Aber nicht lange, da war den Menschen aus dem Gott ein mächtiger, aber gehorsamer diener und aus der schrecklichen Echse ein behutsamer und gutmütiger Elefant geworden. Es war den Menschen gelungen, den Zyklopen vollends zu beherrschen. — Noch lange Zeit trugen die Menschen bei der Arbeit als zeichen dafür, wessen Zauberformel sie gelernt hatten, weiße Kittel oder blaue Kleider.
Und weil die Menschheit unsterblich ist — denn sie hatte ihren Untergang wohl zu verhüten gewußt —, konnte sie noch viele neue Zauberformeln entdecken. Die Menschen schufen bald danach einen neuen, besseren Zyklopen, der ihnen noch mehr wünsche erfüllte.
Du, El Durham, bist auch ein Mensch. Auch du kannst zaubern. Arbeite, zaubere. Arbeite mit uns, wir wollen große Geheimnisse lösen, Geheimnisse des Kosmos. Hilf und unterstütze uns bei dieser Aufgabe.“
El Durham machte eine schwache, unbestimmte Handbewegung. Das war und blieb das einzige Zeichen. Die Ärztin vermochte daraus nicht. zu deuten, ob sie Erfolg gehabt hatte, ob sie dem Gefährten geholfen hatte. Sie schwieg noch etliche Minuten. Dann stand sie auf und ging leise hinaus. In den nächsten Tagen würde es sich zeigen, ob ihre Behandlung richtig war, ob er ihr Märchen verstanden hatte.
El Durham dachte überhaupt nicht über den tieferen Sinn und die Bedeutung des Märchens nach. Er ließ einfach nur die Gegenwart dieser Frau, die Gegenwart eines Menschen, eines Gefährten im All, auf sich nachwirken — eines Menschen, der gut zu wissen schien, was in ihm vorging, und der ihm auf eine ganz einfache und unaufdringliche Weise helfen wollte. Das alles gab ihm Kraft.
Erst lange, nachdem Sagitta gegangen war, entdeckte er den Sinn ihrer Worte, spürte er ihren Stolz auf die Menschen, die sie in ihrem Märchen mit Zauberern verglichen hatte, die mit ihrem Wissen und Können große Macht hatten, solange sie gemeinsam miteinander arbeiteten. Er erinnerte sich an das, was er vergessen hatte: an die Macht der schöpferischen, Werte schaffenden und Werte erhaltenden Arbeit des Menschen, an das sinnvolle Zusammenspiel der Tätigkeit eines jeden einzelnen in der großen menschlichen Gemeinschaft, an die Arbeit, die die Menschen erst zu Menschen gemacht hatte.
Später, als Salamah El Durham die Leere und die Gleichgültigkeit in sich überwunden hatte, fragte er einmal Sagitta, ob noch jemand außer ihr von diesem nächtlichen Besuch und von dem Märchen etwas wisse.
Er fürchtete ein wenig, daß ihn vielleicht dieser oder jener im stillen belächeln würde, weil er wie ein Kind an einem Märchen genesen war. „Nein, niemand“, antwortete sie, ihm voll und offen in die Augen sehend, „außer Oulu. Er ist ich. Wenn ihn einmal das All bedrücken sollte, werde ich ihm auch ein Märchen erzählen.“ Ihre Offenheit überzeugte ihn. Hatte sie ihm doch eben ein großes Geheimnis offenbart.
Der Meteoritenschwarm
Zwei Wochen waren seit dem ersten Meteoritenfang und dem Steinzeitfest der Astronauten vergangen.
Professor Mirsanow erschien freudestrahlend in der Speisekabine. Er rieb sich vergnügt die Hände. Nicht deshalb, weil es etwas Gutes zu essen gab, sondern weil er bei seiner Durchsicht von Tabellen bekannter Meteoritenströme eine vielversprechende Entdeckung gemacht hatte.
Er konnte seine Unruhe kaum verbergen.
Doch zunächst trat er erst einmal an den blitzsauberen Speiseautomaten. Er wählte ein gemüsereiches Gericht und einen Algensalat aus und ließ sich dann mit seiner Portion allein an einem Tisch nieder. Ganz gegen seine Gewohnheit beeilte er sich mit dem Essen.
Seine Eile und auch seine strahlende Laune fielen schließlich an den Nachbartischen auf.
„Haben Sie einen Raumpostbrief erhalten?“ erkundigte sich teilnahmsvoll Filitra Goma, die, ebenfalls allein, an einem Nachbartisch saß. Sie wartete auf Henry Lorcester, um mit ihm zu Mittag zu essen.
Mirsanow schüttelte den Kopf.
„Ich vermute vielmehr, daß heute nachmittag im Laboratorium für Antiteilchen ein interessantes Experiment gemacht werden soll“, hörte man statt einer Antwort des Professors den manchmal etwas vorlauten und ironischen Norbert Franken.
Mirsanow lächelte vor sich hin. Er ließ sich von dieser Bemerkung nicht beirren und schwieg vielsagend. Freundlich nickte er der Chemikerin am Nachbartisch zu und führte die Bissen zum Munde. Dank dem künstlichen Gravitationsfeld im Raumschiff konnte man von offenen Tellern mit Messer und Gabel essen.
Bald stand er wieder auf und brachte sein Geschirr zum Geschirrmagazin, einem Automaten, der schmutziges Geschirr wusch, spülte, trocknete und aufbewahrte, bis es wieder gebraucht wurde. Eilig verließ er den Speiseraum.
Im Hinausgehen, schon in der Tür, besann er sich. Er wandte sich an alle Anwesenden und sagte lächelnd und ebenfalls ein wenig ironisch:
„Wenn ihr euch nicht beeilt, wird euer Essen kalt werden. Schlemmt und praßt nicht soviel, ihr paßt sonst nicht mehr in die Sicherheitsanzüge hinein.“ Dann verschwand er.
Franken, Nikeria und Sagitta, die alle an einem Tisch saßen, warfen sich fragende Blicke zu. Auch an den anderen Tischen rätselte man an den Worten des Professors herum.
Mirsanow ging vom Speisesaal direkt zum Zentralposten. Salamah El Durham hatte Steuerwache. Mirsanow blickte zur Uhr und blinzelte dem Araber vergnügt zu.
„Na, Salamah, schon etwas gesehen?“ fragte er freundlich, mit einer Kopfbewegung zu den Radarschirmen deutend.
El Durham blickte verständnislos drein. Das Funk- und Radarpult hatte er nicht aus den Augen gelassen. Die Schirme zeigten keinerlei Reflexe. Durch die Frage Mirsanows mißtrauisch geworden, trat er an die Geräte. Sorgfältig prüfte, beobachtete und kontrollierte er sie. Es blieb alles, wie es war. Auf den Schirmen waren keinerlei Zeichen zu bemerken. Er zuckte mit den Schultern. „Nichts“, sagte er.
„Verdopple mal die Intensität des starren Radartasters“, riet Mirsanow.
Der Araber verstärkte die Leistung dieses Radargerätes, das, im Bug starr eingebaut, den Weg vor dem Raumschiff abtastete. Das „starre Auge“ der Rakete blickte weiter und weiter voraus. El Durham verdoppelte die Reichweite des Radars nicht nur, sondern er verdreifachte sie sogar. Doch der Radarschirm blieb noch immer leer.
Mirsanow erschütterte das nicht. „Das Rundsicht-Radar, bitte“, sagte er.
Der Triebwerksingenieur regelte den starren Voraustaster auf die normale Stärke herunter, die für die Sicherheit des Raumschiffes ausreichend war. Dann begann er den gleichen Versuch noch einmal am Rundsicht-Radar.
Beide, Mirsanow und El Durham, ließen kein Auge vom Bildschirm. Auch als hinter ihnen die Tür aufging und wieder ins Schloß schnappte, wandten sie sich nicht um. Jemand kam heran und stellte sich hinter sie.
„Die Zeit ist heran. Der Schwarm müßte schon zu erkennen sein“, sagte eine Stimme. Es war Kommandant Axel Kerulen, der den Steuerraum betreten hatte.
Kerulen weiß auch schon, daß irgend etwas im Kommen ist. Woher? dachte Salamah El Durham verwundert.
Das „bewegliche Auge“ der Rakete, das RundsichtRadar, hatte sein „Blickfeld“ beziehungsweise seinen „Horchbereich“, auf das Eineinhalbfache gesteigert.
„Dort!“ rief Mirsanow auf einmal, ganz aufgeregt auf eine Stelle des Radarschirmes weisend. „Dort ist der Schwarm!“
Kerulen zog fragend die Augenbrauen hoch. Er konnte noch nichts sehen. Auch El Durham konnte nichts feststellen, ihre Blicke waren aufmerksam auf den Schirm gerichtet. Augenblicke später entdeckten aber auch sie auf der zuvor von Mirsanow bezeichneten Stelle einen unscheinbaren, schwachen Schimmer, etwa knopfgroß. Dieser Schimmer verstärkte sich merklich.