»Dann werde ich mit dir gehen«, sagte er.
»Oh nein! Du musst hier bleiben!«
»Ich glaube nicht …«
»Du bist mein Schutz, Doug. Was geschieht, wenn wir beide da draußen getötet werden? Wer sollte Selene dann führen?«
»Der ordnungsgemäß gewählte Regierungsrat.«
»Ja, sicher«, spottete sie. »Wenn du nicht die Strippen ziehst, ist das doch eine Schar konfuser Hühner, die nichts zustande bringt. Und das weißt du auch.«
»Nein, das weiß ich nicht.«
Sie lächelte wieder. »Ich brauche deinen Schutz, Doug, und ich bekomme ihn nur dann, wenn du hier in Selene bist und die Dinge unter Kontrolle hast«
»Das ist zu viel der Ehre.«
»Und du bist die jüngste graue Eminenz im Sonnensystem.«
Er lachte. Das war ein stehender Witz zwischen ihnen.
»Außerdem«, fuhr Edith fort, »würdest du die ganze Aufmerksamkeit auf dich ziehen, wenn du nach Ceres kämst. Man würde sich förmlich überschlagen beim Versuch, dir zu beweisen, dass alles in Ordnung ist. Ich würde von niemandem eine authentische Geschichte bekommen.«
Er zog das Streitgespräch noch fast für eine halbe Stunde in die Länge, doch Stavenger wusste, dass seine Frau in jedem Fall tun würde, was sie wollte. Und er auch. Edith wird nach Ceres fliegen, wurde er sich bewusst, und ich werde hier bleiben.
Nobuhiko vermochte vor Aufregung kaum an sich zu halten, als er seinen Vater anrief und ihm mitteilte, dass Pancho Lane die Nairobi-Basis auf dem Mond besuchen würde.
Yamagata der Ältere war in seiner Zelle im Kloster — ein recht großer Raum, dessen Steinwände nun von Bücherregalen und intelligenten Bildschirmen gesäumt wurden. Der Raum war spärlich ausgestattet, doch Nobu bemerkte, dass sein Vater es geschafft hatte, einen großen, rechteckigen Mahagoni-Schreibtisch zu organisieren.
Saito hockte auf einer Tatami-Matte direkt unter dem großen Wandbildschirm, der eine komplexe Grafik zeigte, die Nobu als Darstellung der aktuellen Kurse der Börse von Tokio deutete.
»Sie betritt freiwillig die Basis von Nairobi?«, fragte Saito.
»Ja!«, stieß Nobu hervor. »Ich habe einem Verhörtrupp befohlen, sofort dorthin zu fliegen! Die Afrikaner können sie unter Drogen setzen und die Verhörspezialisten quetschen sie aus, ohne dass sie es jemals erfährt!«
Saito grunzte. »Von den Kopfschmerzen am nächsten Tag mal abgesehen.«
Nobu wollte schon lachen, beherrschte sich aber.
Sein Vater schwieg für eine nervenaufreibende Weile. »Du gehst nach Shackleton«, sagte er schließlich. »Du selbst.«
»Ich? Aber wieso …?«
»Kein Verhörtrupp weiß so viel über unsere Arbeit wie du, mein Sohn. Du wirst viel mehr aus ihr herausholen, als sie es ohne dich bewerkstelligen könnten.«
Nobu ließ sich das durch den Kopf gehen. »Aber wenn sie mich irgendwie erkennt und sich später erinnert …«
»Dann muss sie beseitigt werden«, erwiderte Saito knapp. »Das wäre zwar bedauerlich, aber unumgänglich.«
Flaggschiff Samarkand
Seit dem Gefecht, bei dem Gormleys Flotte vernichtet worden war, herrschte auf der HSS-Basis Vesta Hochbetrieb. Schiffe wurden in Zweier- und Dreier-Gruppen ausgeschickt, um Astro-Frachter und Versorgungsschiffe zu jagen. Obwohl Astros bemannte Schiffe bewaffnet waren, hatten sie keine Chance gegen die Kriegsschiffe mit ihren Söldnerbesatzungen, die Humphries massenweise in den Gürtel entsandte.
Dorik Harbin saß auf dem Kommandantensitz der Samarkand. Er führte das Kommando über drei Kampfschiffe und fragte sich, wie lang der Krieg wohl noch dauern würde. Astros Schiffe wurden methodisch zerstört. Es war klar, dass die Söldner Humphries' kurz davor standen, Astro aus dem Gürtel zu vertreiben. Astros jämmerlicher Versuch, HSS-Frachter daran zu hindern, Erze in die Erde/Mond-Region zu liefern, war durch das Starlight-Fiasko ein Rohrkrepierer geworden.
Und doch ging das Gerücht um, dass noch mehr Astro-Schiffe zum Gürtel unterwegs waren. Besser bewaffnete Schiffe, mit Söldnern bemannt, die klug genug waren, massierte Kämpfe zu vermeiden. Der Krieg geriet zu einem Abnutzungskampf. Welcher Konzern hatte den längeren Atem und vermochte die ständigen Verluste von Schiffen und Mannschaften besser zu verkraften? Welcher Konzern würde schließlich zu dem Schluss kommen, dass der Krieg zu viel kostete, und ihn beenden?
Humphries jedenfalls nicht, sagte Harbin sich. Er war dem Mann begegnet und hatte die Zähigkeit in seinen Augen, den unbedingten Willen zum Erfolg gesehen — um jeden Preis. Er setzt nur Geld aufs Spiel, wurde Harbin sich bewusst. Er riskiert nicht seinen Hals und läuft nicht Gefahr, sein Blut zu vergießen. Was kümmert es ihn, wie viele Menschen hier draußen in der stummen Leere des Gürtels getötet werden?
Der Funktechniker blendete eine rot blinkende Meldung auf dem Hauptschirm der Brücke ein. Eine Sonnensturm-Warnung. Harbin überflog die Daten und sah, dass es noch drei bis vier Tage dauern würde, bevor die Wolke die inneren Regionen des Gürtels erreichte.
»Führen Sie eine Diagnose des Strahlenschutzschirm-Systems durch«, befahl er und sagte sich, überzeug dich lieber sofort, ob der Schirm richtig funktioniert. Falls nicht, hast du noch siebzig Stunden Zeit, um ihn zu reparieren.
»Wir haben ein Ziel, Sir!«
Die Meldung des Waffenmeisters riss Harbin aus seinen Gedanken. Die Protuberanzen-Warnung verschwand vom Haupt-Bildschirm und wich drei kleinen, fast neuntausend Kilometer entfernten Lichtpunkten: zu weit weg, als dass die Teleskop-Kameras sie zu einem deutlichen optischen Bild auflösen konnten.
Harbin tippte mit der Fingerspitze auf die Armlehnen-Tastatur und rief die Computer-Analyse ab. Die Flugbahn der Punkte war jedenfalls nicht die sonnenzentrierte Ellipse von Asteroiden; sie bewegten sich in einer Formation in Richtung Ceres. Es waren auch keine HSS-Schiffe; der Computer hatte alle Flugpläne im Speicher.
»Drei gegen drei«, murmelte er.
Als die Samarkand und ihre zwei Begleitschiffe in Richtung der Astro-Schiffe beschleunigten, zeigte der Bildschirm erste Einzelheiten. Eins der Schiffe war ein typischer hanteiförmiger Frachter, der eine große amorphe Masse von Erzen transportierte. Die anderen zwei waren kleiner und schlanker — offensichtlich Begleitschiffe, die den Auftrag hatten, den Frachter zu schützen. Beide Begleitschiffe waren mit Asteroidengestein gepanzert, um Laserstrahlen zu absorbieren und abzulenken.
Harbins Schiffe, einschließlich der Samarkand, waren aus dem gleichen Grund mit Asteroidengeröll überzogen. Er sah, dass der Astro-Frachter nicht gepanzert war. Sie vertrauen wahrscheinlich darauf, dass die Ladung als Schild dient, sagte er sich.
»Parallel-Kurs«, befahl er. »Halten Sie einen Abstand von fünfzehnhundert Klicks. Vorläufig nicht näher herangehen.«
»Es ist eine große Schussweite für die Laser«, sagte seine Waffenmeisterin mit einem ausgesprochen betrübten Ausdruck in ihrem breiten, dunklen Gesicht. »Und sie sind auch gepanzert.«
Harbin nickte. »Es ist der Frachter, den wir wollen. Die Begleitschiffe sind mir egal.«
Die Waffenmeisterin schaute ihn mit einem verwirrten Stirnrunzeln an und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf ihre Monitore.
Harbin studierte die Abbildung auf dem Hauptbildschirm. Die Begleitschiffe von Astro sehen mehr wie Felsbrocken als Kriegsschiffe aus, sagte er sich. Für uns dürfte das aber auch zutreffen. Er lächelte grimmig. Wir müssen mehr Erz für die Panzerung von Schiffen verwenden, als wir an die Märkte auf der Erde verkaufen. Das gilt für beide Konzerne. Nun, irgendwann wird das ein Ende haben. Kein Krieg dauert ewig.
Unwillkürlich kamen ihm zwei Zeilen aus dem Rubaiyat in den Sinn: