»Wissen Sie schon, woran Ripley gestorben ist?«, fragte Amanda, als sie und Fuchs auf den Stühlen vor Cardenas Schreibtisch Platz nahmen.
»Normalerweise hätte ich es gar nicht gesehen«, sagte Cardenas mit belegter Stimme. »Ich bin keine Pathologin. Es wäre mir, verdammt noch mal, fast entgangen.«
Das kleine Büro war mit den drei Leuten schon überfüllt. Cardenas tippte auf eine Tastatur auf dem Schreibtisch, und die Wand gegenüber dem Eingang verwandelte sich in eine Falschfarbendarstellung von Niles Ripleys Körper.
»Es gab zunächst nichts Verdächtiges«, begann sie. »Kein sichtbares Trauma, außer ein paar kleinen Quetschung an Brust und Rücken.«
»Wodurch wurden sie verursacht«, fragte Fuchs.
»Vielleicht durch den Sturz im Anzug.«
Fuchs schaute sie finster an. »Ich bin auch schon im Raumanzug umgefallen. Dabei zieht man sich doch keine Prellungen zu.«
Cardenas nickte. »Ich weiß. Ich habe auch schon in Erwägung gezogen, dass er an einem Herzinfarkt oder einer Herzattacke gestorben ist. Und dann habe ich den Scan durchgeführt«, erklärte sie. »Die Herzkranzgefäße sind jedoch sauber, und am Herzen selbst gibt es auch keine sichtbaren Schäden.«
Fuchs schielte aufs Bild. Ein menschlicher Körper, sagte er sich. In diesem Moment lebt er noch, und im nächsten ist er schon tot. Was ist mit dir passiert, Ripley?
Amanda artikulierte seine Gedanken. »Was ist ihm also zugestoßen?«
Cardenas’ Ausdruck wurde noch ernster. »Als Nächstes habe ich nach Anzeichen für einen Schlaganfall gesucht. Das ist noch immer die Todesursache Nummer eins, sogar auf der Erde.«
»Und?«
»Schauen Sie sich mal sein Gehirn an.«
Fuchs schaute auf den Wandbildschirm, aber er wusste nicht, was bei dieser Falschfarbendarstellung normal war und was nicht. Er sah nur die weißen Konturen des Schädels und die darin enthaltene rosige Gehirnmasse. Ein Gewirr, von dem er annahm, dass es sich um Blutgefäße handelte, wickelte sich um das Gehirn und verschwand darin, als ob der Schädel ein Schlangennest sei.
»Sehen Sie es?«, fragte Cardenas mit einer Stimme so scharf wie ein Bajonett.
»Nein, ich sehe nichts … Moment mal!« Fuchs sah, dass der größte Teil des Gehirns eine rosige Färbung hatte — doch da war ein Bereich mit einer dunkleren Färbung, fast ein Blutorange, der von vorn nach hinten geradewegs durch die Gehirnmasse verlief.
»Dieses Orange?«, fragte er unsicher.
»Dieses Orange«, wiederholte Cardenas mit eisiger Stimme.
»Was ist das«, fragte Amanda.
»Das, was ihn getötet hat«, sagte Cardenas. »Zerstörte Neuronen und Gliazellen von der Stirn bis zum Hinterkopf. Es hat so viel Schaden angerichtet wie eine Kugel, ohne die Haut jedoch aufzureißen.«
»Ein Mikrometeor?«, platzte Fuchs heraus und wusste schon in dem Moment, wo er den Mund aufmachte, dass das Quatsch war.
»Aber sein Anzug wurde doch nicht beschädigt«, wandte Amanda ein.
»Was auch immer es war«, sagte Cardenas, »es drang durch den transparenten Kunststoff des Helms, durch die Haut — ohne sie jedoch zu verletzen —, durch den Schädelknochen und hat dann die Gehirnzellen zermanscht.«
»Mein Gott«, murmelte Fuchs.
»Ich habe noch weitere Beweise«, sagte Cardenas. Sie klang immer mehr wie ein polizeilicher Ermittler.
Die Abbildung auf dem Wandbildschirm verschwand, und es erschien das Gesicht des toten Ripleys. Fuchs spürte, wie Amanda neben ihm schauderte und ergriff ihre Hand. Ripleys Augen waren weit aufgerissen, der Mund stand offen und die milchschokoladenfarbene Haut war fahler, als Fuchs sie in Erinnerung hatte. Das ist das Antlitz des Todes, sagte er sich. Es hätte ihn selbst fast geschaudert.
Cardenas betätigte wieder die Tastatur, und der Bereich direkt über Ripleys Nasenwurzel wurde bildschirmfüllend vergrößert.
»Sehen Sie diese schwache Verfärbung?«, fragte Cardenas.
Fuchs sah nichts Außergewöhnliches, doch Amanda sagte: »Ja, es ist nur ein winzig kleiner Kreis. Er sieht … fast so aus, als ob er leicht verschmort wäre.«
Cardenas nickte düster. »Ein weiteres Stück des Puzzles.« Sie griff in die Schreibtischschublade.
Fuchs sah, dass sie einen schmalen, nicht einmal zehn Zentimeter langen Klebestreifen herausholte.
»Das da klebt an Ripleys rechtem Handschuh, als man ihn fand«, sagte Cardenas und reichte Fuchs den Klebestreifen.
Er starrte ihn an. BUCHANAN stand in Blockbuchstaben und mit wischfester Tinte auf dem Klebestreifen.
»Buchanan ist Mechaniker bei Humphries Space Systems«, sagte Cardenas wie ein Racheengel. »Er hat Zugang zu Werkzeugen wie Handlasern.«
»Ein Handlaser?«, fragte Fuchs. »Sie glauben, dass Ripley mit einem Handlaser getötet wurde?«
»Ich hatte mir mal einen aus dem HSS-Lagerhaus beschafft und eine Sojafrikadelle damit gebraten«, sagte Cardenas. »Ein Puls von einer Pikosekunde hatte die Struktur des Sojabratlings genauso zerstört, wie Ripleys Gehirnzellen zerstört wurden.«
»Wollen Sie damit sagen, dass dieser Buchanan Ripley vorsätzlich ermordet hätte?«, fragte Amanda schockiert und mit matter Stimme.
»Genau das will ich damit sagen«, sagte Cardenas so hart und unbarmherzig wie der Gevatter Tod selbst.
Kapitel 14
Als er und Amanda zu ihrer Unterkunft zurückkamen, kochte Fuchs bereits vor Wut. Er ging schnurstracks zum Schrank neben der Miniküche und durchwühlte ihn.
»Lars, was hast du denn vor?«
»Mörder!«, knurrte Fuchs und kramte in den Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen, die auf den Schrankregalen aufbewahrt wurden. »Das ist es, was er uns beschert hat. Auftragskiller!«
»Aber was willst du nun tun?«
Er brachte ein Akku-Schraubendreher zum Vorschein und wog ihn in der Hand. »Es ist zwar nicht viel, aber es wird reichen müssen. Er ist jedenfalls schwer genug, um einen brauchbaren Knüppel abzugeben.«
Amanda streckte die Hand nach ihm aus, aber er schob sie weg.
»Wo willst du hin?«, fragte sie atemlos vor Angst.
»Diesen Buchanan suchen.«
»Allein? Ohne Hilfe?«
»An wen soll ich mich denn wenden? Wie viel Zeit haben wir noch, bevor dieser Buchanan in einem von Humphries’ Schiffen von Ceres verschwindet?«
»Du darfst ihn nicht verfolgen!«, sagte Amanda flehentlich. »Überlass das dem Gesetz!«
»Das Gesetz?«, brüllte er, während er zur Tür stürmte. »Welches Gesetz? Wir haben doch noch nicht einmal einen Stadtrat. Es gibt hier kein Gesetz!«
»Lars, wenn er wirklich ein Auftragsmörder ist, wird er dich auch töten!«
Er hielt an der Tür inne und steckte den Schraubendreher in den Hosenbund. »Ich bin doch kein Volltrottel, Amanda. Ich werde nicht zulassen, dass er mich tötet oder sonst jemanden.«
»Aber wie willst du …?«
Er packte die Tür, schob sie auf, stapfte in den Tunnel hinaus und ließ sie dort stehen. Staubwolken markierten seinen Weg.
Im Pub war es rappelvoll, als Fuchs dort erschien. Er musste sich einen Weg zur Bar bahnen.
Der Barkeeper erkannte ihn, wirkte aber nicht übermäßig erfreut. »Hallo, Lars. Willst du wieder eine Versammlung anberaumen?«
»Kennst du jemanden namens Buchanan?«, fragte Fuchs ohne eine Begrüßung.
Der Barkeeper nickte.
»Weißt du auch, wo ich ihn finde?«
Die Blickrichtung des Manns verschob sich etwas, und dann richtete er den Blick wieder auf Fuchs. »Was willst du denn von ihm?«