George nickte bedächtig, als er den Laser überprüfte. Hunger und Dunkelheit und die Sterne, klarer Fall. Davon haben wir reichlich. Und eine öde, tote Welt bist du doch auch, oder nicht?, sagte er zu dem stummen Asteroiden. Und wo wir schon dabei sind, du hast doch sicher auch ein wenig Gold in dir versteckt, was? War schon eine verkehrte Welt, wo Wasser nun einen größeren Wert hatte als Gold. Der Preis von Gold ist auf seinen Wert als Industriemetall gefallen. Den Juwelieren auf der Erde muss der Arsch auf Grundeis gehen.
»George?« Die Stimme des Türken im Helmlautsprecher schreckte ihn auf.
»Hä? Was iss’ denn?«
Der Name des Jungen war Nodon. »Irgendetwas wandert aus dem Rand des Radar-Erfassungsbereichs aus.«
»Wandert?« George glaubte im ersten Moment, dass dieser Asteroid vielleicht noch einen kleinen Begleiter hatte, einen kleinen Mond. Aber am äußersten Rand des Suchradars? Höchst unwahrscheinlich.
»Es hat eine beträchtliche Geschwindigkeit. Er nähert sich sehr schnell.«
So wortreich hatte der Junge sich bisher auf dem ganzen Flug nicht geäußert. Er klang besorgt.
»Es ist aber nicht auf Kollisionskurs«, sagte George.
»Nein, aber es fliegt trotzdem in unsere Richtung. Und zwar schnell.«
George versuchte im Anzug die Achseln zu zucken, was ihm aber nicht gelang. »Na gut, halt ein Auge darauf. Es ist vielleicht ein anderes Schiff.«
»Das glaube ich auch.«
»Schon irgendeine Nachricht von ihnen?«
»Nein. Noch nichts.«
»In Ordnung«, sagte George irritiert. »Sag ›hallo‹ zu ihnen und bitte sie, sich zu identifizieren. Ich werde derweil hier das Erz abbauen.«
»Jawohl«, sagte der Junge respektvoll.
George fragte sich, was — oder wer — sich da draußen wohl herumtrieb und betätigte den Einschalter. Der Laser bohrte sich tief in den steinigen Leib des Asteroiden. In der luftlosen Dunkelheit war kein Ton zu hören; George spürte nicht einmal die Vibrationen der großen Maschine. Das taube Gestein verdampfte geräuschlos entlang einer feinen Linie. Der Schneidlaser emittierte im Infrarotbereich, und der Leitstrahl des Hilfslasers war auch unsichtbar, bis durchs Fräsen so viel Staub aufgewirbelt wurde, dass er den dünnen roten Strahl reflektierte.
Es wäre viel leichter, wenn wir Nanomaschinen einsetzen könnten, sagte George sich. Ich muss Kris Cardenas mal auf die Zehen treten, wenn wir nach Ceres zurückkommen und ihr sagen, dass wir dringend ihre Hilfe brauchen. Die kleinen Heinzelmännchen würden das Gestein nach den jeweiligen Elementen trennen — Atom für Atom. Den Schotter müssten wir dann nur noch ausbaggern und in ein Schiff verladen.
Stattdessen musste George richtig zupacken: Er fräste mit dem heißen Laserstrahl riesige, hausgroße Brocken aus dem Asteroidengestein, brach sie heraus und vertäute sie mit Buckminsterfulleren-Leinen. Dann transportierte er sie zum Antriebsmodul der Matilda, das mit Befestigungspunkten für Fracht ausgerüstet war. Nachdem er drei Transporte durchgeführt hatte, war er klatschnass geschwitzt. Er musste das Tornistertriebwerk des Anzugs einsetzen, um die großen Brocken überhaupt bewegen zu können und fühlte sich wie Superman, während er die massereichen, aber schwerelosen Erztonnagen bewegte.
»Ich komme mir in diesem Anzug wie in einem verdammten Sumpf vor«, nörgelte er, als er zum Asteroiden zurückflog. »Er riecht auch so.«
»Es ist ein Schiff«, sagte Nodon.
»Bist du sicher?«
»Ich sehe die Abbildung auf dem Bildschirm.«
»Dann funke sie noch mal an und frage, wer sie sind.« George gefiel die Vorstellung überhaupt nicht, dass ein anderes Schiff in der Nähe war. Das ist kaum ein Zufall, sagte er sich.
Er landete ungefähr fünfzig Meter von der Stelle, wo der Laser noch immer das Gestein tranchierte, auf dem Asteroiden. Wieso sollte ein Schiff überhaupt Kurs auf uns nehmen? Wer ist das, verdammt noch mal?
Dorik Harbin saß an der Steuerung der Shanidar. Das dunkle bärtige Gesicht war unbewegt, und die noch dunkleren Augen waren unverwandt auf die CCD-Anzeige der optischen Sensoren des Schiffs gerichtet. Er sah den Funkenflug des vom Laser erhitzten Gesteins und die Lichtreflexe, die auf die im Asteroidenorbit geparkte Waltzing Matilda fielen. Die Informationen von Grigor waren wie immer zutreffend gewesen. Das Schiff befand sich genau an der Stelle, die Grigor bezeichnet hatte.
Der Tod war kein Fremder für Dorik Harbin. Er war seit der Geburt verwaist und kaum so groß gewesen wie das Sturmgewehr, das die Dorfältesten ihm gaben, als Harbin zusammen mit den anderen Kindern — die noch nicht einmal zehn Jahre alt waren — zum Dorf weiter unten an der Straße marschierte, wo die bösen Leute lebten. Sie hatten seinen Vater getötet, bevor Harbin noch geboren wurde und seine schwangere Mutter ein paarmal vergewaltigt. Die anderen Jungen sagten manchmal im Spott, dass Dorik von einem der Vergewaltiger gezeugt worden sei und nicht von seinem Vater, den die Vergewaltiger mit ihren Macheten zerhackt hatten.
Er und seine zusammengewürfelte Truppe waren also zu diesem bösen Dorf marschiert und hatten jeden Bewohner erschossen: Männer, Frauen, Kinder und Babies. Der auf Rache brennende Harbin erschoss sogar die Dorfhunde. Dann hatte er unter den gnadenlosen Blicken der hartgesichtigen Ältesten jedes einzelne Haus im Dorf in Brand gesetzt. Sie Übergossen die Leichen mit Benzin und verbrannten die Toten. Ein paar von ihnen waren indes nur verwundet und stellten sich tot, um dem Sturm zu entkommen, den sie geerntet hatten — bis ihre Kleidung in Flammen aufging.
Harbin gellten ihre Schreie heute noch in den Ohren.
Als die Blauhelm-Friedenstruppen in die Region gekommen waren, um das Morden zu beenden, war Harbin aus seinem Dorf fortgelaufen und hatte sich den Nationalen Streitkräften angeschlossen. Nachdem er viele Monate in den Bergen gelebt und sich vor den Aufklärungsflugzeugen und Satelliten der Friedenstruppen versteckt hatte, gelangte er zu der bitteren Erkenntnis, dass die so genannten Nationalen Streitkräfte auch nicht mehr waren als eine Bande von Renegaten, die ihre eigenen Landsleute bestahlen, Dörfer plünderten und Frauen vergewaltigten.
Er lief wieder davon, diesmal zu einem Flüchtlingslager, wo gut gekleidete Fremde Lebensmittel verteilten, während Männer aus den nahe gelegenen Dörfern den Flüchtlingen gleichzeitig Haschisch und Heroin verkauften. Schließlich schloss Harbin sich diesen Blauhelmsoldaten an; sie suchten Rekruten und boten regelmäßigen Sold für relativ ungefährliche Einsätze. Sie bildeten ihn gut aus, und was noch wichtiger war, sie ernährten ihn und löhnten ihn und versuchten, ihm ein Gefühl für Disziplin und Ehre zu vermitteln. Doch er verlor immer wieder die Beherrschung und kam so oft in die Brigg, dass ein Feldwebel ihn als ›Knastvogel‹ bezeichnete.
Der Feldwebel versuchte, Harbins Ungestüm zu bändigen und ihn zu einem guten Soldaten zu machen. Harbin nahm ihre Nahrung und ihr Geld und versuchte ihre seltsamen Vorstellungen davon zu begreifen, wann es angebracht war, jemanden zu töten und wann nicht. Nach ein paar Jahren Dienst in den Elendsregionen Asiens und Afrikas lernte er jedoch, dass es überall das Gleiche war: töten oder getötet werden.
Er wurde für eine Spezialausbildung ausgewählt und mit einer Hand voll anderer Soldaten der Friedenstruppe zum Mond geschickt, um gegenüber den abtrünnigen Kolonisten der Mondbasis dem Gesetz wieder Geltung zu verschaffen. Man gestattete den handverlesenen Soldaten sogar den Konsum von Designerdrogen, die angeblich die Anpassung an die niedrige Gravitation begünstigten. Harbin wusste aber, dass das nur Bestechung war, um die ›Freiwilligen‹ bei der Stange zu halten.