Amanda schaute überrascht, beinahe erschrocken. »Aber Lars …«
»Niemand hätte in dieser Sache etwas unternommen. Ich wusste, dass ich der Einzige war, der ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen vermochte.«
»Du wusstest es? Du hattest es von vornherein ge-wusst?«
»Ich wollte ihn töten«, sagte Fuchs. Seine Stimme bebte schier vor Leidenschaft. »Er hatte den Tod verdient. Ich wollte diesen heimtückischen Dreckskerl töten.«
»Lars … so kenne ich dich überhaupt nicht.«
»Worüber ich mir aber Sorgen mache«, sagte er, »ist Humphries’ Reaktion auf diesen Vorfall. Die Verhandlungen für die Übernahme von Helvetia sind offensichtlich gescheitert. Buchanan war Teil seines Plans, uns aus dem Gürtel zu vertreiben. Was wird er als Nächstes versuchen?«
Amanda sagte für eine Weile nichts. Fuchs betrachtete ihr liebreizendes Gesicht, das so betrübt und von Sorge um ihn erfüllt war.
Sie sagte sich, dass ihr Mann sich in einen zornigen Rächer verwandelt hatte. Es war erst eine gute Stunde her, dass Lars mit dem Vorsatz in den Pub gegangen war, einen Menschen zu töten. Und es hatte ihm nicht einmal etwas ausgemacht — er hatte getötet, ohne mit der Wimper zu zucken.
Das machte ihr Angst.
Was soll ich tun, fragte Amanda sich. Wie kann ich verhindern, dass er verroht? Er hat das nicht verdient; es ist nicht gerecht, wenn er sich gezwungenermaßen in ein Monster verwandelt. Sie zermarterte sich das Gehirn, aber sie sah nur einen Ausweg.
»Lars, wieso sprichst du nicht direkt mit Martin?«, fragte sie schließlich.
Er grunzte überrascht. »Direkt? Mit ihm?«
»Persönlich.«
»Über diese Entfernung ist das schlecht möglich.«
»Dann fliegen wir eben nach Selene.«
Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Ich will dich nicht in seiner Nähe haben.«
»Martin wird mir schon nichts tun«, sagte sie. »Du bist der Mann, den ich liebe«, fuhr sie fort und fuhr ihm mit der Hand über die breite Brust. »In dieser Hinsicht hast du weder etwas von Martin noch von irgendeinem andern Mann zu befürchten.«
»Ich will dich in Selene nicht dabeihaben«, flüsterte er.
»Bevor wir zur Erde zurückkehren können, müssten wir ein wochenlanges Training absolvieren.«
»Die Zentrifuge«, murmelte er.
»Ich werde hier bleiben, Lars, wenn du es willst. Du fliegst nach Selene und diskutierst das mit Martin aus.«
»Nein«, sagte er impulsiv. »Ich werde dich nicht hier zurücklassen.«
»Aber …?«
»Du kommst mit mir nach Selene. Ich werde mit Humphries sprechen, vorausgesetzt, dass er überhaupt mit mir reden will.«
Amanda lächelte und küsste ihn auf die Wange. »Wir gelangen zu einer Einigung, ehe noch ein regelrechter Krieg ausbricht.«
Fuchs drückte sie an sich und sagte sanft: »Das hoffe ich. Das hoffe ich wirklich.«
Sie seufzte. Das ist schon besser, sagte sie sich. Das sieht schon eher nach dem Mann aus, den ich liebe.
Doch er sagte sich: Es ist Amanda, was Humphries in Wirklichkeit will. Und um Amanda zu bekommen, müsste er über meine Leiche gehen.
»Sie kommt hierher?«, fragte Martin Humphries. Er wagte kaum zu glauben, was seine Assistentin ihm soeben eröffnet hatte. »Hierher nach Selene?«
Diane Verwoerd ließ es zu, dass ein leiser Ausdruck der Missbilligung die Stirn kräuselte. »Mit ihrem Mann«, sagte sie.
Humphries erhob sich vom komfortablen Bürostuhl und tänzelte förmlich um den Schreibtisch herum. Trotz des säuerlichen Blicks der Assistentin fühlte er sich wie ein kleines Kind, das sich auf Weihnachten freut.
»Aber sie kommt nach Selene«, bekräftigte er. »Amanda kommt nach Selene.«
»Fuchs möchte mit Ihnen persönlich sprechen«, sagte Verwoerd und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bezweifle, dass er seine Frau näher als einen Kilometer an Sie herankommen lassen wird.«
»Das glaubt er vielleicht«, entgegnete Humphries. Er drehte sich zum elektronischen Fenster an der Wand hinterm Schreibtisch um und tippte mehrmals auf die Armbanduhr. Das Stereobild durchlief ein paar schnelle Veränderungen. Humphries hielt es bei einem Alpenpanorama an: Es zeigte ein Bergdorf mit spitzgiebeligen Dächern und einem Kirchlein vor einer Kulisse schneebedeckter Gipfel.
Das ist ›Schnee von gestern‹, sagte Verwoerd sich. Seit den großen Lawinen gibt es kaum noch Schnee in den Alpen.
Humphries wandte sich wieder zu ihr um und sagte: »Fuchs kommt her, um sich zu ergeben. Er wird versuchen, so viel wie möglich von den zehn Millionen abzugreifen, die wir ihm geboten haben. Und er bringt Amanda mit, weil er weiß — vielleicht nicht bewusst, aber im Unterbewusstsein —, dass es mir eigentlich nur um Amanda geht.«
»Ich glaube, wir sollten die Sache etwas realistischer betrachten«, sagte Verwoerd und näherte sich langsam dem Schreibtisch.
Humphries musterte sie kurz. »Sie glauben, ich sei unrealistisch?«
»Ich glaube, dass Fuchs nur hierher kommt, um über die Übernahme seiner Firma zu verhandeln. Ich bezweifle stark, dass seine Frau Teil des Geschäfts sein wird.«
Er lachte. »Mag sein, dass Sie das nicht glauben. Mag sein, dass er es auch nicht glaubt. Aber ich glaube es. Und nur darauf kommt es an. Und ich wette, dass Amanda es auch glaubt.«
Verwoerd musste an sich halten, um nicht demonstrativ den Kopf zu schütteln. Er ist verrückt nach dieser Frau. Geradezu von ihr besessen. Dann lächelte sie insgeheim. Wie kann ich seinen Wahn in meinen Vorteil ummünzen?
Dossier: Oscar Jiminez
Nachdem er die Schule der Neuen Moralität im Alter von siebzehn Jahren beendet hatte, wurde Oscar ins ferne Bangladesh entsandt, um dort den zweijährigen Sozialdienst abzuleisten. Dieser Dienst war obligatorisch; die Neue Moralität verlangte diesen zweijährigen Arbeitsdienst als teilweisen Ausgleich für die Investitionen, die man in die Ausbildung und Erziehung eines jugendlichen investierte.
Oscar arbeitete hart in dem, was von Bangladesh noch übrig war. Der ständig steigende Meeresspiegel und die verheerenden Stürme im Gefolge des allsommerlichen Monsuns verwüsteten die tiefer gelegenen Landstriche. Tausende wurden von den Fluten des Ganges mitgerissen. Oscar sah, dass viele der Armen und Elenden den Fluss sogar um Gnade anflehten. Vergeblich. Der angeschwollene Strom ertränkte die Heiden ohne Erbarmen. Oscar sah jedoch, dass auch genauso viele Gläubige umkamen.
Das Glück war ihm wieder hold, als er den Zweijahresdienst beendet hatte. Der Leiter der Neuen Moralität in Dacca, ein Amerikaner aus Kansas, drängte Oscar, einen Job im Weltraum in Betracht zu ziehen, fernab der Erde.
Oscar wusste, dass es unklug war, sich mit Autoritäten zu streiten, aber er war doch so überrascht von diesem Ansinnen, dass er herausplatzte: »Aber ich bin doch gar kein Astronaut.«
Der Administrator setzte ein gütiges Lächeln auf. »Es gibt dort oben alle möglichen Stellen, die besetzt werden müssen. Du bist für viele von ihnen voll qualifiziert.«
»Wirklich?« Soweit Oscar wusste, bestanden seine Qualifikationen nämlich nur im Zuarbeiten, Erstellen einfacher Rechnungen und dem Befolgen von Anweisungen.
»Ja«, sagte der Administrator mit einem Nicken. »Und natürlich ist auch Gottes Werk zu vollbringen, da draußen inmitten all der gottlosen Humanisten und ungehobelten Grenzer.«
Wer vermochte sich schon zu weigern, Gottes Werk zu vollbringen? Also ging Oscar Jiminez nach Ceres und wurde von der Helvetia GmbH als Lagerarbeiter eingestellt.