Da ertönte das Warnzeichen des Pilotrons, mit dem er ein Manöver ankündigte. Eine Sekunde später setzten die Triebwerke ein. Der Andruck einer leichten Beschleunigung drückte Sagitta in den Sessel. Franken ließ sich ebenfalls schnell in einen Sessel gleiten.
Der Asteroid Adonis verschwand aus dem Blickfeld der Fernsehkameras. Der Bildschirm wurde leer. Nur die Sterne leuchteten, entsprechend ihren Temperaturen, mit weißem, bläulichem, gelbem und rötlichem Schimmer.
Sagitta hatte noch gar nicht begriffen, daß der automatische Astropilot die Geschwindigkeit des Raumschiffes erhöhte, als sie schon wieder in der entgegengesetzten Richtung aus dem Sessel herausgedrückt wurde. Die Düsen im Bug der Raumrakete bremsten die eben erfolgte Beschleunigung wieder ab. Der Asteroid Adonis erschien erneut auf dem Bildschirm, nur ferner und kleiner.
Kaum daß Franken wieder fest auf den Beinen stand, streifte er seine Unentschlossenheit ab. Es galt, schnell zu handeln. Franken stürzte los. Zuerst zum Helicon. Er blockierte ihn mit einem raschen Griff. Dann lief er zum Pilotron und löste die drei lauten glockenhellen Schläge aus, die den Bereitschaftsdienst in den Steuerraum riefen. Mit ein paar schnellen Sätzen kam Franken wieder zum Funk- und Radarpult zurück. Dort drückte er die Anfragetaste nieder. Mit vor Aufregung keuchendem Atem begann der Funker in den Äther zu rufen.
Was war geschehen?
Das Elektronenhirn hatte errechnet, daß der fremde kosmische Flugkörper, der sich eine Zeitlang hinter dem Asteroiden verborgen hatte und dabei näher gekommen war, 8 Kilometer vor Adonis die Bahn des Asteroiden schneiden würde. Um eine so gefährlich nahe Begegnung zu vermeiden, hatte der Pilotron das Raumschiff vorsorglich auf eine andere Position gesteuert. Dann hatte er wieder die Geschwindigkeit des Raumschiffes der des Asterioden angepaßt.
Franken aber begriff in demselben Augenblick, daß sich ihnen ein unbekanntes Raumschiff näherte. Ihm sträubten sich die Haare, denn dieses fremde Raumschiff hatte V- Form. Von Menschenhand erschaffene Raumschiffe solcher Art kannte er nicht.
Dieses unheimliche Sternenschiff schien direkt auf den Asteroiden zuzufliegen. Es bremste seinen Flug nicht ab. Dem Funker fielen die merkwürdigen Peilechos ein, die er seit einigen Monaten auffing.
Sollte zwischen diesen Zeichen und dem fremden Schiff ein Zusammenhang bestehen?
Trotz der Ungewißheit über die Art der drohenden Gefahr blockierte Norbert Franken die Abwehrwaffen. Sie durften erst sprechen, wenn es keine Zweifel mehr gab. Wie aber sollte er in wenigen Minuten restlose Klarheit und Gewißheit erlangen?
Pausenlos rief der Funker wie ein Verzweifelter dem schweigenden Fremden seine Anfragen entgegen. Er hoffte, daß doch Menschen in dem fremden Schiff seien.
„Hier AJ-408, hier AJ-408! Geben Sie sich zu erkennen, geben Sie Erkennungszeichen! Hier AJ-408, hier Raumjäger 408! Verringern Sie Ihre Geschwindigkeit, bremsen Sie Ihren Flug!“
Franken glaubte immer noch, daß er sich täuschte. Er wünschte, daß das Raumschiff sein Erkennungszeichen mitteilen würde, daß es ein Raumschiff des heimatlichen Planeten sein möge. Aber das ungewöhnliche Sternenschiff schwieg. Der Funker sah ein, daß er seine Anrufe ändern mußte.
„Hier Raumschiff der Erde! Hier Raumschiff eines Planeten des gelben Sterns, der Sonne. Weichen Sie von ihrer Flugbahn ab, ändern Sie Kurs! Hier Raumschiff mit vernunftbegabten Wesen! Hier friedliebende Wesen! Geben Sie Lebenszeichen! Fremde im V-Schiff, wer seid ihr? Achtung, Gefahr für alle! Gefahr für euch und für uns!“
Immer dringlicher, immer lauter und heiserer wurde Frankens Stimme. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Hände hasteten über den Regietisch. Die Finger trommelten über die Tasten. Sie schalteten immer wieder neue und neue Frequenzen und Wellenlängen ein.
Das V-Schiff aber hüllte sich in finsteres, drohendes Schweigen. Es schob sich mit unverminderter Geschwindigkeit auf den gefährlichen Schnittpunkt der Bahnen zu.
Franken schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.
Wie konnte er nur so dumm sein! Wenn in dem V-Schiff keine Menschen waren, war es ja sinnlos, sich in der Sprache der Menschen verständigen zu wollen. Der Funker entschloß sich zu einer anderen Methode. Er ging auf Morsetöne über, einfache Zahlen darstellend. Der Funker dachte: Auf der Grundlage der Mathematik müßte es doch möglich sein, sich mit fremden, denkenden Wesen zu verständigen. Aber auch diese Methode half nicht. Schließlich schaltete Norbert Franken ein Tonband ein.
Aus dem Kontrollträger tönten einige der Peilzeichen, wie sie alle neun Tage zur vollen galaktischen Sekunde gesendet wurden. Den Peilzeichen schlossen sich die unbekannten, melodischen Radiosignale an, die Franken schon mehrmals im Anschluß an das sonderbare Peilecho vernommen hatte. Vielleicht ist dieses V-Schiff der Urheber der geheimnisvollen Radiosignale, die ich nun schon seit Monaten immer wieder empfange, dachte Franken. Ob das fremde Raumschiff die Auflösung des funkakustischen Rätsels ist? Die Radiosignale sind Verständigungsversuche der Fremden, überlegte er. Franken wunderte sich, daß die Fremden auch jetzt nicht reagierten, das heißt, daß sie selbst nicht auch das Peilecho und ihre melodischen Funkzeichen als Erkennungszeichen,' als Legitimation ausstrahlten.
Inzwischen waren Kommandant Kerulen und die übrigen Männer des Bereitschaftsdienstes im zentralen Steuerraum eingetroffen. Dem Kommandanten erging es genauso wie den anderen. Als er zur Tür hereinstürzte, stockte sein Schritt für Sekunden. Er glaubte, ein Wahnsinniger stehe am Funk- und Radarpult. Sagittas verstörter Anblick bestärkte ihn noch darin. Sie saß wie vor Schreck erstarrt in ihrem Sessel. Die Ärztin hatte die eigenartige fremde Musik, die ihr Norbert vor vielen Wochen in seiner Kabine vorgespielt hatte, sofort wiedererkannt. Es war für sie erschreckend, in diesen Augenblicken diese Musik zu hören.
Kerulen erblickte Franken, der mit gekrümmtem Körper über die Mikrophone gebeugt stand. Dem Funker hing das in der Aufregung zerraufte Haar wirr in die Stirn. Was der Funker da in den Äther hinausrief, erschien dem Kommandanten einige Augenblicke lang wie verworrenes Gestammel. Aus seinem blassen Gesicht funkelte ein Paar verkniffener Augen. Die Stimme bebte. Die Hände bewegten sich ruckartig über das Regiepult.
Aber schon nach einigen Sekunden ahnte der Kommandant, was geschehen war. Er begriff zumindest, daß Franken verzweifelte Anstrengungen machte, sich mit einem nahenden Raumschiff zu verständigen, das sich nicht zu erkennen gab. Noch konnte Kerulen nicht verstehen, wieso Franken dieses Raumschiff für ein interstellares Flugschiff mit fremden, unbekannten Wesen hielt.
Nach und nach erschien den Männern vom Bereitschaftsdienst. Frankens fieberhafte Tätigkeit weniger wahnsinnig. Begriff man erst einmal, was sich abspielte, so wirkte sein Gesicht zwar bleich, aber es war zugleich auch beherrscht und konzentriert. Die Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, doch sie funkelten vor Energie und Entschlossenheit. Die Bewegung der Hände erschien nicht mehr krampfhaft und ruckartig, sondern knapp und exakt.
Kerulen schaltete das Radarbild mit auf den großen zentralen Bildschirm. Der Radarreflex war jetzt größer und deutlicher. Die spitzwinklige V-Form des fremden Raumschiffes begann sich immer klarer abzuheben. Sie erinnerte an einen in der Mitte geknickten, aber noch nicht völlig zerbrochenen Bleistift. Zur endgültigen Identifizierung fehlte dem Radarbild aber noch die Schärfe.
Als sich das fremde Raumschiff bis auf 900 Kilometer, also bis auf drei Minuten genähert hatte, ohne auf die pausenlosen Anrufe und Verständigungsversuche zu reagieren, gab Franken seine Bemühungen auf.
Seine Hand glitt über das Regiepult. Alle Frequenzen erloschen. Atemlose Stille herrschte in der Steuerzentrale.