doch nicht von Humphries geschickt worden, sagte Pancho sich.
»Dann sind Sie also nur hergekommen, um mit mir zu reden?«
Er nickte. »Dieses Bündnis ist sehr wichtig für uns. Ich wollte es unter vier Augen mit Ihnen besprechen, nicht per Videofon.«
»Das war eine gute Idee«, sagte Pancho, ging um den Schreibtisch herum und wies auf die Bürotür. »Diese Drei-Sekunden-Verzögerung beim Funkverkehr macht mich noch ganz loco.«
Er blinzelte. »Loco? Ist das Mondslang?«