Edith Elgin Stavenger saß auf dem Rollen-Drehstuhl im Büro, gleich neben dem herrschaftlichen Schlafzimmer in ihrem Heim in Selene, und nutzte die drei Sekunden Verzögerung zwischen Erde und Mond, um das Dossier der Frau zu überfliegen, mit der sie sprach. Seit über einer Woche hatte sie Manager der Nachrichtenmedien auf der Erde kontaktiert und versucht, ihr Interesse für den bevorstehenden Flug nach Ceres zu wecken und Unterstützung zu bekommen.
Ediths behagliches Büro schien in zwei Hälften geteilt zu sein, und die Leiterin des nordamerikanischen Nachrichten-Syndikats saß scheinbar hinter ihrem massiven Schreibtisch aus poliertem Kirschbaumholz und sprach mit Edith, als ob sie wirklich im selben Raum wären — wären da nicht diese drei Sekunden Verzögerung gewesen. Edith hatte das Dossier der Frau auf dem Wandbildschirm an der Seite ihres kleinen, geschwungenen Schreibtischs aufgerufen.
»Das ist keine Geschichte, Edie«, sagte die Medien-Managerin. »Es besteht kein Nachrichteninteresse.«
Der Name der Managerin war Hollie Underwood, in der Branche auch bekannt als ›Queen Hollie‹. Dank Verjüngungstherapien wirkte sie nicht älter als dreißig: glatte Haut, klare grüne Augen, perfekt frisiertes kastanienbraunes Haar. Edith dachte ans Bildnis des Dorian Gray und fragte sich, wie welk und vom Bösen gezeichnet ihr Bildnis wohl wäre. Ihre Reaktion auf Ediths Idee war typisch für die Einstellung der Nachrichten-Medien.
»Es besteht kein Interesse«, erwiderte Edith ruhig, »weil niemand der Öffentlichkeit die Geschichte erzählt.«
Dann wartete sie drei Sekunden und betrachtete unterdessen das dreidimensionale Bild von Underwood, wobei sie sich fragte, wie viel die cremefarbene Rüschenbluse der Frau wohl gekostet hatte. Sie war sicher aus reiner Seide.
»Edie, meine Liebe, niemand erzählt die Geschichte, weil es keine Geschichte dort gibt. Wer interessiert sich schon für einen Haufen Söldner, die sich da draußen im Asteroiden-Gürtel gegenseitig bekämpfen?«
Edith beherrschte sich. »Interessiert sich irgendjemand für die Kosten elektrischer Energie?«, fragte sie zuckersüß.
Underwoods Gesichtsausdruck wechselte von Indignation zu mit Verwirrung gepaarter Neugier. »Was hat der Strompreis denn damit zu tun?«, fragte sie schließlich.
Edith fasste es nicht, dass ein Manager von Underwoods Format in wichtigen Fragen so unbedarft war. »Die Treibhaus-Überschwemmungen haben über die Hälfte der Küstenkraftwerke weltweit zerstört, nicht wahr?«
»Der Ausfall der Stromerzeugung wird größtenteils durch Sonnenenergie-Satelliten ausgeglichen, richtig?«, fuhr sie fort, ohne auf eine Antwort zu warten. »Und was glauben Sie wohl, woher die Rohstoffe für den Bau dieser Satelliten kommen?«
Bevor Underwood antworten konnte, setzte Edith nach: »Und die Brennstoffe für die Fusionsgeneratoren, die die Energieversorgungsunternehmen bauen, kommen vom Jupiter, müssen Sie wissen. Dieser Krieg treibt auch ihre Preise in die Höhe.«
Als sie endlich die Gelegenheit zu einer Erwiderung bekam, wirkte Underwood nachdenklich. »Sie sagen, die Kämpfe im Asteroidengürtel wirken sich auf die Preise der Rohstoffe aus, die diese Felsenratten zur Erde verschiffen. Und auf den Preis für Fusionsbrennstoffe.«
»Und der Preis für diese Rohstoffe beeinflusst wiederum den Endpreis, den ihr Flachländer für Elektrizität zahlt — ganz genau.« Edith verzog beim Gebrauch des abschätzigen Begriffs Flachländer das Gesicht, doch Underwood schien sich nicht daran zu stören.
»Dann kostet es uns eben ein paar Cent mehr pro Kilowatt-Stunde«, sagte sie schließlich. »Das macht den Kohl auch nicht fett.«
Edith lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Hier geht irgendetwas vor, wurde sie sich bewusst. Etwas, das unter der Oberfläche kreiste wie ein Hai auf der Jagd.
Sie schwieg eine Zeit lang und musterte Underwoods Gesicht. »Wie viel Werbezeit kauft die Astro Corporation von Ihnen? Oder ist es Humphries?«
Sobald Underwood die Frage hörte, lief sie rot an. »Wie meinen Sie das? Was wollen Sie damit andeuten?«
»Die großen Konzerne wollen nicht, dass Sie über ihren Krieg berichten, stimmt's? Sie bezahlen Sie für diese Verschleierungstaktik.«
»Verschleierungstaktik?«, echauffierte Underwood sich, als sie Ediths Beschuldigung hörte. »Von Verschleierungstaktik kann nicht die Rede sein!«
»Ach nein?«
Underwood sah wütend aus. »Dieses Gespräch ist beendet!« Ihr Bild verblasste, und Edith war wieder allein in ihrem behaglichen kleinen Büro.
Sie nickte und lächelte. Ich habe offensichtlich einen Nerv getroffen. Die ›großen Jungs‹ bezahlen die Nachrichten-Medien dafür, den Krieg zu vertuschen. So sieht es aus.
Dann verging Edith das Lächeln. Auch wenn sie nun die Wahrheit wusste, würde ihr das kaum dabei helfen, mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.
Wie soll man die Mauer des Schweigens durchbrechen? Edith wünschte sich, sie hätte eine Antwort darauf gehabt.
Hauptquartier der Astro-Corporation
Jake Wanamaker vergaß sich und hieb mit der Faust gegen die Wand. Er stapfte durch die Konsolenreihe im Nachrichten-Zentrum und schlug so fest gegen die Wand, dass die dünne Metallverkleidung eingedellt wurde.
»Sie ist da einfach so reinspaziert, und nun können Sie nicht einmal mehr Kontakt zu ihr herstellen?«
Die Fernmeldetechniker schauten verängstigt. Trotz seines Alters war Wanamaker noch eine beeindruckende Gestalt — vor allem, wenn er zornig war. Für ein paar Sekunden sagte niemand im Kommunikationszentrum ein Wort. Bildschirme blinkten und piepsten leise, doch jedermanns Aufmerksamkeit war auf den Admiral gerichtet.
»Sir, wir bekamen gute Verfolgungs-Daten von ihr, bis sie die Nairobi-Basis erreichte.«
»Diese Minibojen sollen doch auch imstande sein, massives Gestein zu durchdringen«, knurrte Wanamaker. »Und wir haben ein halbes Dutzend Satelliten in polaren Orbits aufgehängt, stimmt's? Wieso fangen sie ihr Signal nicht auf?«
»Es könnte der Sonnensturm sein, Sir«, sagte ein anderer Techniker. »Er stört die Kommunikation.«
»Ihr Leute habt mir doch versichert, dass die Frequenz der von uns benutzten Systeme durch einen Sonnensturm nicht gestört würde«, sagte Wanamaker mit finsterem Blick.
»Ihre Basis muss abgeschirmt sein«, rief der Leitende Fernmeldetechniker, ein dürrer alter Computer-Freak mit tiefliegenden Augen, durch den Raum. »Vielleicht ein Faradayscher Käfig. Wäre nicht schwer zu bewerkstelligen.«
»Großartig!«, blaffte Wanamaker. »Sie ist im Stützpunkt eines potenziellen Gegners, und wir können nicht einmal ihre Bewegungen verfolgen.«
»Wenn sie wieder rauskommt, werden die Satelliten ihr Signal wieder auffangen«, äußerte der Cheftechniker sich optimistisch.
»Falls sie wieder rauskommt«, murmelte Wanamaker.
»Nicht solange der Sonnensturrn tobt«, sagte ein jüngerer Techniker mit besorgtem Blick. »Die Strahlung ist zu stark. Es wäre Selbstmord.«
Gerüchte verbreiteten sich in einer kleinen Gemeinschaft wie Selene wie Wellen in einem Teich. Ein Fernmeldetechniker beklagte sich bei einer Astro-Kollegin, wie ruppig Wanamaker mit den Leuten im Nachrichtenzentrum umsprang. Die Astro-Angestellte erwähnte gegenüber ihrem Mann, dass Pancho Lane in der Astro-Basis in der Nähe des Südpols verschollen sei. Der erzählte seinem Lieblings-Barkeeper, dass Pancho Lane vermisst würde. »Wahrscheinlich mit einem Kerl versumpft, wie ich Pancho kenne«, ergänzte er grinsend.
An diesem Punkt gabelte sich das Gerücht. Eine ›Schule‹ behauptete, dass Pancho mit irgendeinem Typ von Nairobi Industries durchgebrannt sei. Die andere beharrte darauf, dass sie entführt worden sei, wahrscheinlich von Martin Humphries oder seinen Leuten.