Lorcester bohrte den einen der beiden Manipulatoren in den Fels, um die kleine Rakete fest zu verankern. Dann ließ er die diamantenbewehrte Kralle der anderen künstlichen Hand an einem der feinen Risse schaben. Schon in einer Tiefe von nur einem Zentimeter hörte der Riß auf und ging in festen Fels über. Man konnte also unbesorgt sein, die Felsplatte war kompakt und stabil. Schließlich schlug Lorcester noch einige Gesteinsproben los, um sie an Bord des Raumschiffes auf ihre chemische Zusammensetzung zu prüfen.
Mirsanow führte seine Untersuchungen auf ähnliche Weise durch. Auch er überprüfte die Beschaffenheit dieses Himmelskörpers mit aller Sorgfalt und überzeugte sich von seiner Festigkeit.
Nach etwa zwei Stunden gaben sich Mirsanow und Lorcester zufrieden. „Unsere Untersuchungen haben ergeben, daß der Meteorit zum Aufstellen einer Anti-Falle geeignet ist“, meldete Mirsanow an den Kommandanten. Dann kehrten die beiden Wissenschaftler zum Raumschiff AJ-408 zurück.
Filitra Goma erwartete sie an der Tür zum Schleusenraum und nahm ihnen die Gesteinsproben ab. In ihrem kleinen Laboratorium untersuchte sie die Meteorsplitter und stellte fest, daß sie vorwiegend aus Silizium bestanden und stark eisenhaltig waren. Sie ermittelte ferner eine kräftige Beimengung an Nickel. Außerdem registrierte sie Spuren von Chrom, Magnesium, Aluminium und von einigen anderen chemischen Elementen.
Die Montage der Anti-Falle konnte beginnen.
Das Raumschiff AJ-408 schob sich bis auf wenige hundert Meter an den Meteoriten heran. Stück für Stück der Falle, die in der Katapultkammer vormontiert war, wurde aus dem Raketenrumpf geschleust und an einer Plastseilführung zur Felsplatte herübergezogen. Dort warteten schon Monteure, die diese Einzelteile zusammenfügten. Sie saßen in ihren Einmannraketen und bedienten die Manipulatoren. Geschickt und willig fügten diese mechanischen Hände Teil an Teil. Zusehends wuchs die Falle für die Antiteilchen. Auch die Energiegewinnungsanlagen, die Halbleiterbatterien und die Plasma-Thermo-Elemente, die aus dem Temperaturunterschied zwischen Tag- und Nachtseite des Meteoriten Energie gewannen, wurden zu derselben Zeit aufgestellt.
Siebzehn Stunden nach dem Aufleuchten der ersten Magnesiumsonne ergoß sich ein zweites Mal für sechzig Sekunden das helle Licht des Magnesiums über die Felsplatte. Das Werk war vollbracht. Mit dem Experiment konnte begonnen werden.
Abermals war ein Höhepunkt während des Weltraumfluges der Astronauten von AJ-408 erreicht. Wieder hatten sich alle Besatzungsmitglieder im Zentralposten versammelt. Ihre Augen hingen an dem großen Bildschirm. Bewundernd nahmen sie den Anblick des großartigen Bauwerkes dort draußen im All in sich auf.
Ein dreihundert Meter langes trichterförmiges Gebilde zog sich von dem einen Ende der Platte bis zum anderen. Der Trichter bestand aus einem hauchfeinen Maschengeflecht. Einige dünne Masten vermochten diese riesigen Trichter aufrecht zu halten; denn in der Schwerelosigkeit des Weltraumes waren sie keiner statischen Belastung ausgesetzt. Der riesige Trichter war hinaus in das All gerichtet und verengte sich dann zu einem schlauchartigen Drahtgeflecht. Dieser Schlauch endete in einem Betonwürfel. Der Würfel war das Kernstück der Falle, war die eigentliche Anti-Falle. Auf beiden Seiten der Platte sahen die Astronauten je ein kegelförmiges Gebäude. In ihnen waren die Energieanlagen untergebracht.
Die Magnesiumsonne erlosch. Die kosmische Dunkelheit verhüllte das geheimnisvolle Bauwerk. Mirsanow begann den versammelten Astronauten an einer Tafel die Wirkungsweise der Falle zu erklären.
„Die Anti-Falle haben wir der Natur, der mikroskopischen Kleintierwelt abgelauscht“, sagte der Professor. „Unsere Falle arbeitet ähnlich wie das Trompetentierchen. Dieser Mehrzeller strudelt das Süßwasser, in dem er lebt und das die Nahrung für ihn enthält, durch den trichterförmigen Schlauch seines Leibes in sich hinein. Wir lerten, unterstützt durch die Supraeigenschaften bestimmter Metalle, große Energien durch das feinmaschige Netz des Trichters. Diese Energie erzeugt ein Magnetfeld, das die in die Nähe des Trichters kommenden elektrisch geladenen Elementarteilchen in das Innere der Falle lenkt. Der kosmische Staub dagegen, die Partikelchen, deren Masse für das Magnetfeld noch zu groß ist, als daß sie eingelenkt werden könnten, werden nicht hereingestrudelt. In das Innere der Falle, in den Betonwürfel, können also nur die elektrisch geladenen Elementarteilchen gelangen. Sie werden dort durch eine von uns erdachte besondere Vorrichtung in normale Elementarteilchen und in Antiteilchen sortiert. Die für uns unbrauchbaren und uninteressanten normalen Teilchen werden durch eine Öffnung des Würfels wieder hinaus in den Weltraum gestrudelt. Die herausgesiebten Antiteilchen dagegen gelangen in eine Vakuumkammer, in der sie durch Kraftfelder in der Schwebe gehalten werden. Sie dürfen dabei auf keinen Fall mit einem normalen Atom zusammentreffen, sie dürfen also weder die Wände ihrer Kammer berühren noch dem Atom eines gasförmigen Stoffes begegnen, weil sie dann vernichtet werden und uns verlorengehen.“
Mit diesen Worten trat Timofei Mirsanow zum Funk- und Radarpult. Dort legte er einen Hebel um, und ein gefunkter Befehl jagte zur Felsplatte hinüber. Er setzte die Anti-Falle in Tätigkeit. „In vierundzwanzig Stunden werden wir die Anlage für kurze Zeit außer Betrieb setzen, um nach den ersten Ergebnissen dieses Experimentes zu sehen. Ich nehme an, daß sich dann schon eine Anzahl Antiteilchen gesammelt haben.“
Einen Tag später flogen Mirsanow und Lorcester zur Falle hinüber. Klopfenden Herzens verließen sie, durch Sicherheitsleinen mit den Einmannraketen verbunden, ihre kleinen Raumfahrzeuge. Welches Ergebnis würde dieses Experiment nach den ersten vierundzwanzig Stunden haben?
Durch einen Einstieg zwängten sie sich in den. Würfelbau. Der Würfel war in mehrere enge Kammern unterteilt. Nur eine einzige dieser Kammern konnte von Menschen betreten werden. In diesem Raum waren Meßgeräte und Zählwerke aufgestellt. Gespannt blickten Mirsanow und Lorcester auf das Hauptzählwerk. Eine vielstellige Zahl leuchtete ihnen entgegen. Freudig fielen sich die beiden von den Weltraumanzügen vermummten Gestalten in die Arme. Dumpf polterten ihre gläsernen Panzerglas-Helme aneinander.
Plötzlich riß sich Lorcester los. Er schob seinen Kopf mit dem Helm, auf dem eine winzige Sende- und Empfangsantenne für den Sprechfunk montiert war, aus der Luke heraus und schrie: „Das Experiment ist gelungen! Billionen Einschläge!“
„Herzlichen Glückwunsch!“ tönte es vom Raumschiff zurück. „Wir freuen uns mit euch!“
Mehrere Billionen Einschläge von Antiteilchen waren von dem Zählwerk registriert worden. Das war ein unerwartet großer Erfolg. Zwar machten diese Billionen Antiteilchen zusammengenommen nicht mal ein Milligramm Masse aus, aber der Erfolg war da, die Falle arbeitete. Zufrieden kehrten die beiden Forscher zum Raumschiff zurück.
Funkwarnfeuer
Paro Bacos hatte Steuerwache im Zentralposten. Es war Nachtzeit, die Besatzung des Raumschiffes schlief. Die Triebwerke schwiegen. Sie brauchten nicht zu arbeiten. Die Rakete zog antriebslos ihre Bahn um die Sonne und folgte mit gleichbleibender Geschwindigkeit ihrem Weg entlang dem 520. Sonnenkreis.
Gegen 1.00 Uhr meldete sich der Formax. Ein rotes Lämpchen, das Zeichen für eine Störung, flackerte auf.
Bacos weckte Rai Raipur über die individuelle Kabinenrufanlage. Der Elektroneningenieur mußte diesen Schaden sofort beheben; denn eine noch so geringfügige Störung konnte das künstliche Hirn zu verkehrten Schlußfolgerungen und zu falschen Steuerbefehlen veranlassen.
Rai erschien nach wenigen Minuten. An der Nummer der Warnlampe und an der Art ihres rhythmischen Flackerns erkannte der Fachmann, wo der Schaden zu suchen war. Er öffnete das Elektronenhirn neben der Tastatur, um in das Eingabewerk hineinzusteigen. Nach einer Viertelstunde erschien Rais braunes Gesicht in der viereckigen Öffnung. Er winkte Paro Bacos herbei und reichte ihm eine kleine rechteckige Platte. Es war eine der gedruckten Schaltungen.