»Du würdest auch ohne mich gehen?« Das schien sie zu verletzen.
Fuchs wusste, dass Amanda entsetzt wäre, wenn er ihr von seinen wirklichen Plänen und seinem wahren Ziel erzählte. Sie würde es ihm auszureden versuchen. Und noch schlimmer, wenn sie erst einmal erkannt hatte, dass er sich davon nicht abbringen ließ, würde sie darauf bestehen, ihn auf jedem Schritt des Weges zu begleiten.
Also hielt er sich bedeckt. »Liebste Amanda … ich kann doch nicht von dir verlangen, wieder wie damals zu leben. Ich habe den Schlamassel angerichtet, und nun muss ich auch …«
»Lars, er wird dich umbringen!«
Er sah, dass sie wirklich Angst hatte.
»Wenn du allein zum Gürtel zurückkehrst«, sagte Amanda dringlich, »wird er jemanden auf dich ansetzen und dich umbringen lassen.«
Fuchs erinnerte sich an Humphries’ Worte: Sie sind ein toter Mann, Fuchs.
»Ich kann schon auf mich aufpassen«, sagte er grimmig.
Ich muss mit ihm gehen, sagte Amanda sich. Martin wird nichts gegen Lars unternehmen, wenn die Gefahr besteht, dass ich dabei zu Schaden komme.
»Ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst, Liebling«, sagte sie sanft und beschwichtigend zu ihrem Mann, »aber wer wird dann auf mich aufpassen?« Sie streichelte ihm die Wange.
»Du würdest mit mir gehen?«
»Natürlich.«
»Du willst mit mir gehen?« Er vermochte sein Glück kaum zu fassen.
»Ich will bei dir sein, Lars«, sagte Amanda leise. »Wo auch immer du hingehst.«
Martin hat es im Grunde nur auf mich abgesehen, sagte sie sich. Ich bin der eigentliche Grund für diese ganze Malaise. Ich bin der Grund, weshalb mein Mann in einer solchen Gefahr ist.
Und Fuchs sagte sich, sie will vor Humphries fliehen. Sie hat Angst vor ihm. Sie befürchtet, dass, wenn ich nicht nah genug bei ihr bin, um sie zu beschützen, er sie mir wegnimmt.
Und die Glut seines Zorns wurde wieder zu heißer Wut angefacht.
Waltzing Matilda
Die Notbeleuchtung schaltete sich ein; sie war zwar trübe, aber besser als völlige Dunkelheit. George tastete sich im Zwielicht durch den engen Gang von der Bordküche zur geschlossenen Luke der Brücke. Er tippte den Code in die Tastatur am Schott ein, und die Luke öffnete sich einen Spalt weit.
Wenigstens ist kein Druckabfall auf der Brücke erfolgt, sagte George sich, während er die Luke ganz öffnete. Sonst hätte die Luke sich nämlich nicht geöffnet.
Nodon saß auf dem Pilotensitz; die Augen hatte er im Schock oder aus Angst weit aufgerissen, und die Hände huschten nur so über die Tastatur der Konsole. Die normale Beleuchtung ging wieder an, aber sie schien schwächer als sonst.
»Was, zum Fuck, ist passiert, Kumpel?«, fragte George und glitt auf den Sitz des Copiloten.
»Ich habe einen Stromschlag bekommen«, sagte Nodon. »Ein Funken ist aus der Konsole übergesprungen, und dann ging das Licht aus.«
George sah, dass der Junge sämtliche Systeme des Schiffs ausprüfte. Die Anzeigen der Steuerkonsole flackerten fast so schnell, dass das Auge nicht mehr mitkam, während Nodon eine Systemdiagnose nach der andern durchlaufen ließ.
Der Junge ist gut, sagte George sich. Ihn einzustellen war die richtige Entscheidung gewesen.
Nodon war ein dünner junger Mann, der sein Alter mit fünfundzwanzig angab, doch George hatte den Eindruck, dass der Junge gerade erst Anfang zwanzig war. Er hatte auf Ceres am Computer gearbeitet und verfügte sonst über keine Berufserfahrung. Er hatte aber Elan und einen ausgeprägten Erfolgswillen, weshalb George ihn als Besatzungsmitglied für dieses Bergbauprojekt ausgesucht hatte. George nannte ihn ›Türke‹, doch war Nodon eigentlich Mongole, was durch die spiraligen Schmucktätowierungen auf beiden Wangen dokumentiert wurde. Er sagte, er sei auf dem Mond geboren worden und der Sohn von Bergleuten, die von der Erde geflohen waren, als die Wüste Gobi das Grasland der Heimat ihrer Vorfahren verschlungen hatte. Er bestand nur aus Haut und Knochen, hatte eine pergamentartige Haut, einen kahl geschorenen Kopf und große ausdrucksvolle, braune Augen. Er hätte wirklich gut ausgesehen, wären da nicht diese hässlichen Narben gewesen, sagte George sich. Er wollte sich einen Bart wachsen lassen; bisher war es aber nur ein leichter Flaum, durch den die Oberlippe schmutzig wirkte.
Nodon, der angespannt auf dem Pilotensitz saß, trug nur ein leichtes Netzhemd über einer verschlissenen Shorts. Er führte diese Diagnose so schnell durch, dass George kaum noch zu folgen vermochte.
»Der Stromgenerator ist abgeschaltet«, sagte er. »Daher ist auch das Licht ausgegangen.«
»Wir sind auf Batterie?«, fragte George.
»Ja,und …«
Der Alarm blökte wieder, und George spürte ein Knacken in den Ohren. Die luftdichte Luke hatte sich erneut geschlossen.
»Mein Gott!«, rief George. »Das Arschloch schießt auf uns!«
Dorik Harbin schaute finster auf die Bildschirme. Mit dem ersten Schuss hatte er eigentlich das Habitatmodul des Schiffs treffen wollen, doch sie hatten den Spin gerade in dem Sekundenbruchteil erhöht, als er gefeuert hatte. Dass er etwas getroffen hatte, stand fest, aber es war eben kein Volltreffer.
Es hatte ein paar Minuten gedauert, um den großen Laser wieder aufzuladen; somit hatte Harbin genug Zeit gehabt, das Ziel genau aufzufassen. Er hatte die Risszeichnung der Matilda auf dem Bildschirm — Danksagung an Humphries Space Systems. Ihre nachrichtendienstlichen Daten waren nahezu perfekt. Harbin wusste, wo die Schiffe waren, hinter denen er her war, und er kannte auch den Aufbau jeden Schiffes.
Keine große Herausforderung für einen Soldaten, sagte er sich. Aber welcher Soldat sucht überhaupt die Herausforderung? Wenn man schon das Leben aufs Spiel setzt, sollte der Auftrag wenigstens so leicht wie möglich sein. Er wurde sich der Tatsache bewusst, dass er auf unbewaffnete Zivilisten schoss. Vielleicht befand sich auch eine Frau an Bord dieses Schiffes, obwohl dies aus den nachrichtendienstlichen Daten von HSS nicht hervorging. Und wenn schon, sagte er sich. Das ist das Ziel, und du wirst dafür bezahlt, es zu zerstören. Es ist viel leichter, als einem Menschen ins Gesicht zu sehen und ihn zu töten, wie du es in Delhi tun musstest.
Das war vielleicht ein Schlamassel gewesen, geradezu ein Fiasko. Ein Söldnerbataillon versuchte ein Lagerhaus mit Lebensmitteln gegen eine ganze Stadt zu verteidigen. Dieser Idiot von Kommandant! Ein blöder Franzose. Harbin sah noch immer die verzerrten Gesichter der zerlumpten, halb verhungerten Inder, die mit bloßen Händen gegen Sturmgewehre und Maschinengewehre anstürmten. Und trotzdem hätten sie uns fast überrannt. Erst als er den Fehler machte, eine Frau so nah an sich herankommen zu lassen, dass sie ihn mit einem Messer angreifen konnte, fiel er in einen rettenden Blutrausch. Er erschoss sie aus nächster Nähe und führte dann einen wilden, mörderischen Angriff, der die Menge in die Flucht schlug. Er hörte erst auf, den Fliehenden in den Rücken zu schießen, als das Gewehr wegen Überhitzung Ladehemmung hatte.
Er verdrängte diese albtraumhaften Bilder aus dem Bewusstsein und konzentrierte sich auf die Arbeit. Als er wieder schussbereit war, hatte das Habitatmodul sich durch den Spin der Matilda so weit bewegt, dass es teilweise von den großen Erzbrocken abgeschirmt wurde, die die Bergleute am zentralen Antriebsmodul aufgehängt hatten. Aber die Hauptkommunikationsantenne lag in seinem Blickfeld. Er gab einen Schuss ab. Die Kondensatoren des Lasers knackten laut, und er sah einen Lichtblitz am Rand der Antenne. Ein Treffer.
Und nun die Hilfsantennen, sagte er sich. Ich muss näher herangehen.