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Qurrah dachte an die Verachtung und Lächerlichkeit, der man ihn zu Hause preisgegeben hatte, als er verkündete, dass er die Erde verlassen und sein Glück in der neuen Schatzkammer des Asteroiden-Gürtels suchen wolle. ›Sindbad der Seefahrer‹ war noch die netteste Bezeichnung gewesen, mit der man ihn tituliert hatte. ›Seyyed der Idiot‹ hatte er am häufigsten zu hören bekommen. Auch nachdem er auf Ceres angekommen war und mit dem letzten Geld aus dem Erbe seines Vaters ein Schiff geleast hatte, riefen die anderen Prospektoren und Bergleute ihm ›Handtuchkopf‹ zu und noch Schlimmeres. Doch nun würde er den Spieß umdrehen. Er würde es ihnen zeigen!

Dann stellte er sich vor, wie glücklich Fatima wäre, wenn er als reicher Mann nach Algier zurückkehrte. Er würde sie mit Diamanten überhäufen und in schwere, golddurchwirkte Seidengewänder hüllen. Vielleicht würde er sich sogar eine Zweitfrau zulegen. Er beschloss, zur Feier des Tages sich eine opulente Mahlzeit aus den knappen Vorräten zu genehmigen, anstatt der üblichen Hand voll gekochten Kuskus.

Doch zuerst würde er den Fund bei der Internationalen Astronautenbehörde anmelden. Das war wichtig. Nein, vorher musste er zu Allah beten. Das war noch wichtiger.

Er wurde sich bewusst, dass er mit sich selbst redete. Qurrah atmete tief durch, um sich zu beruhigen und beschloss die folgende Vorgehensweise: zuerst beten, dann bei der IAA registrieren und anschließend mit einem guten Essen feiern.

Er ließ das Schiff die ganze Zeit rotieren, wobei das Habitatmodul mit dem Generator und der übrigen Ausrüstung am Ende des kilometerlangen Kabels die Funktion eines Fliehgewichts hatte. Er wollte vermeiden, dass in der langen Zeit in der Schwerelosigkeit die Muskeln schlaff und die Knochen spröde wurden, sodass er eine noch längere Zeit im Mondorbit hätte verbringen müssen, um den Körper zu regenerieren! Qurrah lebte fast in voller Erdenschwere.

Also fiel es ihm auch nicht schwer, den Gebetsteppich auszurollen, nachdem er ihn aus dem Staufach geholt hatte. Er breitete den Teppich gerade auf der einzigen freien Fläche des Abteils aus, als das Funkgerät piepte.

Eine Nachricht? Der Gedanke beunruhigte ihn. Wer sollte mich hier draußen in dieser Wildnis anrufen? Nur Fatima und die IAA wissen, wo ich bin — und natürlich die Leute auf Ceres, aber was hätten die von einem einsamen Prospektor gewollt?

Fatima, sagte er sich. Ihr ist etwas zugestoßen. Etwas Schreckliches.

»Hier ist die Star of the East«, antwortete er mit zitternder Stimme. »Wer ruft, bitte?«

Das bärtige Gesicht eines Manns erschien auf dem Hauptbildschirm. Er mutete Qurrah asiatisch an oder vielleicht auch hispanisch.

»Hier ist die Shanidar. Sie dringen in ein Gebiet ein, das der Humphries Space Systems AG gehört.«

»Dieser Felsen?«, fragte Qurrah erzürnt. »Nein, Sir! Es ist noch kein Anspruch auf diesen Asteroiden angemeldet worden. Ich wollte ihn gerade auf mich eintragen lassen, als Sie mich anriefen.«

»Sie haben Ihren Anspruch noch nicht angemeldet?«

»Das werde ich sofort erledigen!«

Der Bärtige schüttelte den Kopf — kaum merklich, nur eine kleine Seitwärtsbewegung.

»Nein, das werden Sie nicht«, sagte er.

Das waren die letzten Worte, die Qurrah in seinem Leben hörte. Der Laserstrahl der Shanidar bohrte ein faustgroßes Loch in die dünne Hülle des Schiffs. Qurrahs Todesschrei erstarb schnell, als die Luft ausströmte und seine Lunge in einem Blutschwall kollabierte.

* * *

Der Pub George Ambrose wiegte den Steinhumpen mit Bier in seinen Pranken. Das soll Bier sein, sagte er sich knurrig. Ich habe kein anständiges Bier mehr getrunken, seit ich hierher gekommen bin. Das Gebräu, das diese Felsenratten als Bier bezeichnen, schmeckt eher nach Schnabeltierpisse als nach sonst was. Es gab zwar auch richtiges Bier, doch der Preis für Importgüter war so hoch, dass George notgedrungen diese Plörre süffelte.

Dennoch war der Pub gar nicht mal so übel. Er erinnerte George an die Pelican Bar in Selene — außer den Zwillingen in ihren Sprühfarben-Bikinis. Sie arbeiteten hinterm Tresen unter dem wachsamen Auge des Besitzers/Barkeepers. Der alte Pelican war über zweihundertsechzig Millionen Kilometer entfernt. Fast ein Flug von einer ganzen Woche, selbst mit dem besten Fusionsschiff.

Er ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. Der Pub war eine natürliche Höhle in Ceres’ poröser Kruste. Der Boden war geglättet worden, doch man hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Wände und Decke auch zu glätten. Es ist eine Schande, das alles zurücklassen zu müssen, wenn wir ins Habitat umziehen, sagte George sich. Die Kneipe war ihm richtig ans Herz gewachsen.

Die gesamte Einrichtung des Pubs war entweder geklaut oder aus Asteroidenmaterial hergestellt worden. George saß auf einer alten Verpackungskiste, die mit Nickel-Eisen-Stäben verstärkt und mit einem steifen Plastikkissen gepolstert war, das aus dem Lagerraum irgendeines Schiffes stammte. Der Tisch, auf den er die kräftigen Arme gestützt hatte, bestand aus behauenem Stein — wie auch der Humpen. Ein paar Gäste tranken aus reifüberzogenen Aluminiumkrügen, doch George zog den Steinkrug vor. Das Glanzstück des Pubs war jedoch der Tresen. Er bestand aus Echtholz und war vom verrückten Opa, dem die Kneipe gehörte, eigens hierher transportiert worden. Aber vielleicht ist er gar nicht so verrückt, sagte George sich. Er macht mehr Geld als ich, das ist mal sicher. Mehr Geld als jede diese Felsenratten.

Männer und Frauen drängten sich vier Reihen tief gestaffelt an der Bar und saßen an den Tischen, die wie aus dem Gesteinsboden wachsende Stalagmiten im ganzen Raum verteilt waren. Vier oder fünf Männer kamen auf eine Frau. Ein Dutzend oder mehr standen an der Rückwand und hielten sich an Drinks fest. Zwei Frauen und ein Mann saßen am selben Tisch wie George, aber er kannte sie kaum, und sie waren auch so miteinander beschäftigt, dass er mit seinem Bier praktisch allein dasaß.

Ein seltsamer Haufen, sagte er sich. Prospektoren und Bergleute stellte man sich eigentlich als raue, harte Männer vor, wie die Pioniere in den alten Videos. Diese Figuren waren aber Hochschulabsolventen, Computerfreaks, Familienväter und Frauen mit einer so guten Ausbildung und von so hoher Intelligenz, dass sie Raumschiffe zu steuern und Bergbaumaschinen zu bedienen vermochten. Georges wusste, dass keiner von ihnen eine Hacke oder Schaufel jemals auch nur angefasst hatte. Zum Teufel, ich habe doch auch nie eine in die Hand genommen. In letzter Zeit hatte die Klientel sich jedoch verändert: Heruntergekommen wirkende Gestalten, die meistens unter sich blieben. Sie schienen keine Arbeit zu haben, obwohl sie behaupteten, für HSS zu arbeiten. Sie hingen nur rum, als ob sie auf irgendetwas warteten.

In der entgegengesetzten Ecke der Höhle packten zwei Leute Musikinstrumente aus und schlossen ihre Verstärker an. Dann kam Niles Ripley mit seinem Trompetenkoffer in der Hand hereinspaziert und lächelte seine Freunde — und überhaupt jeden — an. George stand auf und schlurfte zur Bar, um sich diese Schnabeltierpisse nachschenken zu lassen. Ein paar Leute sagten Hallo zu ihm, und er machte etwas Smalltalk, bis Cindy ihm den vollen Humpen zuschob. Oder war es Mindy? George vermochte die Zwillinge einfach nicht auseinander zu halten. Dann ging er zum Tisch zurück. Niemand hatte seinen Platz in der Zwischenzeit besetzt. Das war verpönt in diesem Pub.

Als eine leise und melodische Musik einsetzte, dachte George über sein bisheriges Leben nach. Hätte mir nie träumen lassen, in den Gürtel zu fliegen und Erze in abgefuckten Asteroiden zu schürfen. Harte Arbeit, aber immer noch besser als ein Dasein als Prospektor, wo man monatelang im Gürtel umherstreifte und nach einem ergiebigen Asteroiden Ausschau hielt, den die Konzerne noch nicht für sich beansprucht hatten — in der Hoffnung, das große Los zu ziehen, sodass man endlich nach Hause zurückkehren und ein Leben im Luxus führen konnte. Das Leben nimmt oft seltsame Wendungen.