Eine Radaranlage ist doch eine gute Einrichtung, dachte Oulu. Wäre der Meteorit gefährlich, würde er mit hoher Geschwindigkeit auf das Raumschiff zueilen, so hätte die Automatik den Alarm schon längst selbständig ausgelöst. Außerdem hätte der Pilotron Ausweichmanöver eingeleitet. Da das Radargerät aber nur mit Rotlicht warnte, zog der Meteorit vermutlich weitab vom Kurs des Raumschiffes seine Bahn.
Oulu Nikeria blickte auf den Radar-Messer. Zu seinem großen Erstaunen flog der Meteorit aber gar nicht so weit entfernt. Er war nur rund 2000 Kilometer weit weg. Der Meteorit mußte den Weg der Rakete bereits vor mehreren Stunden geschnitten haben. Langsam entfernte er sich, dabei fast parallel zur Flugbahn des Raumschiffes fliegend. Er bedeutete deshalb auch keine Gefahr mehr. Wäre der Meteorit weiter entfernt, so würde der Kommandant wahrscheinlich nicht damit einverstanden sein, daß man ihm nachjagte.
Das Weltraumgeschoß bewegte sich mit 15,3 Kilometer pro Sekunde weiter. AJ-408 aber hatte eine Geschwindigkeit von 16 Kilometern pro Sekunde. Das bedeutete, daß der Raumjäger den Meteoriten in rund 47 Minuten eingeholt haben würde. Er müßte dazu in seinem Kurs von der Ebene der Ekliptik um 12 Grad und um 7 Grad von der Kreisbahn abweichen. Dann würde man den Meteoriten auch gut ins Visier des Helicons, des Strahlenwerfers, bekommen.
Das alles hatte sich Nikeria in knapp 2 Minuten überlegt und errechnet. Es blieben also noch 45 Minuten Zeit, über die Größe, Form und Beschaffenheit ließ sich aus dem Radarrapport noch nichts entnehmen.
Normalerweise genügte es, die vier Mann des Bereitschaftsdienstes zu wecken und den Kommandanten zu verständigen. Heute war das aber etwas anderes. An der ersten Meteoritenjagd sollten alle teilhaben. Oulu Nikeria löste den Radaralarm aus. überall in den Kabinen fuhren die Schläfer hoch. Manche waren sofort wach, andere wieder rappelten sich nur mit Mühe auf und fuhren, noch schlaftrunken, in den griffbereit liegenden Sicherheitsanzug.
Noch während die Klingeln in allen Räumen schrillten, ging Oulu Nikeria zum Pilotron. Er teilte dem Steuerautomaten durch Verstellen zweier kleiner Hebel den neuen Kurs mit. Der Pilotron reagierte augenblicklich. Kaum daß das schrille Klingeln verstummt war, ließ er die drei lauten Glockenschläge durch das Schiff tönen, die den Bereitschaftsdienst in den Steuerraum riefen. Danach erklang das hohe, helle Klingen, das ein automatisches Manöver ankündigte.
Es blieben noch 43 Minuten.
Nikeria setzte sich über das Videophon, die individuelle Kabinenruf-anlage, mit dem Kommandanten in Verbindung, über das ganze Gesicht strahlend meldete er:. Kommandant! Der erste Meteorit ist da. Der Pilotron steuert das Ziel bereits an. In 42 Minuten wird das Radarobjekt eingeholt sein. Ich habe mir erlaubt, die ganze Besatzung zu wecken.“
Kerulen, der eben die Schnellverschlüsse an seinem leichten Raumanzug schloß, lächelte und nickte dem Mathematiker zustimmend zu. Das Videophon war eine Art Telefon mit Fernsehbild. Die Gesprächspartner konnten einander auf den nur wenige Zentimeter großen Bildschirmen sehen.
„Danke. Geben Sie der Besatzung über Bordfunk eine kurze Information. Ich komme sofort in den Steuerraum.“
Das Bild erlosch.
Überall im Raumschiff eilten die Besatzungsmitglieder auf ihre Posten. Die Männer des Bereitschaftsdienstes stürzten in den Steuerraum. Sie nahmen sogleich ihre Plätze vor den einzelnen Befehlsständen ein.
Nikeria informierte, wie ihm der Kommandant aufgetragen hatte, die Besatzung: „Kameraden! Astronauten! Das Radar hat den ersten Meteoriten aufgespürt. Wir haben Kurs auf ihn genommen. Er fliegt jetzt etwa 1800 Kilometer vor uns her. In 41 Minuten sind wir mit ihm auf gleicher Höhe. Ich hoffe, daß dieser erste Meteorit der Auftakt zu einer ganzen Serie von erfolgreichen Jagden sein wird.“
Salamah El Durham, der Triebwerksingenieur, setzte sich unwillig in seinem Bett auf. Er hatte, nachdem Oulu Nikeria die Steuerwache übernommen hatte, keinen Schlaf finden können. Erst vor zehn Minuten war er eingeschlummert. El Durham machte Licht an, blieb aber im Bett sitzen. Abwartend hing sein Blick am Tonträger. Als Oulus Information übertragen wurde, machte er das Licht aus und legte sich wieder hin.
„Affentheater“, murmelte er. „So ein Unsinn, deswegen alle wachzumachen. Auf mich werdet ihr verzichten müssen. Nach der Steuerwache auch noch Radaralarm und Meteoritenjagd! Ohne mich!“
Zwei Minuten später, El Durham war schon wieder im Halbschlaf, sprach Kerulen über den Bordfunk: „Alle können die Alarmplätze auf ihren Stationen verlassen und in den zentralen Steuerraum kommen. Unser Kollektiv soll die Möglichkeit haben, diese erste Meteoritenjagd auf dem großen zentralen Bildschirm zu beobachten.“
Ärgerlich schaltete der Araber den Tonträger ab, um nicht noch einmal durch Mitteilungen über den Bordfunk im Schlaf gestört zu werden. Der Meteorit interessierte ihn nicht. Er wollte seine Ruhe haben.
Im Steuerraum winkte Kommandant Kerulen den Piloten der kleinen Aufklärungsrakete, den Japaner Yokohata, zu sich heran. Er sprach mit ihm und erklärte etwas. Der Pilot nickte und verließ den Steuerraum. Die Einladung Kerulens an die Besatzung, in den Zentralposten zu kommen, wurde gern befolgt. Zusehends füllte sich der Raum.
Der Kommandant nahm seinen Platz am Pilotron ein. Er dunkelte das indirekte Licht des ovalen Raumes stark ab und ließ die große Glasfläche des zentralen Bildschirmes aufleuchten. Das Sternenpanorama tat sich auf. Aber es war schwer, den kleinen Radarreflex des Meteoriten unter den zahlreichen Sternen und den fernen Lichtflecken kaltleuchtender Gaswolken herauszufinden. Kerulen schaltete daher die Fernsehkameras wieder ab. Das Panorama der Sterne erlosch. Nur der Radarreflex blieb auf der großen Bildfläche sichtbar. So würde man alle Vorgänge wesentlich besser beobachten können.
Sagitta kam herein. Sie strahlte. „Ich habe recht gehabt“, sagte sie laut. „Ihr wolltet es mir nicht glauben und habt nur gelacht.“ Niemand verstand gleich, was die Ärztin meinte. „Wißt ihr's nicht mehr?“ fragte sie.
Paro Bacos erinnerte sich. „Doch, doch, warte mal.“ Er überlegte. „Das war, als wir vor einigen Tagen im Operationsgebiet eintrafen und uns nach dem Funkspruch des Kommodore im Raum der Ethik versammelt hatten. Wir stellten Vermutungen über den Zeitpunkt der ersten Begegnung mit Meteoriten auf.“
„Richtig“, fiel ihm Filitra Goma ins Wort. „Ich meinte, es würde Monate dauern, Kioto tippte auf eine Begegnung in wenigen Wochen, und Sagitta sagte, es würde nur einige Tage dauern.“
„Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn“, neckte Norbert seine Schwester. Sagitta drohte ihm mit dem Finger.
Die Besatzung war inzwischen versammelt. El Durhams Abwesenheit fiel erst später auf. Kerulen gebot Ruhe und teilte seine Entscheidung mit: „Kosmonauten, ich halte es für richtig, wenn wir den ersten von uns erjagten Meteoriten nicht mit dem Helicon vernichten. Ich habe den Piloten Kioto Yokohata beauftragt, mit der Aufklärungsrakete zu starten. Er soll den Meteoriten einfangen. Ich glaube, es wird euch allen Freude bereiten, wenn wir unseren Erstling greifbar und sichtbar vor uns haben und wenn wir ihn zum Andenken aufbewahren.“
Beifälliges Gemurmel erklang von allen Seiten.
„Noch dreißig Minuten“, teilte Franken vom Funk- und Radarpult mit. Gespannt betrachteten die Astronauten den Bildschirm. Etwa zehn Minuten vergingen.
„Da!“ rief Filitra Goma laut, von ihrem Sitz aufspringend, um besser sehen zu können. Erschrocken hielt sie inne. Man sah sie amüsiert an. Sie wurde sich ihrer Vorlautheit bewußt. Schnell machte sie sich wieder klein und setzte sich.