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Die Debatte um El Durham wurde unterbrochen. Es gab eine kaum spürbare Erschütterung. Dann strömte Luft in die Katapultkammer. Das bedeutete, daß die Aufklärungsrakete da war. Nach zwei Minuten war der Luftdruck ausgeglichen, und die Türen zum Bugraum öffneten sich.

Auch Kioto mußte, nachdem seine kleine Rakete vom Raumschiff aufgenommen worden war, diese zwei Minuten warten. Eben löste er den Verschluß der Ausstiegsluke, um herauszuklettern, als die Tür zum Katapultraum aufging und die Astronauten hereinstürmten.

Kioto begriff sogleich, daß sie gekommen waren, um den eingefangenen Meteoriten zu sehen. Es freute ihn, daß seine Kameraden so bei der Sache waren. Er war also nicht allein draußen im Weltraum gewesen. Alle hatten sie ihn in Gedanken begleitet. Ihm wurde ganz warm ums Herz.

Der Pilot schwang sich aus der Kanzel. Er löste erst einmal seinen Helm und hob ihn vom Kopf. Dann griff er in die Tasche, die von außen zugänglich im Brustlatz des Raumanzuges eingearbeitet war, und holte den Meteoriten hervor. Der Pilot blieb auf der Startrampe stehen und hielt ihn für alle gut sichtbar hoch.

Der Meteorit sah tatsächlich einem Faustkeil sehr ähnlich. Unter den Augen der Astronauten begann sich der Stein zu verfärben. Er wurde zusehends weiß. An dem äußerst kalten Meteoriten schlug sich der in der Luft vorhandene Wasserdampf nieder, der sich sofort zu Eis- und Schneekristallen umbildete.

Einige aus der Runde streckten die Hand nach dem Meteoriten aus. Kioto Yokohata reichte ihn mit einem listigen Lächeln zu Sagitta hinunter. Die Ärztin griff zu, erfreut, den Stein aus dem Kosmos als erste befühlen zu können. Mit einem kleinen Schreckensschrei ließ sie den Meteoriten wieder los.

„Der ist ja ganz heiß“, rief sie, verwirrt auf die Eisschicht blickend. Heftig schwenkte sie ihre Hand hin und her, um die vermeintliche Brandwunde zu kühlen.

Der Pilot lachte. „Sagitta, du irrst. Er ist nicht heiß, sondern kalt, eiskalt, mehr als eiskalt. Deine Gefühlsnerven haben dich getäuscht.“

Jetzt lachten alle. Sagitta lachte mit, weil Kioto sie regelrecht angeführt hatte. Als Ärztin wußte sie selbstverständlich, daß die Gefühlsnerven bei „eiskalt“ genau das gleiche Signal zum Hirn geben wie bei „heiß“. Im Augenblick des Schrecks hatte sie nur nicht daran gedacht.

Der Pilot konnte den Meteoriten ohne Bedenken anfassen, denn auch die Handschuhe des Raumanzuges bestanden aus einem Material, das sowohl Hitze als auch Kälte in sehr starkem Maße abzuhalten vermochte.

„In ein bis zwei Stunden hat er sich akklimatisiert, hat er sich unserer Zimmertemperatur angeglichen“, sagte der Physiker Paro Bacos.

Kioto Yokohata sprang mit dem Stein in der Hand von der Startrampe herab. Er zeigte jedem den Meteoriten. Der „Faustkeil“ bereifte und vereiste jetzt stärker, hervorgerufen durch den Atem der vielen Menschen, die Kioto umstanden. Die weiße Schicht auf ihm war schon zwei bis drei Millimeter dick.

Filitra Goma bedauerte, daß sie den Meteoriten nicht untersuchen konnte. Zu gern hätte sie ihn in ihr Laboratorium mitgenommen, um ihn auf seine chemische Zusammensetzung zu prüfen. Paro Bacos, der Physiker, liebäugelte auch mit dem Stein aus dem Weltraum. Er hätte gern die Dichte und das Gewicht sowie die radioaktive Ausstrahlung des Meteoriten festgestellt.

„Also, wie ist es? Bleibt es dabei?“ fragte der Kommandant.

„Ja, heute abend feiern wir ein Steinzeitfest“, rief man überall.

* * *

Zur festgesetzten Stunde erschienen in den Gängen des Raumschiffes vereinzelt wild aussehende fellbekleidete Gestalten. Sie strebten zur „Höhle“, das war der Raum der Ethik. Dort sollte das Steinzeitfest stattfinden.

Henry Lorcester verließ ebenfalls seine Kabinenwohnung. Unschlüssig blieb er an Filitras Tür stehen. Ob ich sie abhole? überlegte er. Ihm war es schon bald nach seiner Ankunft auf AJ-408 aufgefallen, daß seine Nachbarin so schweigsam und zurückhaltend zu ihm war. Mit allen anderen Besatzungsmitgliedern hatte er bald herzlichen Kontakt gefunden, aber sie war ihm immer ausgewichen. Vielleicht gelang es ihm heute abend, eine Brücke kameradschaftlichen Verstehens zu dieser jungen Astronautin zu schlagen. Kräftig pochte er gegen ihre Wohnungstür.

Die Tür sprang verblüffend rasch auf. Filitra war eben im Begriff gewesen, ihre Kabinenwohnung zu verlassen. Einen Moment stockte ihr der Herzschlag. Ihr neuer Nachbar, Henry Lorcester, stand vor ihr. Es ärgerte sie, daß sie Befangenheit befiel. Was war das bloß? Das kannte sie doch gar nicht an sich?

„Filitra“, sagte er, „wenn es Ihnen recht ist, könnten wir zusammen zum Steinzeitfest gehen.“ Das Mädchen errötete etwas. Sie nickte nur. Einige Augenblicke standen sie sich schweigend gegenüber. Sie versuchte, seinem Blick nicht auszuweichen und ihre Unbefangenheit wiederzuerlangen.

Filitra hatte einfach zwei handtuchgroße elchbraune Pelze mit Klammern auf den Schultern zusammengeheftet. Ein grobgeflochtener Lederstrang, um den schlanken Leib geschlungen, hielt dieses schlichte Gewand zusammen. Unter den Schlitzen rechts und links, wo das Fellkleid nicht zusammengenäht war, leuchtete, von den lose herabhängenden Armen halb verdeckt, die erdbeerrote Farbe des engen Trikots aus Wollkapillare hervor. Das schwarze Haar lag Filitra in weichen Wellen am Kopf und umrahmte ihr goldbraunes Antlitz. Er hatte sie etwas größer in Erinnerung. „Filitra, Sie kommen mir heute so klein vor“, sagte er zu ihr. Sie lächelte und zeigte auf ihre Füße. Tiefschwarze, absatzlose Schuhe aus synthetischem Pantherfell, eher Strümpfen ähnlich, bedeckten den Fuß bis zum Knöchel. Henry schmunzelte. Dann, machte er ihr ein Zeichen.

Leise schlichen sie die Stufen der Treppe zum Hauptgang hinunter. Henry hielt in der Hand eine Steinaxt aus Pappe. Er war nicht sicher, ob man dieses Fest so feiern würde, wie es die ehemaligen Kameraden auf dem Schiff der jungen Generation gefeiert hätten. Deshalb wollte er erst einmal sehen, ob die anderen auch so abenteuerlich maskiert waren.

Lorcester verharrte daher am Fuße der Treppe und kauerte sich nieder. Filitra blieb lauschend hinter ihm stehen. Vorsichtig beugte sich Henry vor und lugte um die Ecke. Erschrocken fuhr er zurück. Ein Paar dunkler Augen hatten ihn angestarrt. Hinter der Ecke am Hauptgang war ein unterdrücktes, glucksendes Lachen zu hören. Henry faßte sich ein Herz und trat vor. Aber sogleich sprang ihn eine andere fellbekleidete Gestalt an und drängte ihn zur Treppe zurück. Filitra unterdrückte einen kleinen Schreckensschrei. Der andere legte den Finger auf die Lippen. Lorcester schaute dem „Steinzeitmenschen“ aufmerksam ins Gesicht. Er erkannte unter dem wüsten Schopf einer Perücke, dem bemalten Gesicht und der Fellbekleidung den Funker. Norbert Franken hatte eine mächtige aus Kunststoff geformte Keule geschultert.

Lorcester atmete erleichtert auf. Filitra und er waren doch nun nicht mehr die einzigen, die sich so ungewöhnlich verkleidet hatten.

Zum gegenseitigen Bestaunen und Begrüßen blieb aber keine Zeit. Auf dem Gang waren Schritte zu hören. Sie entfernten sich in Richtung des Raumes der Ethik. Franken spähte um die Ecke. Dann winkte er mit gekrümmtem Zeigefinger den jungen Engländer und das Mädchen heran.

Sie sahen, wie ein Urmensch in gebeugter Haltung den Gang entlangtrabte. In seiner Hand pendelte ein Holzspeer. Da trat aus einem Seitengang eine zweite solche Gestalt, ebenfalls mit einem Speer bewaffnet. Die beiden gingen aufeinander zu und grunzten. Das sollte wahrscheinlich die Begrüßung sein. Sie begannen sich mehrmals zu umschreiteh, um sich zu betrachten. Schließlich hieben sie sich lachend auf die Schulter. Offenbar waren sie mit ihrer Maskerade zufrieden.

Die beiden gingen nun wieder würdevoll aufgerichtet nebeneinander weiter und verschwanden hinter einer Krümmung des Ganges.

„Wollen wir sie erschrecken?“ fragte Norbert Franken.

Lorcester nickte begeistert. Filitra machte fragende Augen.

Die drei steckten die Köpfe zusammen. Franken beugte sich zum Ohr seiner Gefährten und flüsterte ihnen etwas zu. Lautlos glitten sie bis zu der Krümmung des Ganges, hinter der die beiden soeben verschwunden waren. Dort angelangt, postierten sie sich mitten im Gang. Auf ein Zeichen von Franken stießen sie ein markerschütterndes Gebrüll aus. Dieser fürchterliche Urschrei durchdrang das ganze Schiff. Er durchlief den Gang von einem Ende bis zum anderen, brach sich hallend an den Wänden, Ecken und Biegungen und kehrte als ein zerstückeltes Echo zurück.