Die Stimme des Kommodore war verklungen. Norbert Franken bestätigte den Empfang der Sendung. Dann erloschen die Buchstaben „AJ-401“ auf dem Funksuchschirm. Auch das grüne Signal darüber verglomm. Auf dem Rumpf der Rakete versanken wieder die Antennen in den Leib des Schiffes.
Die Arbeit konnte beginnen.
Während der Kommandant nach diesem Funkgespräch zusammen mit dem Mathematiker, dem Navigator und dem Triebwerksingenieur in der Zentrale blieb, um die Berechnungen für das Einsteuern der Rakete auf den 520. Kosmischen Kreis mit Hilfe des Formax, des großen automatischen Rechenzyklons, durchzuführen, gingen alle anderen in den „Raum der Ethik“, in die große Gemeinschafts- und Erholungskabine im Mittelteil des Raumschiffes. Ihnen blieb noch eine halbe Stunde der Ruhe und der Sammlung. Danach würden sie durch die bevorstehenden Bahnmanöver zur Ablösung des anderen Raumschiffes viel Arbeit haben.
Einige setzten sich in die tiefen und bequemen Ruhesessel, andere gingen nachdenklich auf und ab. Alle beschäftigten sich in Gedanken mit dem Funkspruch und mit den darin enthaltenen Anweisungen. Jeder überdachte seine ihm daraus erwachsenden Aufgaben. Niemand labte sich an dem frischen Lufthauch, der zusammen mit gedämpfter Musik den Raum durchdrang, niemand erfreute sich an der schönen Einrichtung dieser fast saalartigen Kabine, an den geschmackvoll verteilten Pflanzen und an dem warmen und freundlichen indirekten Licht.
Ein oberflächlicher Beobachter hätte glauben können, die Kosmonauten seien zutiefst bedrückt. Vielleicht, weil sie der Kommodore auf dem äußersten Flügel der Flottille, am weitesten in den Weltraum vorgeschoben, postiert hatte. Das traf aber nicht zu. Wer tiefer sah, spürte, wie sich jeder einzelne dieser kleinen verschworenen Gemeinschaft überprüfte und sich selbst verantwortungsbewußt Rechenschaft über seine Verfassung, über sein Können und Wissen, über seine Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft gab.
Nach einer Weile erhob sich die Chemikerin Filitra Goma, eine derjenigen, die zum erstenmal mitflogen, aus ihrem Sessel. Sie durchquerte die Gemeinschaftskabine und ging hinüber zu der Ecke des Raumes, in dem die lonika, der sphärische Konzertflügel, aufgestellt war. Dort lehnten Sagitta, die Ärztin, und ihr Bruder Norbert Franken, der Funker, mit verschränkten Armen nebeneinander an einer schlanken weißen Säule, die hier als ein architektonischer Blickpunkt zur Verschönerung des Gemeinschaftsraumes errichtet war. Diese einzelne Säule unterteilte den Raum harmonisch und ließ ihn zudem weiter und größer erscheinen.
Die beiden bevorzugten diesen Platz. Sie liebten es, im stillen Einvernehmen nebeneinander an dieser weißen Säule zu lehnen und ihren Blick in die Ferne zu richten. Sie durchdrangen gewissermaßen die Panzerplatten der Rakete und sprengten so die Enge des Raumschiffes. Sie waren ein eigenartiges Geschwisterpaar. Obwohl Sagitta des Schutzes ihres Bruders nicht bedurfte und obwohl sie so selbständig wie jeder andere hier an Bord war, fühlte sie sich bei ihm besonders geborgen. Im Umgang mit anderen Besatzungsmitgliedern waren sie stets lebhaft und beredt. Trafen sie sich aber in ihrer Freizeit an dieser weißen Säule oder in ihren Kabinen, so redeten sie kaum ein Wort miteinander. Fast immer begnügten sie sich mit dieser schweigenden Gemeinsamkeit. Auch jetzt waren sie wieder in ihre Eigenart verfallen. Ein gerauntes Wort, eine Bewegung mit der Hand oder ein Blick genügten, um sich voll und ganz zu verstehen.
Norbert Franken, in Gedanken versunken, bemerkte, wie jemand herantrat. Er hob seinen Blick und begegnete den fragenden dunklen Augen von Filitra Goma, dem Mädchen aus einer Stadt im Gebiet des ehemaligen Brasilien. „Sage mir, bitte, was bedeuten die drei Buchstaben B. d. A., die der Kommodore zum Schluß erwähnte?“ redete sie ihn an.
Franken nickte ihr freundlich zu. Er brauchte nicht lange zu überlegen; denn er und auch Sagitta waren schon das zweitemal auf Meteoritenjagd, und ihm waren daher solche Bezeichnungen geläufig. „B. d. A. ist eine Abkürzung, die sich bei den Raumfahrern unserer Flottille eingebürgert hat. B. d. A. heißt Befehlshaber der Asteroidenjäger. Dieser Befehlshaber befindet sich in unserer Basis auf dem Mars. Er ist ein erfahrener und befähigter Kosmonaut. Er lenkt von dort aus den Einsatz aller Such- und Raumraketen und unterrichtet uns und auch die anderen Suchgruppen rechtzeitig über besondere Gefahren, zum Beispiel über Kometen, über Sonnenfleckentätigkeit und das damit verbundene sprunghafte Anwachsen von Strahlungen verschiedener Art.“
„Die Basis hält für uns auch die Verbindung zur Erde, sofern der Mars uns näher als der Erdball ist“, ergänzte Sagitta. „Von dort aus werden auch die von der Erde für alle Raumfahrer ausgestrahlten Sendungen des Wissens, der Information, der Unterhaltung und der gefunkten Raumpost mit Richtstrahlern jeweils in das Gebiet des Weltraumes, in dem wir arbeiten, gelenkt. Der B. d. A. sorgt notfalls auch dafür, daß wir in kürzester Zeit zusätzlich ärztliche Hilfe bekommen. Für längere Zeit erkrankte Raumfahrer werden ebenfalls durch seine Entscheidung vor Ablösung des ganzen Schiffes abgeholt und zur Heilung heimwärts transportiert. Schließlich veranlaßt der B. d. A. noch den Aufstieg von Kurier- und Versorgungsraketen vom Mars und von der Erde beziehungsweise vom Mond, die den Asteroidenjägern Ersatzteile und neue Ausrüstungen bei vorzeitigem Verschleiß bringen.“
„Bringt eine solche Kurierrakete auch neue Lebensmittel, Sauerstoff und Kernbrennstoffe?“ fragte Filitra Goma.
„Soweit mir bekannt ist, war das bei Lebensmitteln und bei Sauerstoff noch nie notwendig, denn Lebensmittel und Sauerstoff hat jedes Raumschiff überreichlich an Bord“, sagte Sagitta.
„Bei Kernbrennstoffen ist das allerdings häufiger so, daß sie infolge starken, andauernden Manövrierens bei ganzen Flottillen vorzeitig zur Neige gehen“, berichtete Norbert Franken. „Da sich die Asteroidenjäger bei ihren Suchaktionen weniger als andere Raumschiffe dem antriebslosen Flug überlassen, können, ist ihr Energieverbrauch sehr hoch. Besonders in der Nähe eines Trümmerschwarms wechseln Beschleunigung und Bremsung manchmal tagelang einander ab. Außerdem wird ja auch viel Energie beim Beschuß von Meteoriten durch die konzentrierte Strahlung des Strahlenwerfers verbraucht.“
Inzwischen hatte sich ein Kreis von Zuhörern um die Chemikerin, die Ärztin und den Funker gebildet. Der letzte Satz Norbert Frankens wurde Anlaß zu verschiedenen Vermutungeri über den Zeitpunkt der ersten Begegnung mit Meteoriten.
Filitra Goma behauptete, man werde trotz der modernen technischen Hilfsmittel monatelang suchen müssen, da sich doch nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Möglichkeit des Zusammenpralls eines Raumschiffes mit einem Meteoriten nur alle paar Jahre ergebe. Im Innersten ihres Herzens klammerte sie sich an diese theoretische Berechnung. Sie fürchtete sich vor Begegnungen mit Meteoriten und Asteroiden, war aber bemüht, ihre Furcht vor den anderen zu verbergen. Dennoch wurden ihre Augen größer und größer, als sie die Ansichten der anderen Kosmonauten hörte.
Der Pilot der kleinen Erkundungsrakete, Kioto Yokohata, ebenfalls einer der vier kosmischen Erstfahrer, vermutete, daß man spätestens in einigen Wochen einen Meteoritenschwarm aufgespürt haben werde. Aus seinem Blick sprühte der Tatendrang. Man sah es ihm an, daß er sich am liebsten sofort in ein kosmisches Abenteuer gestürzt hätte.
Sicherlich könne man schon in den nächsten Tagen einen Jagderfolg registrieren, hörte man Sagitta sagen. Dabei sah sie Ihren Bruder an. In ihren Augenwinkeln saß der Schalk. Norbert Franken verstand sofort und ergänzte: „Vielleicht entdeckt das Radar schon in der nächsten Minute einen solchen Weltraumsplitter.“ Dieser Optimismus erheiterte alle. Man brach in herzliches Gelächter aus.