Über den rechten Rand des Bildschirmes schob sich ein heller Schein. Es waren die winzigen Umrisse der Aufklärungsrakete. Der Radarreflex des Meteoriten stand dagegen noch ganz links im Bild.
„Noch neunzehn Minuten“, teilte Franken mit.
Verstohlen blickte Filitra zu Henry Lorcester hinüber. Ob er sie wohl wegen ihres impulsiven Aufspringens albern fand, fragte sie sich in Gedanken. Sie war, aus dem Schlaf gerissen, mit einigem Herzklopfen auf ihre chemotechnische Station geeilt. Die von ihr so gefürchtete Begegnung mit einem Meteoriten war da. Wie würde sie ausgehen? Sie konnte sich nun davon überzeugen, daß in diesem Fall alles recht harmlos war.
AJ-408 stürmte jetzt nicht mehr direkt auf den kleinen Gesteinssplitter zu. Der Raumjäger flog etwa 300 Kilometer entfernt parallel zur Rakete Kioto Yokohatas und zum Meteoriten. Man hatte also den Meteoriten und die Aufklärungsrakete nicht mehr vor sich, sondern 300 Kilometer neben dem Raumschiff.
Ununterbrochen sandte das Radargerät seine kurzwelligen Strahlen aus. Sie trafen auf den Meteoriten und auf die Kolibri-Rakete. Ein Bruchteil der Strahlen wurde reflektiert, als Echo aufgefangen und verstärkt. Der kleine heHe Radarumriß der Aufklärungsrakete schob sich rasch über den Bildschirm und näherte sich zusehends dem Meteoriten. Als der winzige punktförmige Radarreflex des kleinen Weltraumkörpers fast erreicht war, schien es, als stoppe die Aufklärungsrakete. Mehr war auf dem Bildschirm nicht zu sehen, und trotzdem folgten die Augen aller Astronauten gespannt diesem einfachen Vorgang.
„Hallo Kolibri, hallo Kioto! Können Sie den Meteoriten schon erkennen?“ erkundigte sich Kerulen über den Sprechfunk.
„Hier Kolibri! Ich habe den Meteoriten hell und deutlich in meinem Radar. Er ist noch 5 Kilometer entfernt. Ich habe mein Tempo stark verlangsamt und taste mich an ihn heran.“
Auch das Raumschiff mußte jetzt seinen Flug abbremsen. Es würde sonst seitlich vorbeiziehen und die Kolibri-Rakete weit hinter sich lassen. Der Kommandant stellte den Pilotron entsprechend ein.
Die Bremsdüsen begannen schwach zu arbeiten.
Die Abbremsung war sehr sanft und allmählich. Im Schiff merkten es die Menschen nur an ihrem Körper, der in der bisherigen Bewegungsgeschwindigkeit verharren wollte. Sie hatten das Gefühl, als zöge sie alle eine sanfte Gewalt zur Stirnseite des Sfeuerraumes, zum Bug des Raumschiffes.
Weitere Minuten vergingen. Dann meldete sich wieder Kioto Yokohata.
„Ich bin jetzt bis auf wenige hundert Meter heran. Mein Scheinwerfer ist eingeschaltet; aber ich kann den Meteoriten mit bloßem Auge nicht erkennen. Er scheint daza noch zu weit weg und vor allem zu klein zu sein. Dafür zeichnet aber mein Radar seine Umrisse schon eine ganze Weile sehr deutlich auf. Wenn mich das Bild nicht trügt, dann hat er große Ähnlichkeit mit einem Faustkeil. Der Meteorit rotiert nur sehr wenig um seine Längsachse. Ich melde mich wieder, wenn ich den Stein in meiner Kabine habe.“
„Einverstanden“, antwortete Kerulen. Der Kommandant war etwas in Sorge um seinen Piloten. Yokohata war jetzfzum erstenmal im Weltraum, um ein solches Manöver allein auszuführen. Kerulen entschloß sich, ihm Sicherheitshinweise zu geben. „Seien Sie vorsichtig, Kioto, damit Sie den Meteoriten nicht in die Düse bekommen. Es wäre am besten, wenn sie etwa fünfzig bis sechzig Meter abseits bleiben würden. Passen Sie sich seiner Geschwindigkeit genau an. Steigen Sie dann aus und drücken Sie sich mit der Preßgasflasche oder mit der Rückstoßpistole an den Meteoriten heran. Greifen Sie sich den Burschen. Vergessen Sie aber auf keinen Fall, sich mit der Sicherheitsleine an Ihrer Rakete festzuhaken.“
„Gut. Längsseits gehen, aussteigen, Sicherheitsleine benutzen und Meteoriten ergreifen“, wiederholte der Pilot knapp.
Nach kurzem Schweigen begann man im Zentralposten über den Faustkeil Kiotos zu ulken. „Wenn der Meteorit ein Faustkeil ist, dann irrt vielleicht auch ein Steinzeitmensch hier irgendwo in der Nähe herum“, sagte Norbert Franken.
„Wenn die Aufklärungsrakete zurück ist, wird ihr ein gebückter und zottiger Alter, nur mit einem Fell bekleidet, entsteigen“, scherzte auch der Kommandant.
Filitra Goma lachte. „Ein japanischer Neandertaler. Zu eigenartig…“ Unvermittelt brach sie ihr Lachen ab und errötete. Schon wieder benehme ich mich albern, dachte sie ärgerlich.
„Wir lassen Kioto erst gar nicht aussteigen“, regte Paro Bacos an. „Er muß gleich umkehren und mit seinem Faustkeil auf Bärenjagd gehen. Er soll den Großen Bären erlegen.“
„Lieber nicht!“ rief der Navigator in komischer Verzweiflung aus. „Wie soll ich mich dann orientieren? Wie soll ich dann den Polarstern finden?“
Wenn der Meteorit wirklich große Ähnlichkeit mit einem Faustkeil haben sollte, bin ich dafür, daß wir heute abend zu Ehren unseres ersten Jagderfolges so etwas wie ein Höhlenfest der Steinzeitmenschen veranstalten“, schlug Sagitta vor, nachdem sie einen Blick der Verständigung mit ihrem Bruder gewechselt hatte.
„Ja!“ und „Großartig!“ und „Das ist ein guter Gedanke!“ rief es in der Runde. Man war der Ärztin für diese Anregung dankbar, waren doch die Möglichkeiten der Unterhaltung und Zerstreuung auf einem Raumschiff sehr begrenzt. Ein solches Höhlenfest war mal etwas ganz anderes. Man begann sogleich eifrig Einzelheiten des Festes zu besprechen. Kommandant Kerulen dachte inzwischen schon wieder an den Meteoriten. Er überlegte, daß Kioto Yokohata den Faustkeil mittlerweile bereits geborgen haben müßte. Er schaltete daher die Fernsehkameras ein. Im Bild erschien die kosmische Dunkelheit mit ihrem hauchfeinen Sternenschleier. Mitten auf diesem majestätischen Hintergrund hing der Radarumriß der winzigen Aufklärungsrakete. Sie schien sich nicht zu bewegen. Der Kommandant hatte recht gehabt. Schon eine halbe Minute später erschien hinter der Rakete ein langer, dünner Feuerschweif. Langsam schob sich dieses Bild über den Schirm.
Da meldete sich auch schon der Pilot.
„Hier Kolibri! Meteorit an Bord genommen. Er sieht tatsächlich wie ein Faustkeil aus. Er ist nur nicht so schön glatt und abgegriffen, sondern rauh, schwärzlich und von Quarz durchsetzt. — Ich bin jetzt auf dem Rückweg.“
Norbert Franken schaltete sich ein. Er sandte den Funkleitstrahl aus und gab dem Piloten laufend Anweisungen für das Landemanöver, für die Aufnahme der Kolibri-Rakete in den Rumpf des Raumschiffes.
„Kommt alle mit!“ rief Paro Bacos.“Wir wollen Kioto empfangen.“
Bis auf Oulu Nikeria, der Steuerwache hatte, und Norbert Franken, der die Aufklärungsrakete einwies, verließen die Astronauten den Zentralposten, um zur Katapultkammer zu gehen.
Sie mußten im Vorraum noch etwas warten. Die Aufklärungsrakete war noch nicht eingetroffen. Hinter allen anderen kam, mit etwas Verspätung, der Navigator.
„Ich bin wohl der letzte?“ fragte er.
„Ja, außer Oulu Nikeria und Norbert Franken scheinen alle dazusein“, antwortete Filitra.
Axel Kerulen blickte sich suchend um. „Ist Salamah El Durham hier?“ erkundigte er sich.
Niemand meldete sich.
„Ich habe ihn vorhin im Steuerraum auch nicht gesehen, fällt mir jetzt ein“, sagte Sagitta.
„Ach ja, richtig. Er hatte doch heute nacht Steuerwache“, erinnerte sich der Kommandant.
„Vielleicht hat er die Radarklingel deshalb nicht gehört und schläft noch“, versuchte ihn Filitra zu entschuldigen.
„Wenn Alarm gegeben wird, müssen alle auf ihrem Posten sein“, erklärte der Navigator streng. „El Durhams Verhalten ist unverantwortlich. Er hat sich außerhalb des Kollektivs gestellt.“
„Ihm scheint die Meteoritenjagd gleichgültig zu sein. Ich habe auch schon einige Male bemerkt, daß er seine Arbeit nicht besonders ernst nimmt“, bemerkte Paro Bacos.