Er hatte diesen Ort als Hauptquartier gewählt, weil er von dort einen Blick auf den großen Bildschirm hatte, der sich an der einen Seite der Lagerzone befand. Man hatte ihn dort platziert, um den menschlichen Maschinenführer zu unterstützen, der gelegentlich Waren aus den Lagerbeständen kommissionierte. Fuchs nutzte seine Verbindung zu Selenes Hauptrechner, um die Pläne der städtischen Wasser- und Belüftungssysteme zu studieren. Er suchte nach einem Weg ins Herrenhaus von Humphries. Bislang war die Suche freilich erfolglos gewesen.
»Der Mann muss der größte Paranoiker im Sonnensystem sein«, murmelte Fuchs.
»Oder der größte Feigling«, sagte Amarjagal. Sie saß neben ihm auf dem Gitterrost des Stegs. Im Schneidersitz mutete sie an wie ein kleiner Berg.
Nodon und Sanja hatten sich etwas abseits niedergelassen. Ihre kahl rasierten Schädel waren in der stickig warmen Luft mit einem glitzernden Schweißfilm überzogen. Aus dieser geringen Distanz nahm Fuchs ihren ranzigen Körpergeruch wahr. Er wusste, dass sie Duschen in den Unterkünften hatten. Vielleicht wollen sie ihre Wasserzuteilungen schonen. Fuchs selbst wusch sich gelegentlich mit Wasser, das er von einer der unter der Decke verlaufenden Hauptleitungen abzapfte. Trotz aller Vorsicht hinterließ er immer Pfützen, die Teams von emsig summenden, effizienten Wartungsrobotern anlockten. Fuchs befürchtete, dass früher oder später menschliche Wartungsarbeiter anrücken würden, um der Ursache für die Undichtigkeiten auf den Grund zu gehen.
»Jeder mögliche Zugang zu seiner Felsenhöhle ist durch dreifach redundante Sicherheitssysteme geschützt«, sagte Fuchs beim Studium der Skizzen. »Bewegungsmelder, Kameras, Wärmefühler.«
»Sogar die Kabelstränge sind geschützt«, sagte Nodon und wies mit dem Finger darauf.
»Es könnte nicht einmal eine Maus durch diese Röhren schlüpfen«, sagte Sanja.
»Der Mann ist ein großer Feigling«, wiederholte Amarjagal. »Er hat viel Angst.«
Er hat auch allen Grund, sich zu fürchten, sagte sich Fuchs. Aber nur dann, wenn wir einen Weg in sein Herrenhaus finden.
Trotz des gründlichen Studiums der Skizze vermochten sie keinen Zugang in Humphries' Reich zu finden, außer es zu stürmen. Aber wir sind nur zu viert, erinnerte Fuchs sich, und wir haben keine Waffen. Humphries muss bis an die Zähne bewaffnete Sicherheitsleute haben, die auf dem Grundstück patrouillieren.
Nodon schüttelte leicht den Kopf. »Ich sehe keine Möglichkeit.«
Fuchs atmete tief durch und stieß die Luft langsam aus. »Ich schon«, sagte er.
Die drei drehten sich mit fragendem Blick zu ihm um.
»Einer von euch wird einen neuen Job antreten und eine Stelle in Selenes Wartungsabteilung annehmen müssen.«
»Ist das denn möglich?«, fragte Amarjagal.
»Es sollte möglich sein«, erwiderte Fuchs. »Ihr seid alles qualifizierte Techniker. Ihr habt Referenzen von der Astro Corporation.«
»Ich werde es tun«, sagte Nodon.
»Gut.«
»Und wenn Nodon für die Wartungsabteilung arbeitet?«, fragte Amarjagal.
Fuchs schaute sie leidenschaftslos an. Von den dreien war sie am lebendigsten und noch am ehesten geneigt, Fragen zu stellen. Ob es daran liegt, dass sie eine Frau ist, fragte Fuchs sich.
»Ich werde einen Identifizierungschip beschaffen müssen, um auf die unterste Ebene von Selene zu gelangen.«
»Wie bekommen Sie einen?«
»Ich werde Hilfe brauchen«, gestand er.
Die drei Asiaten schauten ihn fragend an.
»Ich werde Pancho anrufen. Ich bin sicher, dass sie eine Kennmarke für mich bekommt, die mir Zugang zu Humphries' Felsenhöhle gewährt.«
Er griff nach einem Strohhalm, und er wusste es. Noch schlimmer — als er Pancho von einem der Telefone aus anrief, die in den Gängen der Maschinenräume positioniert waren, sagte man ihm, dass Ms. Lane nicht in ihrem Büro und nicht erreichbar sei.
»Wo ist sie?«, fragte Fuchs.
»Ms. Lane ist zurzeit nicht erreichbar«, erwiderte die künstliche Telefonstimme. »Hinterlassen Sie bitte Ihren Namen, und man wird Sie so bald wie möglich zurückrufen.«
Fuchs hatte freilich nicht die Absicht, seinen Namen preiszugeben. »Ist sie dort zu erreichen, wo sie sich gerade befindet?«
»Ms. Lane ist zurzeit nicht erreichbar«, erwiderte der Computer fröhlich.
»Wie lang wird sie weg sein?«
»Darüber liegt keine Information vor, Sir.«
Fuchs überlegte schnell. Es hat keinen Sinn, Informationen aus einer doofen Maschine herausholen zu wollen, sagte er sich. Außerdem wollte er nicht so lange am Telefon bleiben, um nicht die Aufmerksamkeit von Selenes Überwachungskameras auf sich zu ziehen.
»Sagen Sie ihr, dass Karl Manstein angerufen hat und noch einmal anrufen wird.«
Mit einem Gefühl der Verzweiflung und Ausweglosigkeit hieb er auf die AUS-Taste des Telefons.
Es war nicht leicht, Douglas Stavenger zu überraschen. Auch wenn er schon vor Jahrzehnten offiziell von jedem formalen Amt zurückgetreten war, hielt er sich dennoch über alles auf dem Laufenden, was in Selene geschah. Und auch über das, was sonst noch so geschah.
Er wusste, dass seine Frau vom Medienintendanten erwartete, der Berichterstattung über den im Gürtel tobenden Krieg breiteren Raum einzuräumen. Er wusste aber auch, dass die Konzerne am genauen Gegenteil interessiert waren — nämlich daran, die Geschichte unter den Teppich zu kehren. Die Starlight-Tragödie hatte die Lage zwar streiflichtartig erhellt, doch hatten sowohl Astro als auch Humphries Space Systems jedes Gran ihrer enormen Macht in die Waagschale geworfen, damit die Medien die Geschichte schleunigst in den Hintergrund schoben.
Als Stavenger nun mit seiner Frau am Frühstückstisch saß, wurde er durch ihre Enthüllung regelrecht erschüttert.
»Du fliegst nach Ceres?«
Edith lächelte liebreizend über die Teetasse hinweg. »Niemand sonst will sich dieser Geschichte annehmen, Doug. Also werde ich es tun.«
Er unterdrückte einen Impuls, den Kopf zu schütteln. Eine Zeit lang sagte er gar nichts, sondern starrte nur auf die Schüssel mit Joghurt und Honig, während seine Gedanken sich überschlugen.
»Das gefällt mir nicht, Edie.« Mehr brachte er nicht hervor, als er wieder zu ihr aufschaute.
»Mir selbst gefällt es nicht, mein Schatz, aber irgendjemand muss es tun, und ich wüsste nicht, wer diese Aufgabe sonst übernehmen sollte.«
»Es ist gefährlich da draußen.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Wer wird sich denn an der Frau von Doug Stavenger vergreifen? Das würde den Kriegseintritt von Selene bedeuten, nicht wahr?«
»Nein, nicht automatisch.«
»Nicht?« Sie schaute ihn stirnrunzelnd an.
»Ich könnte mir vorstellen, dass die Konzerne Selenes Reaktion fürchten würden.«
»Falls irgendjemand mir etwas antut«, fuhr sie ernst fort, »würdest du doch dafür sorgen, dass Selene auf der anderen Seite in den Krieg eintritt. Stimmt's? Und das würde dann das Blatt zuungunsten des Konzerns wenden, der mir etwas angetan hat. Nicht wahr?«
Er nickte widerwillig.
»Und das würde den Krieg entscheiden. Richtig?«
»Vielleicht.«
»Das ist eine Tatsache, und du weißt es. Jeder weiß es, einschließlich Pancho Lane und Martin Humphries.« Sie nahm noch einen Schluck Tee, dann stellte sie die Porzellantasse mit einem leisen Klirren ab. »Also werde ich da draußen so sicher sein wie in Abrahams Schoß.«
»Es gefällt mir trotzdem nicht«, murmelte er.
Sie beugte sich über den kleinen Tisch und ergriff seine Hand. »Aber ich muss es tun, Doug. Du verstehst das doch, oder? Es ist wichtig: nicht nur für mich, sondern für alle Beteiligten — für das ganze Sonnensystem, um Gottes willen. Einschließlich Selene.«
Stavenger schaute seiner Frau in die Augen und wusste, dass er sie nicht davon abhalten konnte.