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»Nichts«, murmelte Harbin. Er schnippte die Sicherung der Handgranate mit dem Daumennagel weg und wirbelte gleichzeitig herum, um seinen Körper zwischen das Besatzungsmitglied und die Druckwelle zu bringen. Die Explosion zerriss ihn fast in zwei Hälften.

Asteroid 56-046

»Was soll das heißen, Dorn ist nicht zu sprechen?«, schrie Humphries den dunklen Telefonmonitor an. »Verbinde mich mit dem Wachoffizier an Bord der Humphries Eagle.«

›Eine Kommunikation nach draußen ist derzeit nicht möglich‹, erwiderte das Telefon.

»Das gibt's nicht!«

›Eine Kommunikation nach draußen ist derzeit nicht möglich‹, wiederholte das Telefon ungerührt.

Humphries starrte aufs dunkle Display und drehte sich langsam zu Elverda Apacheta um. »Er hat uns abgeschnitten. Wir sind hier gefangen.«

Elverda hatte das Gefühl, in einen kalten Schraubstock gespannt zu werden. Vielleicht ist Dorn ein Wahnsinniger, sagte sie sich. Vielleicht ist er mein personifizierter Tod.

»Wir müssen etwas unternehmen«, schrie Humphries beinahe.

Elverda erhob sich zittrig. »Es gibt im Moment nichts, was wir tun könnten. Ich werde in meine Kabine gehen und ein Nickerchen machen. Ich glaube, dass Dorn, oder Harbin oder was auch immer seine Identität ist, sich wieder bei uns melden wird, wenn er dazu bereit ist.«

»Wozu bereit?«

» Uns das Artefakt zu zeigen«, erwiderte sie — hoffentlich, fügte sie stumm hinzu.

In rechtlicher Hinsicht gehörten das Artefakt und der ganze Asteroid Humphries Space Systems. Er war von einer Familie — Mann, Frau und zwei Söhnen im Alter von fünf und drei Jahren — entdeckt worden, die ihren Lebensunterhalt damit verdiente, Eisen-Nickel-Asteroiden zu suchen und die Schürfrechte an die großen Konzerne zu verkaufen. Sie machten ihren Anspruch an diesem namenlosen Asteroiden geltend, zusammen mit einer vorläufigen Beschreibung des zehn Kilometer langen Körpers, seiner Bahn im Asteroidengürtel und einer Probenanalyse der Oberflächenzusammensetzung.

Sechs Stunden, nachdem ihre ursprüngliche Übertragung das Gütermarkt-Rechnernetzwerk auf der Erde erreichte — und als vier Großkonzerne ein fröhliches Bieten auf die Schürfrechte für den Asteroiden eröffneten —,ging eine neue Nachricht im Hauptquartier der Internationalen Astronauten-Behörde in London ein. Die Nachricht war verworren, bruchstückhaft und offensichtlich in großer Hast und fieberhafter Aufregung verfasst worden. Es gebe da irgendein Artefakt in einer Höhle tief im Innern des Asteroiden.

Einer der gesichtslosen Bürokraten tief im Getriebe der vielschichtigen Organisation der IAA schickte unverzüglich eine Nachricht an einen Angestellten von Humphries Space Systems. Der Bürokrat kündigte Stunden später — reicher, als er es je hätte erwarten dürfen —, während Martin Humphries persönlich sich mit den Prospektoren in Verbindung setzte und den Asteroiden per ›Sofortkauf‹ und für genug Geld erwarb, dass die Prospektorenfamilie für ihr Lebtag ausgesorgt hatte. Als die Entscheidungsträger der IAA sich schließlich bewusst wurden, dass ein Alien-Artefakt entdeckt worden war, standen sie vor vollendeten Tatsachen: Das Artefakt und der Asteroid, in dem es sich verbarg, waren nun das Privateigentum des reichsten Mannes im Sonnensystem.

Martin Humphries tendierte zwar zum Egomanen, ein Dummkopf war er aber nicht. Gnädig erlaubte er der IAA, ein Team von Wissenschaftlern zu organisieren, die dieses erste Objekt, geschaffen von einer außerirdischen Intelligenz, untersuchen sollten. Noch gnädiger erklärte Humphries sich dazu bereit, die weite Reise der Forscher zum Asteroiden aus eigener Tasche zu finanzieren. Er stellte nur eine Bedingung, die die IAA kaum abzulehnen vermochte. Er bestand nämlich darauf, dieses Kunsterzeugnis als erster zu sehen, bevor die Wissenschaftler es besichtigen durften.

Und er nahm die renommiertesten und prominentesten Künstler des Sonnensystems mit. Um den Wert des Artefakts als Kunstgegenstand zu ermitteln, behauptete er. Um den möglichen Nachlass bei der Körperschaftssteuer zu ermitteln, wenn er das Objekt der IAA stiftete, sagten seine Feinde. Je länger die Reise zum Asteroiden dauerte, desto mehr gelangte Elverda jedoch zu der Überzeugung, dass tief unter seiner rücksichtslosen Schale sich ein neugieriger kleiner Junge versteckte, der ganz aufgeregt war, weil er ein neues Spielzeug bekommen hatte. Ein Spielzeug, das er nur für sich allein haben wollte. Ein Kunstwerk, von Außerirdischen erschaffen.

Denn um ein Kunstwerk schien es sich bei diesem Artefakt zu handeln. Die Prospektoren-Familie sendete noch immer vage, beinahe irreale Berichte über das Aussehen des Artefakts. Die Berichte waren wertlos. Keine zwei Beschreibungen waren identisch. Wenn man dem Mann und der Frau glauben wollte, dann saß das Artefakt nur in der Mitte einer grob behauenen Höhle. Aber sie beschrieben es mit jedem Bericht anders, den sie sendeten. Es glühte von innen heraus. Es war dunkler als das tiefe Weltall. Es war eine Art Statue. Es war formlos. Es überwältigte die Sinne. Es war so klein, dass es fast in eine Hand passte. Es brachte die Kinder zum Jauchzen. Es jagte ihren Eltern Angst ein. Als sie es fotografieren wollten, war auf den Bildern nichts zu sehen. Als ob sie gar nicht auf den Auslöser gedrückt hätten.

Während Humphries ihre hirnrissigen Berichte las und voller Ungeduld daraufwartete, dass die IAA ihr handverlesenes Team aus Wissenschaftlern zusammenstellte, befahl er seinem Sicherheitschef, so schnell wie möglich einen Söldnertrupp zum Asteroiden zu entsenden. Von firmeneigenen Einrichtungen in der Jupiter-Station und den Marsmonden sowie von drei verschiedenen Vorposten im Asteroidengürtel selbst stellte Humphries Space Systems eine Brigade erfahrener Söldner zusammen. Sie erreichte den Asteroiden, bevor jemand ihnen zuvorkommen konnte, und hatte Anweisung, niemanden den Zutritt zum Asteroiden zu erlauben, bevor Martin Humphries selbst ihn erreichte.

»Die Zeit ist gekommen.«

Elverda erwachte langsam und schmerzhaft wie ein Schwimmer, der um Luft rang und ans Licht der Oberfläche strebte. Sie hatte von ihrer Kindheit geträumt, vom Dorf, in dem sie aufgewachsen war, den entfernten schneebedeckten Anden und den warmen nächtlichen Brisen, die von der Liebe kündeten.

»Die Zeit ist gekommen.«

Es war Dorns tiefe, flüsterleise Stimme. Erschrocken riss sie die Augen auf. Sie war allein in der Kabine, doch Dorns Bild füllte das Telefondisplay neben dem Bett aus. Die unter dem Display leuchtenden Zahlen sagten, dass es tatsächlich Zeit war.

»Ich bin wach«, sagte sie dem Monitor.

»Ich werde Sie in fünfzehn Minuten abholen«, sagte Dorn. »Ist das genug Zeit für Sie, um sich fertig zu machen?«

»Ja, reichlich.« Die Tage, als sie Zeit brauchte, um ihre Kleidung auszuwählen und sich herauszuputzen, waren längst vorbei.

»Also in fünfzehn Minuten.«

»Warten Sie«, entfuhr es ihr. »Können Sie mich sehen?«

»Nein. Visuelle Übertragungen müssen manuell geschaltet werden.«

»Ich sehe.«

»Ich nicht.«

Ein Witz? Elverda setzte sich im Bett auf, als Dorns Bild verblasste. Hat er überhaupt einen Sinn für Humor?

Sie schälte sich aus dem formlosen Overall, den sie im Bett getragen hatte, ging schnell unter die Dusche und holte ihren besten Kaftan aus der Reisetasche. Die Farbe war ein tiefes Mitternachtsblau, mit glitzernden Silbersternen übersät. Elverda hatte die bodenlange Kutte selbst geschneidert — aus Stoff, den ihre Mutter vor langer Zeit gewebt hatte. Die Sterne hatte sie so gemalt, wie sie sie von ihrem Heimatdorf in Erinnerung hatte.