»Ein Westtexas-Wort für verrückt«, erwiderte Pancho lachend.
»Sie stammen aus Texas?«
»Bin aber schon lang nicht mehr dort gewesen.«
Pancho gab sich cool und registrierte, wie er ihre Unterhaltung in eine Einladung zum Abendessen umzuwandeln versuchte, bevor sie ihn aus dem Büro zu komplimentieren vermochte. Sie bemerkte, dass er gut roch. Er hatte ein Rasierwasser benutzt, das nach Zimt und anderen Gewürzen duftete.
Schließlich kam er zum Punkt. »Ich vermute, dass jemand von Ihrer Bedeutung einen proppenvollen Terminkalender hat.«
»Ja. Ist ziemlich voll.«
»Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir vielleicht zusammen zu Abend essen. Ich kenne sonst niemanden in Selene City.«
Ostentativ projizierte sie ihren Terminplan auf den Wandbildschirm. »Geschäftsessen mit meiner PR-Direktorin.«
Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Oh. Ich verstehe.«
Pancho lächelte ihn an. »Teufel, ich kann auch später mit ihr sprechen. Essen wir zusammen zu Abend.«
Sein Lächeln wurde noch breiter als zuvor.
Und er war auch gut im Bett, wie Pancho entdeckte. Sogar großartig. Als er jedoch am nächsten Morgen wieder auf dem Rückweg zur Erde war und nachdem Pancho ein Frühstück aus Vitamin E und Orangensaft zu sich genommen hatte, rief sie aus der Küche ihren Sicherheitschef an und sagte ihm, dass er den Kerl gründlich überprüfen solle. Wenn er nicht von Humphries kommt, will vielleicht jemand anders das Terrain sondieren.
Sie lachte stumm, als sie an diesem Morgen ins Büro ging. Sie hatte den Namen des Mannes vergessen.
Fusionsschiff Nautilus
Das Schiff war ursprünglich ein Frachter mit dem seltsamen Namen Lubbock Lights gewesen und hatte im Asteroidengürtel gekreuzt, um von den Felsenratten geschürftes Erz an Bord zu nehmen und zu den Fabriken im Erdorbit und auf dem Mond zu transportieren. Dann hatten Lars Fuchs und seine bunt zusammengewürfelte Crew aus Exilanten es übernommen und in Nautilus umgetauft — nach dem fiktiven Unterseeboot des rachsüchtigen Captain Nemo.
Im Lauf der Jahre hatte Fuchs das Raumschiff verändert. Es hatte zwar noch immer die Form einer Hantel und rotierte an einem Kabel aus Buckminsterfulleren, um der Besatzung ein Gefühl der Schwerkraft zu vermitteln. Und es vermochte noch immer Tausende Tonnen Erz zwischen den Auslegerbügeln zu transportieren. Doch nun war es auch mit fünf starken Lasern bestückt, die Fuchs als Waffen einsetzte. Und es war mit dünnen Platten aus Asteroiden-Kupfer gepanzert, die im Abstand von ein paar Zentimetern über der Hülle des Schiffs montiert waren und einen Infrarot-Laserstrahl für mindestens eine Sekunde zu absorbieren vermochten. Der Fusionsantrieb der Nautilus gehörte zu den leistungsstärksten im ganzen Gürtel. Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit waren das A und O für ein Piratenschiff.
In der engen Brücke des Schiffs beugte Fuchs sich über die Lehne des Pilotensitzes und schaute grimmig auf die Scanner-Anzeige.
»Es ist wirklich nur ein Frachter«, sagte Amarjagal, seine Pilotin. Sie war eine korpulente, stoische Frau mongolischer Abstammung und arbeitete mit Fuchs zusammen, seit er vom Bergbaucenter auf Ceres geflohen und ein Leben als Exilant und Pirat begonnen hatte.
»Mit einem Besatzungsmodul?«, fragte Fuchs spöttisch.
Nodon, der Bordingenieur, gehörte auch von Anfang an zu Fuchs' Freibeuter-Truppe. Er war spindeldürr, nur Haut und Knochen, hatte einen kahl rasierten Schädel und spiralige Narben von rituellen Tätowierungen auf beiden Wangen. Ein martialischer schwarzer Mongolen-Schnurrbart zierte das Gesicht, doch die dunkelbraunen Augen waren ausdrucksvoll, geradezu seelenvoll.
»Ein Besatzungsmodul bedeutet, dass das Schiff Proviant mitführt«, sagte er, während er das Bild auf dem Monitor betrachtete.
»Und medizinische Vorräte«, ergänzte Amarjagal.
»Was wir beides gut gebrauchen könnten«, sagte Nodon.
Fuchs schüttelte bedächtig den Kopf. »Das könnte auch eine Falle sein.«
Keines der beiden Besatzungsmitglieder erwiderte etwas darauf. Sie schauten sich nur stumm an.
Fuchs trug wie immer einen schwarzen Pullover und eine formlose schwarze Hose. Er war ein kleiner Bär von einem Mann mit kurzen Gliedmaßen und einer Tonnenbrust, der immer finster dreinschaute und dessen Zorn nicht zu besänftigen war. Hass stand ihm in sein breites Gesicht mit den Hängebacken geschrieben; die Lippen waren zu Strichen zusammengepresst, die Mundwinkel hingen ständig herunter, und die tief in den Höhlen liegenden Augen schweiften in Fernen, die den anderen verborgen blieben. Er sah aus wie ein Dachs oder Vielfraß — klein, aber ungemein gefährlich.
Seit fast einem Jahrzehnt war Lars Fuchs nun schon ein Pirat, ein Ausgestoßener, ein Renegat, der durch die weite Leere des Gürtels kreuzte und Schiffen auflauerte, die sich im Besitz von Humphries Space Systems befanden.
Einst hatte er sich für den glücklichsten Mann im ganzen Sonnensystem gehalten. Als verliebter Student war er mit dem ersten bemannten Forschungsschiff in den Asteroiden-Gürtel geflogen und hatte dann die schönste Frau geheiratet, die er je gesehen hatte: Amanda Cunningham. Doch dann war er in den Kampf um die Reichtümer des Gürtels verstrickt worden — ein Mann ganz allein gegen Martin Humphries, den reichsten Mann im Sonnensystem und seine von Humphries Space Systems gedungenen Mörder. Als die HSS-Söldner ihn schließlich in die Enge getrieben hatten, flehte Amanda Humphries an, sein Leben zu verschonen.
Humphries ließ Gnade walten, aber auf die grausamste Art und Weise, die man sich nur vorzustellen vermochte. Fuchs wurde von Ceres verbannt, der einzigen ständigen Siedlung im Gürtel, und Amanda ließ sich von ihm scheiden und heiratete Humphries. Sie war der Preis für Fuchs' Leben gewesen. Seitdem streifte Fuchs wie ein Fliegender Holländer durch die weite, dunkle Leere des Gürtels: Er mied menschliche Ansiedlungen, lebte im wahrsten Sinne des Wortes wie eine Felsenratte und suchte manchmal unter den Asteroiden an der Peripherie des Gürtels nach Metallerzen und Mineralien, die er dann schürfte und an Fabrikschiffe verkaufte.
Und immer wieder attackierte er HSS-Frachter wie ein Habicht, der auf eine Taube herabstößt. Er nahm sich von ihnen die Vorräte, die er brauchte, stahl das Erz, das sie transportierten, und verkaufte es unter der Hand an andere Felsenratten, die den Gürtel durchstreiften. Es war eine ziemlich armselige Art und Weise, seine Selbstachtung zu bewahren, indem er sich sagte, dass er noch immer ein Stachel in Humphries' Fleisch war. Zwar nur ein kleiner Dorn, aber das war für ihn die einzige Chance, nicht den Verstand zu verlieren. An sich griff er nur automatisierte Drohnen-Frachter an, die Erzladungen zum Erde/Mond-System beförderten, doch oft genug attackierte er auch bemannte Schiffe. Fuchs sah sich selbst zwar nicht als einen Killer, aber hin und wieder vergoss er auch Blut.
Wie damals, als er die Basis der HSS-Leute auf Vesta auslöschte.
Nun schaute er mit gerunzelter Stirn auf die Abbildung des sich nähernden Frachters mit dem angeflanschten Besatzungsmodul.
»Unsere Vorräte gehen zur Neige«, sagte Nodon mit leiser Stimme, die fast schon ein Flüstern war.
»Sie werden auch nicht viel dabeihaben«, murmelte Fuchs.
»Aber vielleicht genug, dass wir und der Rest der Besatzung für ein paar Wochen über die Runden kommen.«
»Vielleicht. Wir könnten uns dann noch mehr Vorräte von einem Versorgungsschiff holen.«
Nodon senkte leicht den Kopf. »Ja, das stimmt.«
Trotz seines Namens ist der Asteroidengürtel eine breite Schneise der Leere zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Sie wird von Millionen kleiner, kalter und dunkler Metall- und Gesteinsbrocken ausgefüllt, die um die Sonne taumeln: Überreste von der Entstehung des Sonnensystems. Der größte Körper, Ceres, durchmisst kaum tausend Kilometer. Die meisten Asteroiden haben aber nur die Größe von Felsbrocken, Kieselsteinen und Staubflocken. Schutt, sagte Fuchs sich. Materiebrocken, die sich nie zu einem Planeten vereinigt hatten. Überreste. Der Müll Gottes.