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In Wirklichkeit wollte Humphries auf dem Mond leben, möglichst weit entfernt von seinem kaltherzigen, harten Vater und der sturmgepeitschten Heimatwelt. Also hatte er in diesem unterirdischen Garten Eden ein Haus gebaut, dessen eine Hälfte von Forschungslabors und botanischen Anlagen eingenommen wurde und dessen andere Hälfte eine luxuriöse Heimstatt für niemand anders als Martin Humphries selbst darstellte.

Der Wohnbereich des Hauses war groß genug, um bequem ein paar hundert Gäste aufzunehmen. Die meisten versammelten sich im großen Wohnzimmer, während andere durchs gediegene Esszimmer, die Kunstgalerie und Innenhöfe streiften.

Pancho ging schnurstracks in die als Bibliothek getarnte Bar, wo sie Big George Ambrose fand. Er hatte einen mit Reif überzogenen Bierhumpen in der Hand und war in eine angeregte Unterhaltung mit einer reizvollen Blondine vertieft. George ließ unbewusst einen Finger der freien Hand unterm Kragen entlangwandern; er fühlte sich offensichtlich unwohl in einem Frack. Ich frage mich, wer ihm die Fliege gebunden hat, sagte Pancho sich. Vielleicht war sie aber auch schon vorgebunden.

Lächelnd bahnte Pancho sich einen Weg durch die Menge und orderte bei einem der drei gestressten Keeper, die hinter der Bar standen, einen Bourbon und ein Ginger-Ale. Sie wurde von einem Stimmengewirr umwabert, und Gelächter und das Klirren von Eiswürfeln erfüllten den großen Raum mit der Holzbalkendecke. Pancho stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Bar und hielt in der Menge Ausschau nach Amanda.

»Hey, Pancho!« George hatte sich von der Blondine freigemacht und bahnte sich einen Weg zu ihr, wobei die Menge vor ihm sich teilte wie Segelboote, die einem Supertanker auswichen.

»Wie geht's, wie steht's, alter Kumpel?«, fragte George in seinem erstaunlich hohen, melodischen Tenor.

Pancho lachte. Während sie beim Erklimmen der schlüpfrigen Karriereleiter bei der Astro Corporation jahrelang daran gearbeitet hatte, ihren Texas-Akzent zu kaschieren, schien Georges ›Aussie‹-Akzent bei jedem Wiedersehen noch stärker zu werden.

»Die Reichen und die Schönen, stimmt's?«, übertönte sie den Lärm der Menge.

George nickte begeistert. »Es ist genug Geld in diesem Raum versammelt, um einen Flug nach Alpha Centauri zu finanzieren.«

»Und zurück.«

»Und wie läuft's bei dir, Panch?«

»Kein Grund zur Klage«, log sie. Sie wollte nicht über die vermissten Frachter reden. »Was gibt's Neues bei den Felsenratten?«

»Das letzte Lagerhaus auf Ceres wurde geschlossen«, sagte George. »Es ist nun alles oben in Chrysallis

»Ihr habt das Habitat endlich fertig gestellt?«

»Nee, das wird wohl nie fertig werden. Wir basteln ständig dran herum und fügen hier und da ein Stück hinzu. Aber wir müssen wenigstens nicht mehr unten im Staub leben. Wir haben jetzt eine anständige Schwerkraft.«

»Ein volles Ge?«, fragte Pancho und ließ dabei den Blick über die Menge schweifen.

»Ein Sechstel, wie hier. Das genügt, damit in den Knochen kein Kalzium mehr abgebaut wird.«

»Hast du Mandy gesehen?«

In Big Georges zottelbärtigem Gesicht erschien ein Stirnrunzeln. »Du meinst Mrs. Humphries? Nee. Nichts von ihr zu sehen.«

Pancho hörte die Verachtung in der Stimme des großen Rotschopfs. Wie die meisten Felsenratten verabscheute er Martin Humphries. Ob er es Amanda übel nimmt, dass sie den Stecher geheiratet hat, fragte Pancho sich.

Bevor sie George eine entsprechende Frage stellen konnte, erschien Humphries in der Tür, die zum Wohnzimmer führte. Er hatte Amanda an seiner Seite und hielt sie am Handgelenk fest.

Sie war atemberaubend schön und trug ein ärmelloses weißes Kleid, das bis auf den Boden herabfiel. Trotz des weiten Schnitts vermochte jeder zu sehen, dass Amanda die schönste Frau im ganzen Sonnensystem sein musste, sagte Pancho sich: goldblondes Haar, ein Gesicht, das selbst die schöne Helena beschämt hätte, und eine Figur, die den Männern und sogar einigen Frauen sichtlich den Atem raubte. Mit einem süffisanten Grinsen stellte Pancho fest, dass Amanda durch die hochgesteckten Haare mindestens einen Zentimeter größer wirkte als Humphries, obwohl der wie immer seine Bertulli-Schuhe trug.

Als Pancho Humphries vor über zehn Jahren zum ersten Mal begegnet war, hatte er ein rundes, aufgedunsenes Gesicht und einen schlaffen Körper mit einem leichten Bauchansatz gehabt. Doch die Augen waren auch damals schon hart gewesen und hatten wie spitze graue Feuersteinsplitter in diesem ansonsten nichtssagenden Gesicht gesteckt. Seit der Hochzeit mit Amanda war Humphries schlanker und sportlicher geworden; auch im Gesicht war er schmaler geworden. Pancho vermutete, dass er sich schon ein paar Nanotherapien unterzogen hatte; die plastische Chirurgie war überflüssig, seit Nanomaschinen Muskeln zu kräftigen, Haut zu straffen und Falten zu glätten vermochten. Diese grauen Augen waren jedoch unverändert: brutal und skrupellos.

»Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«, rief Humphries in seinem kräftigen Bariton.

Es wurde still im Raum, und alle drehten sich zu den Gastgebern um.

»Wenn Sie sich für eine Minute von der Bar losreißen würden«, sagte Humphries mit einem breiten Lächeln, »denn Amanda und ich haben im Wohnzimmer etwas zu verkünden.«

Die Gäste gingen pflichtschuldig ins Wohnzimmer. Pancho und George blieben noch an der Bar und folgten dann den anderen. George stellte sogar den Humpen ab. Nun war das Wohnzimmer mit Frauen in edlen Gewändern und blitzendem Schmuck und Männern in schwarzen Anzügen überfüllt. Wie Pfauen und Pinguine, sagte Pancho sich.

Trotz der Weitläufigkeit des Raums fühlte sie sich etwas unwohl angesichts der vielen zusammengepressten Leiber, egal wie gut sie gekleidet waren. Pancho rümpfte die Nase beim sich mischenden Geruch von Parfüm und Schweiß.

Humphries führte Amanda an der Hand zum Flügel in der Mitte des großen Raumes und kletterte dann auf die Bank. Amanda blieb lächelnd neben ihm stehen. Dennoch machte sie in Panchos Augen einen unbehaglichen, unglücklichen und ängstlichen Eindruck.

»Liebe Freunde«, hob Humphries an.

Von wegen Freunde, sagte Pancho sich. Er hat doch gar keine Freunde, nur Leute, die er gekauft oder sich gefügig gemacht hat.

»Es ist schön, Sie alle hier zu sehen. Ich hoffe, Sie amüsieren sich gut.«

Irgendein Speichellecker klatschte Beifall, und sofort applaudierten alle Anwesenden. Sogar Pancho schlug die Hände ein paar Mal zusammen.

Humphries lächelte und gab sich betont bescheiden.

»Das freut mich«, sagte er. »Und ganz besonders freue ich mich darüber, dass ich in der Lage bin, Ihnen eine frohe Kunde zu übermitteln.« Er hielt für einen Moment inne und genoss die offensichtliche Vorfreude der Menge. »Amanda und ich bekommen einen Sohn. Das genaue Datum der Niederkunft steht noch nicht fest, aber es müsste Ende August sein.«

Die Frauen stießen Begeisterungsrufe aus, die Männer Jubelrufe, und dann applaudierten alle und gratulierten lauthals. Pancho vermochte wegen ihrer Größe über die vor ihr wogenden Köpfe hinwegzusehen. Sie konzentrierte sich auf Amanda. Mandy lächelte unzweifelhaft, aber es wirkte dennoch gezwungen und freudlos.

Die Menge formierte sich spontan zu einem Defilee, und jeder Gast schüttelte Humphries die Hand und gratulierte ihm und der werdenden Mutter. Als Pancho an der Reihe war, sah sie den freudlosen und traurigen Ausdruck in Amandas himmelblauen Augen.

Sie kannte Amanda aus der Zeit, als sie beide als Astronauten für die Astro Corporation gearbeitet hatten. Pancho war dabei gewesen, als Mandy die Bekanntschaft von Lars Fuchs gemacht und als Fuchs ihr seinen Antrag gemacht hatte. Sie waren alte Freundinnen, Vertraute — bis Amanda Humphries geheiratet hatte. In den letzten acht Jahren hatte sie Mandy nur selten gesehen und nie allein.