Wir brauchen keine Marinetaktik, wurde sie sich bewusst. Wir brauchen keine Kämpfe zwischen Kriegsschiff-Flotten. Was wir brauchen, ist eher eine Piratenhorde. Wie der alte Klaus Störtebeker mit seinen Mannen. Seeräuber. Piraten.
Und zufällig kannte sie den Mann, der eine solche Mission durchzuführen in der Lage war. Lars Fuchs.
»Sie alle?«, fragte Humphries, als ob die Nachricht zu gut sei, um wahr zu sein.
Vicki Ferrer lächelte nicht, aber der zufriedene Ausdruck auf ihrem Gesicht sprach Bände. Sie freute sich, ihrem Chef eine gute Nachricht zu überbringen.
»Jedes Astro-Schiff wurde zerstört«, wiederholte sie.
Sie waren allein in der großen Bibliothek/Bar im Erdgeschoss von Humphries' Herrenhaus — abgesehen von dem robotischen Barkeeper, der sich in Bereitschaft hielt. Sein glänzender rostfreier Stahl reflektierte das Licht der Deckenlampen.
»Sind Sie sicher?«, fragte Humphries.
»Der Bericht kam direkt vom Yamagata-Team. Ihre Idee, die Felsbrocken zu verwenden, war ein voller Erfolg. Die Astro-Flotte ist direkt hineingeflogen. Keine Überlebenden.«
»Das verlangt nach Champagner!« Humphries schritt zur Bar. Der Roboter bewegte sich nicht. »Barkeeper! Champagner!«, rief Humphries leicht gereizt wegen der Trägheit der Maschine.
Der glänzende, von einer Kuppel gekrönte Roboter rollte seitwärts an der Bar entlang und hielt exakt am Wein-Kühler an. Zwei schlanke Arme wuchsen aus dem zylindrischen Körper, öffneten den Kühler und zogen eine Flasche Veuve Cliquot heraus. Dann rollte der Robot zu Humphries zurück und hielt ihm die Flasche so hin, dass er das Etikett prüfen konnte.
»Fein«, sagte Humphries. »Öffne die Flasche und lass mich verkosten.«
»Wie findet er eigentlich die richtige Flasche?«, fragte Ferrer, kam zu ihm herüber und setzte sich auf den Hocker neben ihm. Obwohl es für die meisten Menschen schon Zeit zum Abendessen war, trug sie noch immer die Bürokleidung — ein Minirock-Kostüm in Babyrosa, das ihrer kurvenreichen Figur schmeichelte.
»Er hat einen Sensor in jeder Hand«, sagte Humphries und schaute zu, wie die Maschine die Flasche entkorkte. Wenn er die Pulle fallen lässt, sagte Humphries sich, werde ich ihn verschrotten.
Der Korken kam mit einem angemessen lauten Knall heraus, und der Roboter stellte zwei Champagner-Flöten vor Humphries auf die Bar. Dann schenkte er einen Fingerbreit ein, damit Humphries verkosten konnte.
Humphries schmeckte, nickte und sagte dem Robot, er solle einschenken. Als das Glas voll war, hob er es und prostete Ferrer zu: »Auf den Sieg!«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Auf den Sieg«, murmelte sie.
»Wir treiben sie vor uns her«, sagte Humphries glücklich. »Bald werde ich Astro ganz aus dem Gürtel vertrieben haben!«
Ferrer lächelte wieder und nahm einen Schluck. Dreizehn zerstörte Schiffe, sagte sie sich. Wie viele Menschen wir wohl getötet haben? Wie viele werden noch sterben müssen, bevor es zu Ende ist?
Hotel Luna: Fürstensuite
Pancho vermochte Fuchs nicht ausfindig zu machen. Seit zwei Tagen ließ sie ihn nun schon von ihren Leuten suchen. Sie brachten nur in Erfahrung, dass Fuchs mit der falschen Identität, die sie ihm besorgt hatte, ein paar Tage in seinem Heimatland Schweiz verbracht und dann nach Selene geflogen war.
»Er ist hier in Selene?«, fragte sie den Sicherheitschef.
Der Mann schien sich unwohl zu fühlen. »Anscheinend.«
»Finden Sie ihn«, blaffte sie. »Wo auch immer er ist, finden Sie ihn. Sie haben vierundzwanzig Stunden.«
Sie war gerade in ihre Suite zurückgekehrt, als das Telefon ihr sagte, dass der Bericht über Fuchs einging. Sie warf einen Blick auf die Armbanduhr. Pancho sah, dass es acht Minuten vor Mitternacht war. Sie machten Überstunden.
Die Kulisse der Suite zeigte Camelot, so wie König Arthurs sagenhaftes Schloss in Panchos Phantasie aussah. Sie setzte sich auf eine der Couches im Schlafzimmer und befahl dem Telefon, den Bericht abzuspielen. Durch ein Fenster sah sie ein Ritterturnier auf einem perfekten Rasen unter einem wolkenlosen blauen Himmel und eine jubelnde Menge. Sie stand vor mit Zeltbahnen überdachten Tribünen mit bunten Wimpeln, die in der Brise eines ewigen Frühlings flatterten.
Der junge Mann, dessen Hologramm in der Mitte des Raums erschien, hätte einer der Ritter der Tafelrunde sein können, sagte sich Pancho. Er war ein gut aussehender Blondschopf mit starken Schultern und einem ehrlichen, offenen Gesicht mit himmelblauen Augen. Das lange Haar fiel in Ringellocken bis über den Kragen. Er saß an einem Schreibtisch in etwas, das ein kleines Büro irgendwo im Astro-Hauptquartier zu sein schien. Die am Rand der Abbildung schwebende Datenleitung identifizierte ihn als Frederic Karstein, Astro-Sicherheitsabteilung.
Pancho lauschte dem knappen Bericht mit wachsendem Unglauben — und Zorn.
»Sie meinen, dass er genau hier im Hotel Luna war?«, fragte sie die Abbildung.
Die Abbildung flackerte für einen Moment. Dann sagte der stattliche Frederic Karstein: »Ms. Lane, ich bin nun live. Ich kann Ihre Fragen in Echtzeit beantworten, Ma'am.«
»Wollen Sie mir sagen, dass Fuchs nur ein paar hundert Meter von meiner Unterkunft wohnte?«, fragte sie ungehalten.
»Ja, Ma'am. Anscheinend.«
»Und wo ist er nun?«
Karstein zuckte die breiten Schultern. »Das wissen wir nicht. Er scheint verschwunden zu sein.«
»Verschwunden? Wie kann er denn verschwinden?«
»Wenn wir das wüssten, Ms. Lane, dann wüssten wir wohl auch, wo er ist.«
»Man verschwindet nicht einfach so! Selene ist nicht so groß, zumal die ganze verdammte Stadt doch ständig überwacht wird.«
Karstein wirkte verlegen. »Wir sind sicher, dass er Selene nicht verlassen hat. Wir haben die Passagierlisten für alle abgehenden Flüge der letzten zwei Wochen überprüft und die Aufzeichnungen der Überwachungskameras untersucht.«
»Also ist er irgendwo hier in Selene?«
»Es hat den Anschein.«
»Ganz recht«, schnaubte Pancho. »Bleiben Sie an der Sache dran. Ich will, dass er gefunden wird, und zwar sofort.«
»Wir tun unser Bestes, Ms. Lane.«
Sie unterbrach die Verbindung, und Karsteins Abbildung verblasste. Blondes Dummchen, sagte Pancho sich verdrossen.
»Freibeuter?«, fragte Jake Wanamaker. Seine Sandpapierstimme zerraspelte das Wort förmlich. »Sie meinen wie Piraten?«
Pancho hatte ihn zu einem Frühstück in ihre Suite eingeladen. Sie saßen in der engen, kleinen Nische neben der Küche, doch die Holowände vermittelten ihnen die Illusion eines Aufenthalts im Freien unter einer anmutigen Ulme, mit sanft wogenden, grasbewachsenen Hügeln im Hintergrund und der hellen Morgensonne an einem klaren Himmel. Sie hörte Vögelzwitschern und spürte fast, wie das Tischtuch von einer kühlen Brise bewegt wurde.
»Ja«, erwiderte Pancho und nippte am Grapefruitsaft. »Jo-ho-ho und 'ne Buddel voll Rum und so. Fangen Sie Humphries' Schiffe ab, wenn sie ihre Fracht zum Mond bringen. Oder zur Erde.«
Wanamaker biss herzhaft von dem klebrigen Kuchen ab, das er in seiner großen Hand hielt, kaute versonnen und schluckte es dann hinunter. »Sie haben im Gürtel die Scheiße aus uns herausgeprügelt, da gibt's nichts daran zu rütteln. Es wird eine Weile dauern, bis wir wieder stark genug sind, um erneut gegen sie anzutreten.«
»Aber ein paar Schiffe, die näher an der Basis operieren, außerhalb des Gürtels …« Pancho ließ den Vorschlag unausgesprochen.
»Die HSS-Pipeline zum Markt unterbrechen«, murmelte Wanamaker. »Humphries dort treffen, wo es am meisten wehtut.«
»Dort, wo es ihm am meisten wehtut. Am Geld.«
Nachdem er den Kuchen mit einem Schluck schwarzen Kaffees hinuntergespült hatte, sagte Wanamaker: »Eine Blockade aufziehen.«