Einer dieser Forscher war Professor Timofei Mirsanow, der wissenschaftliche Leiter der Rakete AJ-408. Er war Spezialist für Antiteilchen und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die kosmische Strahlung nach ihnen zu durchforschen. Auf der Erde war es bislang nur in riesigen Teilchenbeschleunigern gelungen, einzelne Antiteilchen für kurze Zeit künstlich zu erzeugen und nachzuweisen. Diese einzelnen kurzlebigen Teilchen waren natürlich nicht ausreichend, um mit ihnen umfangreiche Forschungen betreiben zu können.
Deshalb hatte sich der sowjetische Gelehrte Mirsanow die Aufgabe gestellt, eine größere Menge Antiteilchen aus dem Weltraum zu beschaffen. Die größte Schwierigkeit bei diesem Projekt stellte die schwebende, berührungsfreie Aufbewahrung, Transportierung und Handhabung der Antiteilchen mit Hilfe starker Mikro-Magnetfelder dar.
Diese und einige andere damit zusammenhängende Probleme wollte Mirsanow gemeinsam mit dem jungen englischen Wissenschaftler Henry Lorcester lösen, der gerade auf diesem Forschungsgebiet schon große Erfahrungen besaß.
Auch am Bugkatapult und an der kleinen Aufklärungsrakete wurde rastlos gearbeitet. Die kleine Rakete wurde startklar gemacht. Kioto Yokohata, der Pilot, hatte den Auftrag erhalten, Timofei Mirsanow und den Navigator, der die Funktion des Ersten Offiziers innehatte, zur Erledigung der Ablösungsformalitäten hinüberzufliegen. Denn Kerulen war als Kommandant verpflichtet, an Bord seines Raumschiffes zu bleiben. Auf dem Rückweg sollte dann Henry Lorcester, der neue Mitarbeiter Mirsanows, mitgebracht werden.
Mirsanow, Yokohata und der Navigator nahmen eine besondere Überraschung für die Astronauten des anderen Raumschiffes mit. Es war frisches Obst. Zweifellos eine Kostbarkeit für die Raumfahrer von AJ-417. Die Behälter, die die Geschenke enthielten, waren bereits in der kleinen Rakete verstaut.
Zwar brauchten die Kosmonauten Obst und auch Gemüse während ihrer langen Flüge durch den Weltraum nicht zu entbehren, da jedes Raumschiff mit vollen Konservierungsräumen von der Erde beziehungsweise von der Basis auf dem Mars aufstieg; zwar vermochte man schon seit langem durch eine wohltemperierte und richtig dosierte Kühltechnik sowie durch wirksame Konservierungsmethoden Nahrungsmittel unbeschränkt haltbar und nahrhaft zu erhalten, aber die neuesten und modernsten Methoden und die beste Technik hatten es bisher noch nicht vermocht, vornehmlich dem Obst seinen individuellen frischen Geschmack über längere Zeiträume hinweg zu erhalten.
Kioto Yokohata saß bereits auf seinem Pilotensitz. Er freute sich, endlich Gelegenheit zu einer Tour mit seiner kleinen Rakete zu haben. Er konnte es kaum noch erwarten, bis die kleine Rakete vom Katapult aus dem Rumpf des großen Raumschiffes herausgeschleudert wurde und das feine Vibrieren des thermochemischen Flüssigkeitstriebwerkes zu spüren war.
Da kamen endlich seine beiden Fluggäste. Sie betraten den Katapultraum in Begleitung Kerulens und Oulu Nikerias, der beide Arme voll Blumen hatte, echte Blumen, auch von der Erde. Langsam zwängten sich der Professor und der Navigator durch den engen Einstieg der kleinen Rakete. In ihren dicken Weltraumanzügen, die sie sicherheitshalber tragen mußten, obwohl die Kabine der kleinen Rakete druckfest und strahlensicher war, wirkten sie unbeholfen und täppisch. Bevor der Einstieg geschlossen wurde, reichte Kerulen noch eine kleine Kassette hinein. Sie enthielt jene handgeschriebenen Briefe, die von verschiedenen Besatzungsmitgliedern, unter anderen auch von Filitra Goma, zur Weiterbeförderung abgegeben worden waren.
Der Professor und der Navigator nahmen in den Sitzen hinter dem Piloten Platz. Sie schnallten sich an und befestigten ihre durchsichtigen Raumhelme auf den stabilen Kragen der Raumanzüge. Durch das Panzerglas des Kabinendaches konnten sie sehen, wie Kerulen und Nikeria den Bugraum verließen. Kerulen hob noch einmal grüßend seine Hand, und Oulu wünschte den dreien, die jetzt nur noch durch Sprechfunk mit der Umwelt verbunden waren, lachend Hals- und Beinbruch. Das war ein alter abergläubischer Gruß aus der Urzeit der Luftfahrt, der Unglück abwenden sollte. Die Tür zum Katapultraum schloß sich hinter den beiden fest in das Rahmenprofil.
Surrend saugten die Pumpen die Luft aus der Katapultkammer. Dann taten sich vor der kleinen Rakete die Schleusentore weit auf. Leise fauchend entwich ein Rest Luft in den Weltraum. Gleich würde die kleine Gruppe mit einer Beschleunigung von 5 g aus dem Rumpf des Asteroidenjägers hinauskatapultiert werden. Ihre Körper würden für Sekunden das Fünffache des normalen Gewichts wiegen.
Da leuchtete auch schon die rote Startlampe in der Kabine auf. Sie verbreitete einen rubinroten Schein. Alle drei Insassen meldeten der Startautomatik durch einen Knopfdruck ihre Startbereitschaft. Dadurch wurde die Startsperre aufgehoben.
Mirsanow schloß die Augen, atmete tief und stieß dann die Luft zur Hälfte aus seiner Lunge. In demselben Augenblick traf ihn ein harter Schlag. Eine Riesenfaust preßte ihn in seinen Sessel. Er konnte nicht einmal den kleinen Finger rühren. Sein Kopf mit dem hellen Helm lag wie von Zangen gepackt in der Kopfstütze des Sessels. Mirsanow hätte lachen mögen. In so einer Situation der starken Beschleunigung belustigte und ärgerte ihn zugleich immer wieder seine Hilflosigkeit. Dem Piloten und dem Navigator erging es ähnlich. So plötzlich, wie die Riesenfaust zugepackt hatte, ließ sie auch wieder los.
Der Professor öffnete seine Augen. Dunkelheit umhüllte ihn. Nur der schwache Schimmer der Sterne drang durch das Panzerglas des Kabinendaches. Er mischte sich mit der Skalenbeleuchtung zu einem fahlen Schein. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen daran.
Die kleine Aufklärungsrakete eilte dem großen Raumschiff voraus, ihren Vorsprung rasch vergrößernd. Mirsanow wandte sich um und blickte zurück. Doch vom Raumschiff war nichts mehr zu sehen; es war schon weit, weit zurückgeblieben. Mirsanow sah zur Seite, zum Navigator, der neben ihm saß. Er lehnte regungslos im Sessel und schien noch etwas benommen zu sein. Kioto Yokohata hantierte dagegen schon an seinen Geräten. Das geschah recht vorsichtig. Unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit im Weltraum war es nicht leicht, die Hand dorthin zu führen, wo sie hin sollte. Die kleine Aufklärungsrakete hatte keine Gravitationsanlage zur Erzeugung von Schwerkraft. Mehr als einmal fuhren die Hände des Piloten ungewollt zum Kabinendach empor. Die Muskeln waren es gewohnt, mit der üblichen Anspannung zu arbeiten. Bei der gegenwärtigen Gewichtslosigkeit des Körpers führten die Arme deshalb ruckartige Schleuderbewegungen aus. Erst nach und nach bekam sich der Pilot unter Kontrolle. Mirsanow und der Navigator hatten es in dieser Beziehung leichter. Sie konnten ganz still sitzen.
Zwei Minuten ließ der Pilot die Aufklärungsrakete antriebslos geradeaus fliegen. Dann schaltete er das Triebwerk ein. Weißlichgelber Flammenschein fiel von hinten in die Kanzel. Der Pilot betätigte vorsichtig das Strahlruder.
Mirsanow betrachtete prüfend den Sternenhimmel. Er konnte nicht feststellen, ob die Rakete nach rechts oder nach links abwich. Der Professor beugte sich behutsam vor, soweit es die Gurte, mit denen er angeschnallt war, zuließen. Er konnte nun dem Piloten über die Schulter blicken. Die Instrumente zeigten an, daß die Rakete leicht nach rechts abschwenkte.
„Hier Kolibri, hier Kolibri. — Katapultstart ordnungsgemäß verlaufen, Antrieb läuft. — Schwenken rechts, erbitten Leitstrahl.“ Kolibri war der Name der Aufklärungsrakete. Kioto Yokohata hatte über Funk Verbindung mit AJ-408 aufgenommen. Er brauchte jetzt den Funkleitstrahl, der gewissermaßen ein unsichtbarer Faden war, an dem er entlangfliegen konnte, um sicher an sein Ziel zu kommen.
„Hallo, Kolibri. Hier Franken auf 408. — Kolibri fliegt gut, habe euch im Radar. Funkleitstrahl läuft. — Achtung ich zähle die Kursdifferenz aus: achtzehn… zwölf… neun… sieben… fünf… vier… drei… zwei, zwei… eins, eins, eins… null.“