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Sie sah, dass er nachdachte und einen Weg suchte, ihrem Wunsch zu entsprechen, ohne dabei das Gefühl haben zu müssen, die anderen Felsenratten im Gürtel zu verraten.

»Lass mich mit Pancho reden«, sagte er schließlich.

»Mit Pancho? Wieso denn?«

»Um zu sehen, ob Astro ein ähnliches Angebot machen würde.«

»Und wenn nicht?«

»Dann werden wir Humphries’ Angebot annehmen«, sagte Fuchs zögernd und mit sichtlichem Schmerz.

»Wirklich?«

Er nickte und lächelte traurig. »Ja, ich würde dann sein Geld nehmen, den Gürtel verlassen und dich zur Erde zurückbringen.«

Dossier: Joyce Takamine

Der Name auf der Geburtsurkunde lautete Yoshiko Takamine, doch nachdem sie in die Schule gekommen war, nannten alle sie bloß noch Joyce. Ihre Eltern hatten nichts dagegen; sie waren Amerikaner der vierten Generation und hatten nur noch vage, nostalgische Erinnerungen an die japanischen Wurzeln der Familie. Als eine Schulkameradin sie erstmals als ›Jap‹ bezeichnete, glaubte Joyce, dass sie ›jüdisch-amerikanische Prinzessin‹ meinte.

Dann zogen sie in die Hügel oberhalb von Sausalito um, doch als die Treibhaus-Fluten die meisten Kraftwerke im Großraum San Francisco zerstörten, stürzten sie und alle anderen Menschen in Dunkelheit. Es waren schlimme Zeiten, als das halbe Land arbeitslos wurde. Kein Strom, keine Arbeit. Joyces Klasse beging die Abschlussfeier bei Kerzenlicht, und es ging das Gerücht um, dass Bergbaugesellschaften kilometertiefe Löcher in die Erde bohren wollten, um die dort lagernden Erdgasreserven anzuzapfen.

Alle Kinder mussten sich eine Arbeit suchen, um die Familie zu unterstützen. Und Joyce tat das, was ihre Urgroßmutter schon vor über einem Jahrhundert getan hatte: Sie verrichtete niedere Arbeiten auf den Farmen in den fruchtbaren Tälern Kaliforniens. Die Fluten waren zwar nicht so weit landeinwärts geschwappt, doch dafür suchte eine anhaltende, unbarmherzige Dürre die Obstgärten und Weinberge heim. Es war eine harte Arbeit, Obst und Gemüse unter der heißen Sonne zu ernten, während grimmig schauende, mit Schrotflinten bewaffnete Männer Streife gingen, um Banden verhungernder Plünderer abzuschrecken. Sie verlangten schnellen Sex von den Arbeiterinnen. Joyce begriff schnell, dass es besser war, ihnen zu Willen zu sein als Hunger zu leiden.

Als Joyce in jenem Winter nach Hause zurückkehrte, stellte sie entsetzt fest, dass ihre Eltern stark gealtert waren. Eine Gelbfieberepidemie grassierte an der Küste und hatte auf die Hügel übergegriffen, wo sie lebten. Ihre Mutter weinte nachts leise, und ihr Vater starrte in den heißen, wolkenlosen Himmel und wurde dabei von so heftigen Hustenanfällen gequält, dass er kaum noch Luft bekam. Wenn er seine Tochter anschaute, schien er sich zu schämen, als ob diese ganze Verwüstung, all die zunichte gemachten Pläne der Familie ganz allein seine Schuld seien.

»Ich wollte, dass du Ingenieurin wirst«, sagte er zu Joyce. »Ich wollte, dass du mehr aus deinem Leben machst als ich.«

»Das werde ich auch, Vater«, sagte sie im unbekümmerten Optimismus der Jugend. Und als sie den Blick gen Himmel richtete, dachte sie an die wilde Grenze draußen im Asteroiden-Gürtel.

Kapitel 9

»Er hat einen Anruf an Pancho Lane abgesetzt«, sagte Diane Verwoerd.

Sie und Humphries spazierten durch den Garten vor seinem Haus. Humphries sagte, dass er einen Spaziergang ›draußen‹ genoss — oder so weit draußen, wie man auf dem Mond eben kam. Humphries Heim befand sich inmitten einer riesigen Grotte auf der tiefsten Ebene von Selenes Netzwerk aus unterirdischen Korridoren und Unterkünften. Die große Höhle mit der hohen Decke war mit blühenden Sträuchern bepflanzt, die den Raum zwischen den kahlen Wänden wie ein Meer aus roten, gelben und zartlila Blüten ausfüllten. Und Bäume wuchsen aus der Blütenpracht: Erlen, kräftiger Ahorn und üppig blühende weiße und rosa Gardenien. Kein Lüftchen regte sich zwischen diesen Bäumen, kein Vogel sang in den grünen Wipfeln und kein Insekt summte. Es war ein riesiges durchkonstruiertes Treibhaus, das von Menschen gehegt und gepflegt wurde. An der unbehauenen Gesteinsdecke hingen Vollspektrumlampen, die Sonnenlicht simulierten.

Verwoerd sah den weitläufigen Garten hinterm verzierten Springbrunnen, der im Hof plätscherte. Das Haus selbst war massiv — es war zwar nur zwei Stockwerke hoch, wirkte aber weitläufig. Es war aus geglätteten Mondsteinen gebaut, und unter der Dachschräge zogen sich große Panoramafenster hin.

Verglichen mit der grauen, tristen unterirdischen Anlage von Selene waren der Garten und das Haus wie ein Paradies inmitten einer kalten, lebensfeindlichen Wüste. Verwoerds Unterkunft, die sich ein paar Ebenen über dieser Grotte befand, gehörte zu den besten in Selene und wirkte im Vergleich hierzu dennoch beengt und farblos.

Humphries sagte, dass er gern im Freien spazieren ginge. Der einzige andere freie Bereich in Selene war die Grand Plaza unter der großen Kuppel an der Oberfläche, wo jeder einen Spaziergang machen konnte. Hier unten hatte er jedoch seine Ruhe und genoss all die Annehmlichkeiten, die menschlicher Einfallsreichtum und harte Arbeit ihm auf dem Mond zu bieten vermochte. Verwoerd glaubte, dass er die Vorstellung, dass all dies ihm gehörte, mehr genoss als den ästhetischen oder gesundheitlichen Nutzen, den er aus einem Spaziergang zwischen den Rosen und Stiefmütterchen zu ziehen vermochte.

Falls dieser Spaziergang ihm jedoch irgendeinen Genuss verschafft hatte, wurde er durch ihre Mitteilung gleich wieder zunichte gemacht.

»Er hat Pancho angerufen?«, blaffte Humphries gereizt. »Weshalb?«

»Sie hat seine Botschaft und ihre Antwort zerhackt, sodass wir den genauen Wortlaut noch nicht kennen. Ich habe einen Kryptologen damit beauftragt, die Nachricht zu entschlüsseln.«

»Nur eine Nachricht?«

Verwoerd nickte knapp und antwortete: »Sie hat eine von ihm bekommen, und ihre ist gleich danach rausgegangen.«

»Hmm.«

»Ich vermag mir vorzustellen, worum es ging.«

»Ich auch«, sagte Humphries säuerlich. »Er will sehen, ob sie ihm ein besseres Angebot machen als wir.«

»Ja.«

»Er spielt sie gegen mich aus.«

»Es hat den Anschein.«

»Und wenn sie mich überbietet, verlangt Astro die volle Kontrolle über seine Helvetia GmbH.« Er sprach den Firmennamen spöttisch aus.

Verwoerd runzelte die Stirn. »Er nutzt Astro doch schon als Lieferanten. Was hätte Pancho also davon, wenn sie ihn aufkauft?«

»Sie würde uns daran hindern, ihn aufzukaufen. Es wäre eine rein präventive Maßnahme.«

»Dann erhöhen wir also unser Angebot?«

»Nein«, blaffte Humphries. »Aber wir verstärken den Druck.«

* * *

Seyyed Qurrah lachte freudig, als er durchs dicke Quarz-Bullauge auf seinen Hauptgewinn schaute — sein Juwel, die Belohnung dafür, dass er über zwei Jahre hart gearbeitet hatte, verspottet worden war und beinahe verhungert wäre. Er vermochte sich kaum daran satt zu sehen, wie der unregelmäßige Gesteinsbrocken durch sein Blickfeld glitt: Der vernarbte Asteroid war mit vereinzelten häusergroßen Felsbrocken bedeckt und schimmerte graubraun, wo das Sonnenlicht auf ihn fiel.

»Allah ist groß«, sagte er laut und dankte ihm für seine Gnade und Güte.

Dann drehte er sich zu den Sensoranzeigen am Steuerpult in der Kabine um und sah, dass sein Gesteinsbrocken mit Hydraten geradezu geschwängert war — Wasser, das chemisch mit den Silikaten des Gesteins verbunden war. Wasser! In der Wüste, die der Mond war, erzielte Wasser einen höheren Preis als Gold. Und auf Ceres wäre es noch wertvoller, obwohl bei den paar hundert Menschen, die in dem großen Asteroiden lebten, die Nachfrage nach wertvollem Wasser wohl nicht so hoch wäre wie bei den vielen tausend Leuten in Selene.