Amanda sank das Herz. Ich bin der Grund für all das, sagte sie sich immer wieder. Ich habe diesen netten, liebevollen Mann in ein wütendes Ungeheuer verwandelt. »Ich würde ihm zu gern die Fresse einschlagen«, knurrte Fuchs. »Und ihn töten, so wie er so viele andere getötet hat.«
»So wie du den Mann im Pub getötet hast«, hörte sie sich sagen.
Er schaute sie an, als ob sie ihm ins Gesicht geschlagen hätte.
»Ach Lars, so habe ich das doch nicht gemeint …«, sagte Amanda entsetzt.
»Du hast Recht«, sagte er schroff. »Absolut Recht. Wenn ich Humphries auf diese Weise töten könnte, würde ich es tun. Ohne mit der Wimper zu zucken.«
Sie streichelte ihm sanft und beschwichtigend die Wange. »Lars, Liebling, bitte — du erreichst damit doch nur, dass du selbst getötet wirst.«
Er schob ihre Hand weg. »Glaubst du nicht, dass ich schon auf der Abschussliste stehe? Er hat doch gesagt, dass er mich töten lassen würde. Sie sind ein toter Mann, Fuchs. Das waren seine Worte.«
Amanda schloss die Augen. Es gab nichts, was sie tun konnte. Sie wusste, dass ihr Mann kämpfen würde und dass sie ihn durch nichts davon abzubringen vermochte. Sie wusste, dass er umkommen würde. Noch schlimmer, sie sah, dass er sich selbst in einen Killer verwandelte. Er wurde zu einem Fremden, zu einem Mann, den sie nicht mehr kannte und wiedererkannte. Das machte ihr Angst.
»Welchem Umstand verdanke ich die Ehre Ihres Besuchs?«, fragte Carlos Vertientes.
Er sieht unverschämt gut aus, sagte Pancho sich. Hat die Gesichtszüge eines aristokratischen Kastiliers. Ausgeprägte hohe Wangenknochen. Ein keckes Menjou-Bärtchen. Er sieht so aus, wie ein Professor aussehen sollte, und nicht so wie diese ungepflegten Säcke in Texas.
Sie ging mit dem Dekan des Fachbereichs Plasmadynamik der Universität über die Ramblas in Barcelona — mit dem groß gewachsenen renommierten Physiker, der Lyall Duncan geholfen hatte, das Fusionsantriebssystem zu bauen, das nun die meisten Raumschiffe benutzten, die jenseits der Mondumlaufbahn im Einsatz waren. Vertientes wirkte sehr elegant im taubengrauen dreiteiligen Anzug. Pancho trug den grünen Overall, den sie schon bei der Einreise angehabt hatte.
Barcelona war noch immer eine lebendige Stadt trotz des steigenden Meeresspiegels, der Klimaerwärmung und der Flucht von Millionen Menschen. Und die Ramblas war noch immer der überfüllte, quirlige und lärmende Boulevard, wo die Einwohner der Stadt sich auf einen Tapas-Imbiss und einen guten Rioja-Wein trafen und die Gelegenheit nutzten, zu sehen und gesehen zu werden. Pancho gefiel das viel besser, als im Büro zu sitzen, obwohl die Menge manchmal so dicht war, dass sie sich mit den Ellbogen einen Weg durch Trauben von Leuten bahnen musste, die für ihren Geschmack zu langsam gingen. Auf jeden Fall zog Pancho das Bad in der Menge einem Büro vor, das vielleicht abgehört wurde.
»Ihre Universität ist ein Anteilseigner der Astro Corporation«, sagte Pancho in Beantwortung seiner Frage.
Vertientes’ schmale Brauen hoben sich etwas. »Wir sind Teil eines globalen Konsortiums von Universitäten, das in viele große Unternehmungen investiert.«
Er war etwas größer als Pancho und so schlank wie eine Toledoklinge. Sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. »Ja«, erwiderte sie mit einem Nicken. »Das habe ich auch herausgefunden, als ich die Liste von Astros Aktionären durchging.«
Er lächelte gewinnend. »Sind Sie etwa nach Barcelona gekommen, um Aktien zu verkaufen?«
»Nein, nein«, sagte Pancho und stimmte in sein Lachen ein. »Aber ich habe einen Vorschlag für Sie — und Ihr Konsortium.«
»Und worum handelt es sich dabei?«, fragte er und nahm sie am Arm, um sie an einer Gruppe asiatischer Touristen vorbeizumanövrieren, die für einen Straßenfotografen posierten.
»Was würden Sie davon halten, eine Forschungsstation im Jupiterorbit einzurichten? Astro würde drei Viertel der Kosten übernehmen; vielleicht mehr, wenn es uns gelingt, die Bücher etwas zu frisieren.«
Vertientes’ Brauen wölbten sich noch höher. »Eine Forschungsstation am Jupiter? Sie meinen eine bemannte Station?«
»Mit einer Besatzung«, sagte Pancho.
Er blieb stehen, sodass sie von der Menge umströmt wurden. »Sie schlagen also vor, dass das Konsortium eine bemannte — und ›beweibte‹ — Station im Jupiterorbit einrichtet, und zwar zu einem Viertel der effektiven Kosten?«
»Vielleicht noch weniger«, sagte Pancho.
Er schürzte die Lippen. »Gehen wir doch in eine Cantina, um das in aller Ruhe zu besprechen.«
»Soll mir recht sein«, sagte Pancho glücklich lächelnd.
Waltzing Matilda
George schaute missmutig auf die Bildschirmanzeige.
»Vierhundertdreiundachtzig Tage?«, fragte er. Er saß auf dem Kommandantensitz auf der Brücke, und Nodon saß neben ihm.
»Das meldet jedenfalls das Navigationsprogramm«, sagte Nodon, als ob er um Entschuldigung heischen wollte. »Wir befinden uns auf einer langen elliptischen Flugbahn, die uns in vierhundertdreiundachtzig Tagen wieder in die Nähe von Ceres führen wird.«
»Wie nah an Ceres heran?«
Nodon tippte auf die Tastatur. »Siebzigtausend Kilometer plusminus dreitausend.«
George kratzte sich am Bart. »Nah genug, um sie mit dem Anzugsfunk zu erreichen — aber mit Hängen und Würgen.«
»Vielleicht«, sagte Nodon. »Falls wir bis dahin überhaupt noch leben.«
»Wir wären dann gertenschlank.«
»Wir wären dann tot.«
»Welche Alternative hätten wir«, fragte George.
»Ich bin alle Möglichkeiten durchgegangen«, sagte Nodon. »Wir haben genug Treibstoff für eine kurze Zündung — aber nicht genug, um die Flugdauer zurück nach Ceres so zu verkürzen, dass wir überleben würden.«
»Aber das Triebwerk ist doch hinüber.«
»Vielleicht können wir es reparieren.«
»Noch etwas: Wenn wir den Treibstoff für eine Zündung verwenden, hätten wir keinen mehr für den Generator übrig. Kein Strom für die Lebenserhaltung. Keine Beleuchtung mehr.«
»Nein«, widersprach Nodon. »Ich habe vom restlichen Treibstoff genug reserviert, um den Betrieb des Generators sicherzustellen. Diesbezüglich gibt es keine Probleme. Die Stromversorgung wird nicht zusammenbrechen.«
»Das ist doch schon mal was«, sagte George sarkastisch. »Wenn unsere Leichen wieder im Raum um Ceres auftauchen, wird das abgefuckte Schiff wenigstens leuchten wie ein Weihnachtsbaum.«
»Vielleicht gelingt es uns, das Raketentriebwerk zu reparieren«, wiederholte Nodon.
George kratzte sich am Bart. Er juckte, als ob ein paar ungebetene Gäste sich darin eingenistet hätten. »Ich bin zu abgefuckt müde, um noch mal rauszugehen und mir das Triebwerk anzuschauen. Muss erst mal eine Mütze Schlaf nehmen.«
»Und etwas essen«, sagte Nodon und nickte zustimmend.
»Sofern überhaupt noch etwas da ist«, murmelte George und ließ den Blick über den Bildschirm mit der Liste der arg geschrumpften Vorräte schweifen.
Kapitel 22
Amanda schaute vom Bildschirm auf und lächelte, als Fuchs ihr Einraum-Apartment betrat. Er erwiderte das Lächeln jedoch nicht. Er hatte den Morgen damit verbracht, eine Bestandsaufnahme des Schadens in Helvetias Lagerhaus zu inspizieren. Das Feuer hatte die Felswände der Kammer in einen Hochofen verwandelt und alles geschmolzen, was nicht sofort verbrannt war. Bevor es den ganzen Sauerstoff in der Kammer verzehrt hatte und erstorben war, hatte es Fuchs’ gesamtes Inventar — alles, wofür er gearbeitet hatte, seine ganzen Hoffnungen und Träume — zu Asche verbrannt und zu bizarren Metallstümpfen deformiert. Hätte die Luke nicht dichtgehalten, dann hätte das Feuer in Windeseile sich durch die Tunnels ausgebreitet und jeden in Ceres getötet.