»Wir sind bereit, die Wanzen freizusetzen«, ertönte die krächzende Stimme eines seiner Techniker im Kopfhörer und riss Levinson aus seinen Gedanken.
»Das sind keine Wanzen«, erwiderte er automatisch. »Das sind Nanomaschinen.«
»Ja, richtig. Wir sind bereit, den Geist aus der Flasche zu lassen.«
Levinson hangelte sich langsam zum anderen Ende der Halteleine, die im festen Gestein des kleinen Asteroiden verankert war. Die zwei Techniker schwebten über dem Felsen; sie hatten mit den Mini-Düsentriebwerken im Rückentornister volle Bewegungsfreiheit. Levinson, ein Greenhorn im All, achtete darauf, dass er sicher an der Leine vertäut war. Den Behälter, eine versiegelte Flasche aus reinem Diamant, hatte er am Werkzeuggürtel um die Taille des Raumanzugs befestigt.
Er wollte die Füße auf den Asteroiden stellen und stieß sich zu seiner Verwunderung sofort wieder von ihm ab. Im Kopfhörer hörte er einen der Techniker leise kichern.
»Die Newtonschen Gesetze wirken sogar hier draußen«, sagte er, um seine Verlegenheit zu überspielen.
Er näherte sich dem Felsen nun langsamer, und nach zwei weiteren Versuchen fanden die Stiefel schließlich Halt an der Oberfläche. Er sah, dass über der Stelle, wo er zuerst aufgekommen war, noch die Staubwolken hingen — so minimal war die Schwerkraft des Asteroiden.
Die Techniker hatten die Oberfläche des Felsens mit konzentrischen fluoreszierenden Kreisen markiert, die an eine glühende Zielscheibe erinnerten. Kameras an Bord des Schiffs würden registrieren, wie schnell die Nanomaschinen sich vom Ausgangspunkt ausbreiteten und den Felsbrocken auffraßen. Levinson ging zum Mittelpunkt der Kreise, wobei er sich an der Sicherheitsleine festhielt und bei jedem Schritt, den er machte, von der Oberfläche des Asteroiden abstieß. Diesmal hörte er kein Kichern von den Technikern. Wahrscheinlich haben sie die Funkgeräte ausgeschaltet, sagte er sich.
Die Handschuhe des Raumanzugs erschwerten ihm die Arbeit — trotz der kleinen Servomotoren am Rücken der Handschuhe, die ihm beim Krümmen der Finger helfen sollten. Schließlich öffnete Levinson die Flasche und stellte sie mit der Öffnung nach unten exakt auf den Mittelpunkt der Zielscheibe. Und wieder arbeitete die geringe Gravitation gegen ihn. Die Flasche hob von der Oberfläche ab, sobald er sie losließ. Mit gerunzelter Stirn drückte er sie herunter und hielt sie für einen Moment fest; dann nahm er die Hand vorsichtig weg. Die Flasche blieb stehen.
Er schaute auf und sah, dass beide Techniker in deutlichem Abstand über dem Felsen schwebten. Sie fürchten sich vor den Nanomaschinen, sagte sich Levinson. Na ja, sollen sie sich lieber in Sicherheit bringen, als Ängste auszustehen. Er packte die Halteleine mit beiden Händen, stieß sich vom Asteroiden ab und wollte sich eben zum Schiff zurückhangeln — da erschlaffte die Halteleine plötzlich, und im ersten Moment befürchtete Levinson, es sei etwas schief gegangen. Dann sah er aber, dass sie noch immer an der Luftschleuse des Schiffes befestigt war, und erinnerte sich, dass die Techniker einen Sprengsatz zünden sollten, der das am Asteroiden befestigte Ende der Leine freigab. Im Vakuum des Raums vermochte er den Knall des Sprengbolzens nur nicht zu hören. Es kostete ihn erstaunlich viel Kraft, sich umzudrehen, doch als er es geschafft hatte, sah er das andere Ende der Halteleine schlaff im leeren Raum hängen.
Und der Asteroid verschwand! Levinson machte große Augen und staunte, wie schnell die Nanomaschinen den Asteroiden auffraßen. Eine Staubwolke entstand und blähte sich so schnell auf, dass das feste Gestein darin verschwand. Als ob Piranhas sich über eine Beute hermachten, sagte er sich. Er erinnerte sich an Videos, auf denen er gesehen hatte, wie die gefräßigen Fische einen südamerikanischen Fluss förmlich zum Kochen brachten, wenn sie ihre Beute angriffen.
»Schalten Sie das Spektrometer ein!«, rief Levinson aufgeregt und hangelte sich weiter zum Schiff zurück.
In weniger als einer Minute vermochte er das gleißende Funkeln eines Laserstrahls zu sehen, der über die sich ausdehnende Staubwolke spielte.
Angestrengt schnaufend näherte er sich der Luftschleuse. Dann sah er, dass die Luke geschlossen war, und wurde sich bewusst, dass seine beiden Helfer schon vor ihm zum Schiff zurückgekehrt waren.
»Was habt ihr denn?«, fragte er ins Helmmikrofon.
»Eisen, Blei, Platin, Silber …«, erwiderte der Techniker, der das Spektrometer an Bord des Schiffs bediente.
»Reine Elemente oder Verbindungen?«, fragte Levinson und sah den Asteroiden sich auflösen wie ein Stück Holz, das von Termiten zerfressen ist.
»Größtenteils in atomarer Form. Ein paar Verbindungen, die ziemlich seltsam aussehen, aber hauptsächlich handelt es sich um Atome.«
Das seltsame Zeug müssen die Nanos sein, sagte Levinson sich. Er hatte sie darauf programmiert, nach achtundvierzig Stunden zu zerfallen. Bei dieser Geschwindigkeit wäre vom Asteroiden in achtundvierzig Stunden nichts mehr übrig außer einer Wolke aus einzelnen Atomen.
Wow, sagte er sich. Es funktioniert sogar noch besser, als ich erwartet hatte. Vickie wird sehr beeindruckt sein.
Admiral Wanamakers Büro
Das kleine, spartanische Büro war leer außer Wanamaker und Wilhelmina Tashkajian, seiner Nachrichtenoffizierin. Sie war klein, rundlich, dunkelhaarig und den Gerüchten zufolge, die im Büro kursierten, eine recht gute Amateur-Bauchtänzerin. Alles, was Wanamaker mit Sicherheit wusste, war, dass sie einen scharfen Verstand hatte — einen Verstand von der Art, der Informationen schneller zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen vermochte als irgendjemand sonst vom seinem Personal. Mehr musste er auch gar nicht über sie wissen.
Sie saßen sich am Konferenztisch gegenüber, der die Verlängerung vom Schreibtisch des Admirals bildete. Wie alle von Wanamakers Offizieren trug Tashkajian einen schlichten grauen Overall; an der Klappe der Brusttasche war ein Schild mit einem intelligenten Chip befestigt, auf dem Namen und Rang ausgewiesen waren. Wanamaker trug die gleiche Uniform.
Er schaute vom Bericht auf, der auf dem in die Tischplatte integrierten Display erschien. »Sie testen Nanomaschinen?«
Sie nickte mit einem düsteren Ausdruck in den dunklen Augen. »Humphries hat den Wissenschaftler rekrutiert, den Pancho von Ceres mit hierher gebracht hat. Er hat ihn uns vor der Nase weggeschnappt.«
Wanamaker schnitt eine Grimasse. »Sie hätte ihn auf Astros Lohnliste lassen sollen.«
»Zu spät, Sir.«
»Und sie sind bereits in der Testphase?«
Noch ein Nicken. »Nach den uns vorliegenden Informationen haben sie die Laborphase sehr schnell durchlaufen und dann diesen Dr. Levinson und eine Techniker-Crew in den Gürtel entsandt. Schlussfolgerung: Sie testen Nanomaschinen auf einem Asteroiden.«
»Weiß Pancho das schon?«
»Sie erhält automatisch eine Kopie meiner Berichte.«
»Schon eine Antwort von ihr?«
»Noch nicht, Sir. Ich habe diesen Bericht erst heute Morgen herausgegeben. Es reagiert schließlich nicht jeder so schnell wie Sie — Sir«, fügte sie dann mit einem sparsamen Lächeln hinzu.
Er gestattete es sich, das Lächeln verhalten zu erwidern.
»Die eigentliche Frage«, sagte sie, »ist, ob HSS Nano-Maschinen entwickelt, um Erze aus den Asteroiden zu gewinnen oder die Nanos als Waffen einzusetzen.«
»Waffen?« Wanamakers graue Augenbrauen hoben sich.
»Wenn sie imstande sind, Gestein zu fressen, dann können sie auch Raumschiffe, Gebäude und sogar Menschen fressen.«
Er sank auf dem harten Metallstuhl zusammen. »Waffen«, murmelte er. »Mein Gott.«