Alle standen auf. Kein Laut war in dem großen Raum zu hören. Nur die Weingläser klangen leise aneinander. Die jungen Kosmonauten waren überraschend ernst geworden. Trotz ihrer burschikosen, unbekümmerten Art oder vielleicht eben deshalb hatten sie ein unbestechliches Gefühl für die Bedeutung dieses Augenblicks.
Entsprechend dem seit jeher in der Raumfahrt üblichen Zeremoniell griff Mirsanow zu einem uralten Requisit, zu Feder und Tinte, um mit diesen Symbolen für die Rechtskraft einer Handlung seinen Namen unter die Ablösungsurkunde zu setzen.
„Und nun“, fuhr Mirsanow fort, „da ihr gewissermaßen in Ehren und ordnungsgemäß eurer bisherigen Aufgaben enthoben seid und wir, AJ-408, an eure Stelle getreten sind, fordere ich euch auf, zu den Früchten der Erde zu greifen.“
Nach Mirsanow erhob der junge Kommandant sein Glas auf die künftigen Unternehmungen des Raumschiffes AJ- 408. Er wünschte viel Erfolg bei der Meteoritenjagd in den nächsten Monaten. Außerdem bedankte er sich im Namen seiner Besatzung für das herrliche Obst und die schönen Blumen. Er gab dann bekannt, welche Erfolge seine Besatzung, die Rakete der jungen Generation, im einzelnen zu verzeichnen hatte.
„Während unseres ersten gemeinsamen Weltraumfluges haben wir, obwohl wir ohne Erfahrungen waren, unseren Beitrag zur systematischen Verringerung der Meteoritengefahr geleistet. Bis zum heutigen Tag ist es uns gelungen, insgesamt 764 Meteoriten zu vernichten. Unsere Abschußziffer ist zwar kein Rekord, aber immerhin doch ein Erfolg, der dem Durchschnitt entspricht. Die Leitrakete betraute uns ferner mit vier Sonderaufträgen. Zweimal haben wir abseitsfliegende Asteroiden angesteuert und sie mit Funkwarnfeuern ausgestattet. Und zweimal haben wir auf bekannten Planetoiden bereits bestehende Funkwarnfeuer überprüft und defekte Einzelteile ausgewechselt.“
Die Feier dauerte nicht sehr lange. So klein und bescheiden sie aber auch sein mochte, die Besatzung des Raumschiffes der jungen Generation war in gehobener Stimmung.
Lediglich Henry Lorcester war ein wenig bedrückt. Es wurde ihm nicht leicht, sich von der vertrauten und erprobten Gemeinschaft zu lösen. Außerdem fühlte er in dieser Stunde, daß auch er recht gern zur Erde zurückgekehrt wäre. Aber jetzt, da er sich nun einmal entschlossen hatte, Mirsanow zu helfen, wollte er nicht mehr zurücktreten.
Seine Kameraden bemühten sich, ihm den Abschied leicht zu machen. Nur wenige begleiteten ihn daher in den Bugraum zur Kolibri-Rakete.
Henry beeilte sich. Je kürzer der Abschied war, desto besser für ihn. Das Gepäck mit seinem persönlichen Eigentum war schon verstaut.
Auch Kioto Yokohata bedauerte es ein wenig, daß die Ablösungsformalitäten schon abgewickelt und erledigt waren. Nicht, daß er sich unter der Besatzung von AJ-408, seinem eigenen Raumschiff, unwohl fühlte.
Nein, aber diese junge Besatzung auf AJ-417, in der kaum jemand über dreißig Jahre alt sein mochte, war eine bewundernswerte Gemeinschaft, zu der er sich vom ersten Augenblick an hingezogen fühlte. Der Pilot nahm in seinem Sitz Platz. Im Katapultraum wurden die letzten Grüße und der letzte Händedruck ausgetauscht. Der Navigator kam zuerst durch den Einstieg hereingeklettert. Er begann sogleich, seine Weltraumkombination mit dem Glashelm anzulegen.
„Ich wünsche euch einen glücklichen Heimflug und gute Erholung auf der Erde“, hörte der Pilot Professor Mirsanow zu den jungen Kosmonauten sagen.
Jetzt verabschiedete sich nur noch der junge Kommandant von seinem ehemaligen Besatzungsmitglied. „Henry, alter Junge, zieh nicht so ein Gesicht! Halte die Ohren steif und mach mir keinen Unsinn mit den Antiteilchen. Du weißt, sie können großes Unheil anrichten. Vergiß unsere Späße nicht, wenn's dir mal schwerfällt. Wir werden an dich denken. Alles Gute!“
„Gruß unserer Erde“, antwortete Henry Lorcester. Die beiden jungen Männer sahen sich fest in die Augen und umarmten sich herzlich. Dann stieg auch Lorcester ein.
Zum Schluß gab es doch noch eine kleine Aufregung. Man hätte nämlich beinahe vergessen, die kleine Kassette mit den handgeschriebenen Briefen abzugeben. Schnell wurde sie noch herausgereicht, bevor die heimwärtsfahrenden jungen Raumfahrer den Bugraum verlassen mußten. Fest und hermetisch schloß sich hinter ihnen die Tür. An der Rakete klickten die Lukenverschlüsse. Die Pumpen begannen die Luft aus dem Katapultraum zu saugen.
Der Start verlief glatt, und schon war man wieder allein in der unendlichen Weite. Nur der unsichtbare Faden des Funkleitstrahls und die elektromagnetischen Wellen des Sprechfunks verbanden die vier Raumfahrer mit den beiden großen Flugschiffen. Die Präzision der Technik und die Kunst des Piloten brachten die kleine Rakete nach den üblichen Manövern sicher zum Asteroidenjäger 408 zurück.
Henry Lorcester, der neue Mitarbeiter und Assistent von Professor Mirsanow, war nun auf AJ-408. Er wurde von Kerulen und von den anderen Besatzungsmitgliedern wie ein alter Bekannter empfangen. Wie vorgesehen, erhielt er die Kabinenwohnung neben der von Filitra Goma, der Chemikerin aus Brasilien. Filitra, die neugierig auf ihren neuen Nachbarn war, hatte Lorcester sogleich bei seiner Ankunft im Bugraum in Empfang genommen und ihn zu seiner Wohnung geführt. Sie hatte nicht erwartet, daß er so jung sein würde. Sie fühlte, daß er erst einmal allein sein wollte, und verschob ihr Angebot, ihm die Einrichtungen des Raumschiffes zu zeigen, auf später.
Nach einem Blick auf die Einrichtung der Kabinenwohnung, die ihn durchaus zufriedenstellte, legte Henry Lorcester sein Gepäck ab, um sich an das kleine Bullauge zu begeben. Er hatte sich die Zeit gemerkt, zu der seine bisherigen Kameraden den Rückflug antraten. In wenigen Minuten war es soweit. Das Schiff würde er zwar nicht sehen, wohl aber den Flammenschein des Atomantriebs.
Lorcester löste den Mechanismus aus, durch den sich eine vor dem Panzerglas des Bullauges befindliche Schutzplatte zur Seite schob, zugleich löschte er das Licht in der Kabine. Die Schutzplatte gab den Blick ins All frei. Glücklicherweise lag die Wohnkabine auf der Seite des Rumpfes, von der aus man den Abflug des abgelösten Raumschiffes beobachten konnte.
Henry Lorcester brauchte nicht lange zu warten. Pünktlich zur festgesetzten Zeit flammte wenige hundert Kilometer entfernt das Atomfeuer aus den Antriebsdüsen von AJ-417 auf; der nadelfeine Feuerschweif war gut erkennbar, aber schon nach wenigen Sekunden begann er sich aus dem eng begrenzten Sichtbereich herauszuschieben. Lorcester wußte, daß sich das Raumschiff, das viele Monate seine Wohn- und Arbeitsstätte war, in einer großen Linkskurve heimwärts wenden würde. Es würde die lange Suchkette der einundzwanzig Asteroidenjäger entlang in Richtung Mars fliegen, der auf dem 228. Sonnenkreis seine Bahn zog und zur Zeit im Begriff war, die Flottille zu überrunden.
Während Henry Lorcester dem Flammenschein der Triebwerke des Raumschiffes nachsah, dem einzig sichtbaren Zeichen einer kleinen entschwindenden Welt, liefen Funksprüche hin und her. Die beiden Raumschiffe tauschten letzte Grüße aus. AJ-408 funkte gute Heimfahrt und guten Weg, und AJ-417 wünschte viel Erfolg und eine lange Abschußliste.
AJ-408 zog seine Bahn, dem ersten Abenteuer mit Meteoriten entgegen.
Die galaktische Sekunde
Norbert Franken, der Funker des Raumjägers, saß im Zentralposten an seinem Arbeitsplatz. Außer ihm war niemand in der Steuerzentrale. Der Pilotron steuerte das Raumschiff.