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Es war kurz vor Mitternacht. Franken betrachtete die komplizierte Tabelle galaktischer Zeiten, die er vor sich auf dem Funk- und Radarpult liegen hatte. Seine Augen glitten suchend die einzelnen Reihen und Spalten der Tabelle entlang.

Eine galaktische Sekunde dauerte nach irdischem Maß 9 Tage und 12 Stunden. Eine galaktische Stunde dehnte sich rund 9,1 Jahre, und ein galaktischer Tag bestand sogar aus 218,4 Erdenjahren. Ein galaktisches Jahr setzte sich aus 230 Millionen irdischen Jahren zusammen. Das waren selbstverständlich alles nur relative Werte. Sie ergaben sich aus der Unterteilung der Zeit, die bei einem Umlauf des Sonnensystems um das Zentrum der Milchstraße verging.

230 Millionen Jahre brauchte demnach das Sonnensystem, um die Milchstraße, die Galaxis, diese riesige Sternspirale aus Milliarden Sonnen und unzähligen Planeten, einmal zu umkreisen. Die Forschungen hatten ergeben, daß das Sonnensystem zusammen mit der Erde und den acht anderen großen Planeten bisher vermutlich fünfzehnmal die Milchstraße umrundet hatte. Man befand sich also gewissermaßen im sechzehnten galaktischen Jahr.

Das waren alles enorme Zeitbegriffe. Was bedeutete da schon eine galaktische Sekunde, was bedeuteten da schon neuneinhalb Erdentage? Ein Menschenleben verstrich bei solchen zeitlichen Dimensionen im Handumdrehen. Und dennoch, was konnte ein Mensch alles an bewundernswerten Dingen in seinem kurzen Leben vollbringen!

Franken hätte gern noch weiter philosophiert. Ihm blieb aber keine Zeit mehr dazu. Der Zeiger der zentralen Borduhr im großen Steuerraum, der gewissenhaft die Zeit in irdische Maßeinheiten zerteilte, rückte auf Mitternacht zu. Nur noch wenige Minuten fehlten.

Aber auch die galaktische Zeit lief weiter. Es waren wieder einmal neuneinhalb Tage vergangen. Punkt Mitternacht würde auch der Sekundenzeiger der galaktischen Uhr einen Sprung weiter machen. Für Norbert Franken war dieser Augenblick immer wieder großartig. Was für ein unbeschreibliches Gefühl war es doch, wenn man sagen konnte: ich, ein Mensch, habe wieder eine galaktische Sekunde gelebt.

Für den Funker bedeutete dieser Sprung des galaktischen Sekundenzeigers aber auch, daß er das Peilzeichen senden mußte. Dieses Peilzeichen bestand aus einem Dauerton, der in gedehnten Intervallen ausgestrahlt wurde. Alle Raumschiffe der Flottille mußten diese Peilzeichen fünfzehn Minuten lang in den Äther abstrahlen. Sie wurden von besonderen Empfangsstationen auf dem Mars und auf der Erde aufgenommen und ausgewertet.

Eine Stunde später mußte die Peilsendung von der ganzen Flottille wiederholt werden. Die Funkortungszenfren auf Mars und Erde konnten auf diese Weise durch einen Vergleich ihrer Ortungsergebnisse regelmäßig alle neuneinhalb Tage exakt die Position des Raketenverbandes im Weltraum überprüfen. Dies war aus mancherlei Gründen unbedingt erforderlich.

Nach den Meßergebnissen der Funkortungsstationen wurden zum Beispiel die Richtstrahler der Basis genau eingestellt. Dadurch war gewährleistet, daß unter anderem die Sendungen der gefunkten Raumpost, des Wissens, der Information und auch der Unterhaltung jeweils in das Gebiet des Alls ausgestrahlt werden konnten, in dem sich die Asteroidenjäger tatsächlich befanden. Es war außerdem möglich, den Raumschiffen auf Grund dieser Positionspeilungen die Warnung vor Kometen und anderen Gefahren des Weltraums zu übermitteln.

Die Peilsendungen der Flottille und die Funkortungen von Erde und Mars dienten also in hohem Maße der Sicherheit des Raumschiffverbandes. Die einwandfreie Funkverbindung zwischen dem Mars und den Raumschiffen war lebenswichtig.

Dadurch, daß alle Raketen gleichzeitig Peilzeichen gaben, konnte die jeweilige Ausdehnung der Suchkette beziehungsweise die derzeitige Gruppierung der einzelnen Raketen festgestellt werden. Solche Angaben benötigte der Befehlshaber der Asteroidenjäger, um den Einsatz aller Flottillen und Raumjäger koordinieren zu können.

Norbert Franken schaltete die entsprechenden Apparaturen für die Peilsendung am Funk- und Radarpult ein. Er regelte die vorgeschriebene Frequenz, die entsprechende Sendeleistung und die richtige Modulation ein. Die letzten Sekunden zählte der Funker mit: „Vier und drei und zwei und eins und null.“ In demselben Moment sprang der Sekundenzeiger der galaktischen Uhr einen Strich weiter. Auch die irdische Uhr, die auf den Nullmeridian von Greenwich abgestimmt war, zeigte genau Mitternacht. Franken drückte rasch die Taste, die die Peilsendung auslöste.

Aufmerksam lauschte der Funker in den Äther. Im gleichen Augenblick hatte auch die Leitrakete zu senden begonnen. Frankens geschultes Ohr verglich über den Kontrolltonträger beide Sendungen. Er stellte fest, daß seine Peilintervalle etwas nachschleppten. Er hatte die Sendung um den Bruchteil einer Sekunde zu spät gestartet. Schnell regelte er die winzige Zeitdifferenz aus. Nun lief das Elektronenband mit den Peiltönen der Leitrakete synchron, und er brauchte nur noch den ordnungsgemäßen Ablauf der Sendung zu kontrollieren.

Um 0.15 Uhr, genau auf die Sekunde, war das Band abgelaufen. Norbert Franken hätte die Apparaturen am Funk- und Radarpult abschalten können. Aber er wollte sich die Zeit bis zur zweiten Sendung, die von 1.00 bis 1.15 Uhr laufen mußte, noch etwas vertreiben. Deshalb schaltete er auf Empfang um und stellte nacheinander mehrere Frequenzen und Wellenlängen ein. Dabei konnte er die verschiedensten Funksprüche mithören. Ein solches Mitlauschen war immer recht interessant. Franken machte es sich bequem. Er öffnete ein wenig den Sicherheitsanzug und lockerte ihn am Hals.

Irgendwo, sehr weit weg und sehr schwach, zirpten die Signale eines Funkwarnfeuers. Es warnte die Raumschiffe vor dem Asteroiden, auf dem es stand.

Dann vernahm Franken einige zwitschernde Laute. Es waren die typischen Zeichen einer gefunkten Raumpostsendung. Die einzelnen Signale der Radiobriefe, auf wenige Sekunden zusammengedrängt, folgten einander so rasend schnell, daß ihnen das menschliche Ohr unmöglich folgen konnte. Franken schaltete den Entzerrer ein, der die elektromagnetischen Impulse auffing, speicherte und bei Bedarf auf ihr normales Maß dehnte. Die Radiobriefe waren dann verständlich. Die Anschriften in der aufgefangenen Raumpostsendung nannten als Empfänger Kosmonauten eines Forschungsschiffes, das sich in der Nähe des Jupiters befand. Dieses Schiff sollte die Jupitermonde acht, neun und elf beobachten und ergründen, warum sie sich entgegen der Drehbewegung des Planeten und entgegengesetzt der Flugrichtung der anderen acht Jupitermonde um diesen größten Himmelskörper des Sonnensystems bewegten.

Franken löschte die Briefe, ohne sie weiter zu entschlüsseln, und ging auf eine andere Wellenlänge über. Jetzt fing er Meßergebnisse eines automatischen Funkobservatoriums auf, das vom Planeten Merkur aus nächster Nähe die Sonne beobachtete. Die Angaben waren für ein Forschungsinstitut auf der Erde bestimmt und enthielten Meßwerte aus den letzten Stunden über Eruptionen auf der Oberfläche der Sonne und über die weit in den Weltraum hinausleckenden Feuerzungen der Protuberanzen. Der Funker staunte. Gewöhnlich waren solche Sendungen hier, weit jenseits der Marsbahn, nicht mehr zu hören. Wahrscheinlich lag ein besonderer Fäll von Reflexion vor, bei dem ein Teil der gerichteten Funkstrahlen der Merkurstation vom Erdball zufällig in das Gebiet des Weltraumes zurückgeworfen wurde, in dem die Flottille operierte.

Wenn man so an den Funkgeräten saß wie Franken und wahllos mal diese und mal jene Welle einstellte, merkte man erst, wie lebendig es im Weltraum war. Es war der zu allem befähigte Mensch, der begann, diese tote Dämmerung des Kosmos mit seinem geheimnisvollen Tun zu beleben. Franken war stolz, daß auch er zu jenen gehörte, die das Leben in die unendlichen Weiten trugen.

Als Franken den Zeiger auf der Frequenzskala weiterwandern ließ, geriet er in eine Nachrichtensendung der Erde für Weltraumfahrer. Der Sprecher sagte gerade: „….. beschloß der Rat für Weltbauten, einen neuen Beringdamm zu errichten. Der alte Damm, der in den Jahren 1982 bis 1989 gebaut worden war, vermag den ständig steigenden Verkehr zwischen den beiden großen Kontinenten Eurasien und Amerika nicht mehr zu bewältigen…“