Humphries verließ sein Haus nur selten. Er hatte es in einen Hort des Luxus und der Sicherheit verwandelt. Die eine Hälfte des Hauses bestand aus Wohnquartieren, die andere wurde von Wissenschaftlern und Technikern belegt, die die Gärten pflegten und studierten, in die das Anwesen eingebettet war. Humphries hielt es für eine brillante Idee, dass er den Regierungsrat von Selene überredet hatte, sie einen dreihundert Hektar großen Garten in der tiefsten Höhle von Selene anlegen zu lassen. Offiziell fungierte das Haus als Forschungszentrum des Humphries Trust, wo das derzeitige ökologische Experiment durchgeführt wurde: Die Frage lautete, ob es möglich war, auf dem Mond eine ausgewogene Ökologie mit minimaler menschlicher Intervention aufrechtzuerhalten, sofern ihr genügend Licht und Wasser zugeführt wurden? Humphries interessierte sich nicht im Mindesten für die Antwort auf diese Frage, solange er nur ein komfortables Leben inmitten des blühenden Gartens zu führen vermochte — geschützt vor der Strahlung und den anderen Gefahren der Mondoberfläche.
Er sonnte sich in der Gewissheit, dass er sie alle an der Nase herumgeführt hatte — selbst Douglas Stavenger, Selenes Gründer und jugendliche graue Eminenz. Er hatte sie sogar dazu bewogen, ihre dumme Entscheidung zu revidieren, ihn von Selene zu verbannen, nachdem seine Verstrickung in Dan Randolphs Tod offenbar geworden war. Doch er wusste, dass er die langbeinige, exotische und schöne Diane Verwoerd nicht zum Narren gehalten hatte. Sie durchschaute ihn glasklar.
Er hatte sie zum Mittagessen ins neue Bistro eingeladen, das gerade erst in der Grand Plaza eröffnet worden war. Seine früheren Einladungen zum Abendessen hatte sie immer abgelehnt, doch ein ›Arbeitsessen‹ außer Haus war etwas, das sie nicht so leicht abzulehnen vermochte. Also hatte er sie zum Mittagessen ausgeführt. Und sie hatte den Salat und die Sojafrikadellen brav verzehrt, aber kaum einen Schluck vom Wein genommen, den er bestellte, und auf das Dessert hatte sie ganz verzichtet.
Als sie nun auf der Rolltreppe zu seinem Wohnbüro zurückfuhren, war sie mit ihrem Palmtop zugange und bearbeitete Probleme, vor denen die Gesellschaft stand und suchte auch gleich nach Lösungen dafür.
Sie ist fast unentbehrlich geworden für mich, wurde er sich bewusst. Vielleicht ist das auch ihr Kalkül — in geschäftlicher Hinsicht so wichtig für mich zu werden, dass ich sie nicht mehr als Frau begehre. Sie muss wissen, dass ich mich bald von Frauen trenne, mit denen ich ins Bett gegangen bin.
Er grinste. Sie spielen ein trickreiches Spiel, Frau Verwoerd. Und bisher haben sie es auch perfekt gespielt.
Bisher.
Humphries wollte sich die Niederlage nicht eingestehen, obwohl es offensichtlich war, dass seine Idee mit dem Mittagessen nicht von Erfolg gekrönt war. Er hörte ihrer Litanei nur mit einem Ohr zu und sagte sich, früher oder später krieg ich dich, Diane. Ich kann warten.
Aber nicht viel länger, sagte eine andere Stimme in seinem Kopf. Keine Frau ist es wert, so lang zu warten.
Falsch, entgegnete er stumm. Amanda ist es wert.
Als sie sich dem untersten Absatz der Rolltreppe näherten, sagte sie jedoch etwas, bei dem er sofort ganz Ohr war.
»Und Pancho Lane ist letzte Woche nach Ceres geflogen. Sie ist schon wieder auf dem Rückweg.«
»Nach Ceres?«, sagte Humphries unwirsch. »Was macht sie denn dort draußen?«
»Sie hat mit ihren Geschäftspartnern Mr. und Mrs. Fuchs gesprochen«, erwiderte Verwoerd ruhig. »Ich könnte mir vorstellen, dass sie darüber gesprochen haben, unsere Preise zu unterbieten.«
»Mich unterbieten?«
»Was denn sonst? Falls es ihnen gelingt, HSS von Ceres zu vertreiben, hätten sie den ganzen Gürtel für sich allein. Sie sind nämlich nicht der Einzige, der die Felsenratten kontrollieren will.«
»Helvetia GmbH«, murmelte Humphries. »Ein blöder Name für eine Firma.«
»Es ist eigentlich eine Strohfirma für Astro, müssen Sie wissen.«
Er sagte nichts, sondern ließ den Blick über die glatten Wände des Rolltreppenschachts schweifen. Niemand sonst fuhr so tief in Selene ein. Es war völlig still außer dem gedämpften Summen des Elektromotors, der die Rolltreppe antrieb.
»Pancho benutzt Fuchs und seine Firma, um Ihnen die Übernahme von Astro zu erschweren. Je mehr Geschäfte sie über Helvetia abwickelt, desto mehr wird der Astro-Vorstand sie als echte Heldin betrachten. Man wird Pancho vielleicht sogar zur Vorsitzenden wählen, wenn O’Banian zurücktritt.«
»Mich aus dem Gürtel vertreiben«, grummelte Humphries.
»Das wollen wir mit ihnen doch auch machen, nicht wahr?«
Er nickte.
»Dann sollten wir ihnen aber zuvorkommen«, sagte Diane Verwoerd.
Humphries nickte wieder im Bewusstsein, dass sie Recht hatte.
»Was wir nun brauchen«, sagte sie langsam, »ist ein Aktionsplan. Ein Programm, das darauf abzielt, Helvetia für immer aus dem Feld zu schlagen.«
Er schaute sie an — schaute sie zum ersten Mal bewusst an, seit sie das Mittagessen beendet hatten. Sie ist die ganze Sache schon im Geiste durchgegangen, wurde er sich bewusst. Sie führt mich an der Nase herum, bei Gott. Humphries sah es in ihren Mandelaugen. Sie hat das alles geplant. Sie weiß genau, wo sie mich haben will.
»Was schlagen Sie also vor?«, fragte er. Er war wirklich neugierig, worauf sie hinauswollte.
»Ich schlage eine zweigleisige Strategie vor.«
»Eine zweigleisige Strategie?«, fragte er trocken.
»Das ist eine alte Technik«, sagte Verwoerd mit einem listigen Lächeln. »Zuckerbrot und Peitsche.«
Trotz seiner Bemühungen, unbeteiligt zu wirken, lächelte Humphries. »Erzählen Sie mir mehr davon«, sagte er, als sie den unteren Absatz der Rolltreppe erreichten und von ihr heruntertraten.
Als er wieder im Büro war, löschte Humphries seinen Terminkalender und lehnte sich ebenso nachdenklich wie besorgt im Sessel zurück. Alle Gedanken an Diane waren aus dem Bewusstsein verflogen; er stellte sich Amanda dort draußen mit Fuchs vor. Amanda würde nicht versuchen, mir zu schaden, sagte er sich. Aber er würde es tun. Er weiß, dass ich sie liebe und würde überhaupt alles tun, um mir zu schaden. Er hat mir Amanda schon entrissen. Und nun will er mich auch noch aus dem Gürtel vertreiben und daran hindern, Astro zu übernehmen. Dieser Hundesohn will mich ruinieren!
Diane hat Recht. Wir müssen handeln, und zwar schnell. Zuckerbrot und Peitsche.
Abrupt setzte er sich auf und wies das Telefon an, den Sicherheitschef anzuwählen. Wenig später klopfte der Mann leise an die Bürotür.
»Kommen Sie herein, Grigor«, sagte Humphries.
Der Sicherheitschef war ein Neuzugang: ein schlanker, schweigsamer Mann mit dunklem Haar und noch dunkleren Augen. Er trug einen hellgrauen Geschäftsanzug von der Stange, die unauffällige Kluft eines Manns, der es vorzog, unerkannt im Hintergrund zu bleiben und dennoch alles zu sehen. Er blieb trotz der beiden komfortablen Stühle vor Humphries’ Schreibtisch stehen.
Humphries neigte sich im Sessel zurück, schaute zu ihm auf und sagte: »Grigor, ich habe da ein Problem, bei dem ich Ihre Hilfe brauche.«
Grigor trat leicht von einem Fuß auf andern. Er war gerade erst von einer Firma auf der Erde übernommen worden, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, weil der größte Teil ihrer Aktiva in den Treibhausüberschwemmungen zerstört worden war. Er war noch in der Probezeit bei Humphries, und er wusste es.
»Diese Felsenratten draußen im Gürtel beziehen einen immer größeren Teil ihrer Vorräte von der Helvetia GmbH anstatt von Humphries Space Systems«, sagte Humphries und musterte den Mann gründlich — er war gespannt, wie er wohl reagieren würde.