Der Versuch, die hartnäckigen Verteidiger der Mondbasis in einem Raumanzug zu bekämpfen, war eine Erfahrung der besonderen Art für Harbin. Die Friedenstruppen versagten, obwohl die Mondkolonisten peinlich darauf bedacht waren, niemanden von ihnen zu töten. Schließlich traten sie den Rückzug zur Erde an — nicht nur besiegt, sondern geradezu gedemütigt. Sein nächster Einsatz bei den Hungeraufständen in Delhi war zugleich der letzte bei den Friedenstruppen. Er bewahrte seine Abteilung davor, von den tobenden Horden der Aufständischen überrannt zu werden, doch tötete er so viele ›unbewaffnete‹ Zivilisten, dass die Internationale Friedenstruppe ihn ausmusterte.
Der erneut verwaiste Harbin schloss sich einer der Sicherheitsagenturen an, die bei den großen multinationalen Konzernen unter Vertrag standen. Immer bestrebt, sich zu verbessern, lernte er Raumschiffe zu fliegen. Und er erkannte auch schnell, wie zerbrechlich so ein Raumschiff war. Ein gut gezielter Laserschuss vermochte ein Raumschiff in einem Wimpernschlag in ein Wrack zu verwandeln; man konnte seine Besatzung aus einer Distanz von tausend Kilometern töten, ehe sie überhaupt merkte, dass sie angegriffen wurde.
Schließlich wurde er in die Zentrale von Humphries Space Systems bestellt — es war das erste Mal, dass er nach dem Abzug der Friedenstruppen zum Mond zurückkehrte. Der Sicherheitschef war ein Russe namens Grigor. Er sagte Harbin, er hätte eine schwierige, aber entwicklungsfähige Stelle für einen mutigen und entschlossenen Mann.
»Wen soll ich töten?«, fragte Harbin nur.
Grigor sagte ihm, dass er die unabhängigen Prospektoren und Bergleute aus dem Gürtel verjagen sollte. Diejenigen, die bei HSS beziehungsweise Astro unter Vertrag standen, sollten unbehelligt bleiben. Es waren die Unabhängigen, die ›entmutigt‹ werden sollten. Harbin grinste bei dem Wort. Männer wie Grigor und die anderen Bewohner von Selene vermochten sich gepflegt auszudrücken, doch was sie damit meinten, war alles andere als gepflegt. Töte die Unabhängigen. Töte so viele von ihnen, dass der Rest entweder den Gürtel verlässt oder bei HSS oder der Astro Corporation anheuert.
Also mussten diese hier auch sterben, wie die anderen.
»Hier ist die Waltzing Matilda«, hörte er die Worte aus dem Lautsprecher. Das Gesicht auf dem Bildschirm gehörte einem jungen männlichen Asiaten mit kahl geschorenem Kopf und großen, unsteten Augen. Seine Wangen waren tätowiert. »Bitte identifizieren Sie sich.«
Rabin verzichtete darauf. Es bestand keine Notwendigkeit dafür. Je weniger er mit denen sprach, die er töten sollte, je weniger er über sie wusste, desto besser. Es war ein Spiel, sagte er sich — wie die Computerspiele, die er während der Ausbildung bei den Friedenstruppen gespielt hatte. Zerstöre das Ziel und sammle Punkte. Nur dass bei dem Spiel, das er nun spielte, die Punkte internationale Dollars waren. Mit Geld konnte man sich fast alles kaufen: eine schöne Wohnung in einer sicheren Stadt, guten Wein, willige Frauen und Drogen, welche die Erinnerungen an die Vergangenheit vertrieben.
»Wir bearbeiten diesen Asteroiden«, sagte der junge Mann; seine zittrige Stimme war noch etwas höher als kurz zuvor. »Der Anspruch ist bei der Internationalen Astronautenbehörde angemeldet.«
Harbin holte tief Luft. Die Versuchung, ihm zu antworten war schier übermächtig. Es spielt keine Rolle, was du beansprucht hast oder was du tust, antwortete er stumm. Der bleiche Finger hat deinen Namen schon ins Buch des Todes geschrieben, und weder deine Frömmigkeit noch dein Verstand vermögen es, dass auch nur eine halbe Zeile daraus gestrichen wird; genauso wenig wie all deine Tränen auch nur ein Wort davon auslöschen werden.
Nach dem achten Erztransport war George hundemüde. Und am Verhungern.
Er schaltete den Laser aus und sagte ins Helmmikrofon: »Ich komme jetzt rein.«
»Verstanden«, erwiderte der Türke nur.
»Die Brühe schwappt schon im Anzug«, sagte George. »Der Akku muss auch wieder aufgeladen werden.«
»Verstanden«, sagte Nodon.
George nahm den Akku ab und trug ihn in beiden Armen zurück zur Luftschleuse der Matilda. Das Teil war doppelt so groß wie er selbst, und obwohl es praktisch nichts wog, ging er doch vorsichtig damit um. Eine so große Masse vermochte einen Menschen zu zerquetschen, egal bei welcher Schwerkraft. Die Wirkung der Masseträgheit war schließlich nicht aufgehoben worden.
»Was macht denn unser Besucher?«, fragte er, als er die Außenluke der Schleuse schloss und die Kammer mit Sauerstoff flutete.
»Behält den Kurs bei.«
»Hat er sich schon gemeldet?«
»Nein.«
Dies beunruhigte George. Als er sich aus dem stinkenden Anzug geschält und den Akku ans Ladegerät des Schiffes angeschlossen hatte, war Nahrungsaufnahme jedoch seine höchste Priorität.
Halb ging, halb schwebte er den Durchgang zur Bordküche hinauf.
»Den Spin ein bisschen beschleunigen, Nodon«, rief er zur Brücke. »Gib mir etwas Gewicht, damit das Essen auch in den Magen gelangt.«
»Ein Sechstel Ge?«, drang die Stimme des Türken durch den Gang.
»Das sollte genügen.«
Ein angenehmes Gefühl der Schwere kehrte zurück, als George einen bescheidenen Imbiss aus dem Tiefkühlfach zog. Hätte mehr Proviant bunkern sollen, sagte er sich. Hätte aber auch nicht erwartet, so lang hier draußen sein.
Plötzlich hörte er einen Schrei von der Brücke. Der Druckabfall-Alarm wurde ausgelöst, und die Schotts schlugen zu. Im Schiff gingen die Lichter aus. Um George war Dunkelheit.
Kapitel 18
Amanda war perplex. »Du hast dich geweigert, überhaupt zu verkaufen?«
Fuchs nickte grimmig. Der heiße Zorn, den er während der Besprechung mit Humphries verspürt hatte, war zum Teil verflogen, doch der Ärger brannte noch immer tief in den Eingeweiden. Eins stand jedenfalls fest: Er würde kämpfen. Auf dem Weg von Humphries Büros zu ihrer Hotelsuite hatte Fuchs eine unumstößliche Entscheidung getroffen. Er würde schon dafür sorgen, dass Humphries dieses selbstgefällige Grinsen verging — was auch immer es kosten würde.
Amanda saß im Wohnzimmer ihrer Suite, als Fuchs zornig und ungeduldig zur Tür hereinkam. Er sah ihren erwartungsvollen Gesichtsausdruck und wurde sich bewusst, dass sie die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte; sie war weder einkaufen gegangen noch hatte sie sonst etwas getan, außer auf seine Rückkehr zu warten.
»Ich konnte es nicht tun«, sagte Fuchs so leise, dass er sich nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. Er räusperte sich und wiederholte: »Ich konnte nicht an ihn verkaufen. Um nichts in der Welt.«
Amanda ließ sich auf eins der kleinen Sofas sinken, die im Raum verteilt waren. »Lars … wie soll es denn nun weitergehen?«
»Ich weiß nicht«, sagte er. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, aber er wusste nicht, ob er mit der ganzen Wahrheit herausrücken sollte. Er setzte sich auf den Stuhl neben Amanda und nahm ihre Hände in seine. »Ich sagte ihm, dass ich wieder nach Ceres gehen und noch einmal von vorn anfangen würde.«
»Noch einmal von vorn anfangen? Wie denn?«
Er rang sich ein Lächeln für sie ab, um seine wahren Gefühle zu verbergen. »Wir haben noch immer die Starpower. Wir könnten wieder als Prospektoren arbeiten.«
»Wieder in einem Schiff hausen«, murmelte sie.
»Ich weiß, dass es ein Schritt zurück ist.« Er zögerte und fand dann den Mut zu sagen: »Du musst nicht mit mir kommen. Du kannst auf Ceres bleiben. Oder … oder wo du sonst gern leben möchtest.«