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Henry hatte inzwischen die Höhlenzeichnungen betrachtet. Er wandte sich jetzt davon ab, durchquerte den Saal und schlenderte auf sie zu, vorbei an plaudernden Gruppen, die beisammen saßen oder standen. Plötzlich ließ die Schwerkraft nach. Das künstliche Gravitationsfeld des Raumschiffes schwand zusehends. Die Menschen verloren ihr Körpergewicht. Der Boden rutschte ihnen unter den Füßen weg. Es gab kein Oben und kein Unten mehr. Der Pilot griff zuerst nach dem Meteoriten. Er wollte verhindern, daß er unkontrolliert durch den Raum schwebte. Es gelang ihm, sich an dem Griff einer Frischluftklappe festzuhalten. Der Inhalt eines Weinglases entleerte sich, schwebte auf ihn zu, klatschte ihm ins Gesicht, zerstob und verklebte ihm die Augen.

Kerulens erster Gedanke galt der Steuerwache. Hoffentlich war sie auf dem Posten. Drohte Gefahr? Gespannt lauschte er. Aber das erwartete Alarmsignal des Pilotrons ertönte nicht.

Filitra war eben im Begriff gewesen aufzustehen. Die Muskelkraft ließ ihren Körper raketengleich zur Decke der Höhle emporschnellen. Henry griff zu und erwischte gerade noch Filitras Füße. Sie wirbelten, einander festhaltend, durch den Raum. Mehrmals stießen sie heftig irgendwo an.

Überraschend erlosch das Licht. Auch das noch, dachte Kerulen, der sich an der Türklinke festhielt. Mitten in das Durcheinander der Dunkelheit tönte die Stimme der Steuerwache: „Keine Gefahr. Das ist ein Scherz von Paro. Er hat zuviel Wein getrunken, glaube ich.“

Gleich darauf ging wieder das Licht an, und auch die Schwerkraft kehrte langsam zurück. Der Kommandant wußte nicht, sollte er nun ärgerlich über diesen recht zweifelhaften Scherz sein, oder sollte er über diese weinselige Ungezogenheit eines sonst zuverlässigen erfahrenen Kosmonauten lachen.

Kerulen sah sich um.

Franken, der an der Decke herumspazierte, Mirsanow, dem seine Pelzverkleidung über die Ohren gerutscht war, Oulu und Sagitta, die sich an die weiße Säule geklammert hatten, Henry und Filitra, die mitten durch den Raum trudelten, Rai Raipur, der sich unsinnigerweise an einer leeren Weinflasche festklammerte, und alle anderen begannen sanft zum Boden zurückzugleiten. Dieser Anblick war so belustigend, daß Kerulen lachen mußte. Auch die anderen stimmten mit ein. Paro Bacos' Scherz war zwar etwas grob, aber alle waren froh, daß keine Havarie die Ursache für die kleine Episode war.

Schnell wurde gemeinsam die entstandene Unordnung beseitigt. Herumliegende Gläser, Teller, Schalen, Früchte und Flaschen wurden aufgesammelt und auf ihre Plätze zurückgestellt. Aus etlichen Gläsern hatte sich der Wein bei der Schwerelosigkeit entleert. Er hatte sich in viele tausend winzige Tröpfchen aufgelöst und im Raum verteilt. Er benetzte nun die Wände, die Gegenstände und die Menschen.

Als Paro Bacos lächelnd wieder die Höhle betrat, wurde er zwar ausgepfiffen und tüchtig durchgebeutelt. Aber dann ging das Steinzeitfest der Astronauten noch viele Stunden bei Tanz, Musik, Spiel und Plauderei weiter.

Es gab nur einen Astronauten, der bei dem ganzen festlichen Treiben nicht so recht froh werden konnte. Das war der Triebwerksingenieur Salamah El Durham. Man merkte ihm an, daß er irgendwie bedrückt war. Ein stiller Beobachter hätte denken können, er sei wegen seiner nachlässigen Dienstauffassung bestraft worden. Das war aber nicht der Fall.

Fast jeder von der Besatzung des Asteroidenjägers hatte in der letzten Zeit irgendeine kleine Beobachtung gemacht, die ihn an der Zuverlässigkeit des Arabers zweifeln ließ. In der letzten Nacht aber, als El Durham bei dem Meteoritenalarm einfach in seiner Kabine geblieben war, hatten sich auch bei den größten Optimisten ernste Befürchtungen eingestellt. Dennoch hatte niemand bisher ein Wort über diesen Zwischenfall verloren. Es war selbstverständlich auch keiner auf die Idee gekommen, den Triebwerksingenieur deswegen von dem Fest auszuschließen.

Dennoch fühlte El Durham, daß etwas nicht in Ordnung war. Er ahnte auch, was der Grund für die Verstimmung der anderen sein konnte. Das alles bedrückte ihn. Er spürte es, wie er hier und dort gemieden oder geflissentlich übersehen wurde. Er spürte, daß dies nicht sein Fest war. Wenn er in sich hineinhorchte, empfand er, wie gleichgültig ihm im Grunde dieses Fest um den ersten Meteoriten war. Und trotzdem fühlte er sich unglücklich darüber, daß er in der Gemeinschaft der Astronauten einen Platz am Rande erhalten hatte.

Salamah El Durham war der einzige stille Teilnehmer an den Vergnügungen der „Sternschnuppen-Sippe“. Er machte nur zum Schein mit. Sein Lachen war erzwungen, sein Lächeln gequält. Oft saß er unbeweglich und starrte vor sich nieder. Er horchte in seine innere Leere und hoffte, daß sich irgend etwas in ihm regen möge.

Als er einmal unversehens aufblickte, machte er eine unvermutete Entdeckung. Er begegnete einem Paar heller, klarer Augen, einem zwingenden Blick. Dieser Blick hatte wohl schon lange auf ihm geruht. In ihm war etwas Fragendes, Prüfendes. El Durham war von diesem Blick so betroffen, daß er noch lange danach nur immer diese Augen sah, ohne zu wissen, aus welchem Gesicht sie zu ihm gesprochen hatten.

Der Ingenieur verließ bald darauf das Fest. Kaum jemand bemerkte es. Er wollte jetzt allein sein. Er mußte sich bezwingen und diese Gleichgültigkeit in sich besiegen. Er mußte die Macht einer unsichtbaren Gewalt, die hinter ihm stand und ihn überall belauerte, brechen. Die schwarze gnadenlose Tiefe des Alls war im Begriff, ihn seelisch zu töten.

Er spürte keinen Tatendrang mehr in sich, ihm fehlte die Freude zur Arbeit. Jeder Handschlag war ihm zuviel, jede Überlegung lästig.

Der Araber war in seiner Kabine angelangt. Er warf sich auf sein Bett und stöhnte gequält. Hatte denn niemand von den Kameraden begriffen, in welchem Zustand er sich befand? Kam denn keiner, ihm zu helfen? Sollte er auf sich allein angewiesen bleiben?

Nur der Schlaf kam, ihm zu helfen und ihn zu erlösen. — Irgendwann nach langer Zeit, Stunden mochten vergangen sein, erwachte El Durham allmählich. Langsam stieg sein Bewußtsein aus der Tiefe traumlosen Schlafes zur Oberfläche des Wachseins, des Begreifens empor. Gleichzeitig stiegen hinter seinen noch schlafschweren Lidern traumhaft schön die schlanken, himmelhoch ragenden Laubsäulen grüner Pappeln in einem taufrischen, sonnigen Morgen empor. Er ahnte Gutes. Dieses Traumbild konnte nur Gutes bedeuten. Eine Stimme sprach leise zu ihm. Es war eine Frauenstimme. Der Araber wagte nicht, sich zu rühren. War diese Stimme Traum oder Wirklichkeit? El Durham ließ die Augen geschlossen und versuchte, den Sinn der Worte zu erfassen. Zunächst erkannte er voller Verwunderung diese Stimme. Es war die der Ärztin.

Sagitta hatte sich nach dem Ende des Festes mit einigen Astronauten über Salamah El Durham beraten. Sie fühlte, daß sie jetzt als Arzt eingreifen mußte. Man gelangte übereinstimmend zu der Auffassung, daß den Araber der Aufenthalt im Weltraum deprimiert habe. Es wäre gut, so meinten Kerulen, Franken und Nikeria, ihn noch einige Tage zu beobachten. Dann trennte man sich. Sagitta aber war entschlossen, sofort zu handeln. Sie hatte El Durham schon einige Zeit beobachtet. Ihre Diagnose war gestellt. Sie war sich darüber klar, was nun zu tun war, welche Heilmethode zu wählen war. Sie wollte ihm — ein Märchen erzählen.