Fuchs zitterte vor Wut bei dieser Vorstellung. Das mörderische Kroppzeug hatte sich darüber keine Gedanken gemacht. Es wäre diesem Drecksgesindel egal gewesen. Auch wenn alle in Ceres umgekommen wären, was hätte Humphries das schon bedeutet? Was bedeutet ihm überhaupt irgendetwas, solange er nur seinen Willen bekam und sich den Stachel aus dem Fleisch zog?
Ich bin dieser Stachel, sagte Fuchs sich. Ich bin nur ein kleiner Störenfried, ein kleines Ärgernis in seinem grandiosen Eroberungsplan.
Dieser Stachel in deinem Fleisch wird sich aber tiefer in dich hineinbohren, Humphries, sagte Fuchs sich bei dem Gedanken an die geschwärzte Ruine seines Lagerhauses. Ich werde zu einer schwärenden Wunde, bis du den gleichen Schmerz verspürst, den du so vielen anderen zugefügt hast. Das schwöre ich!
Und doch fühlte er sich eher müde als zornig, als er zur Unterkunft zurückstapfte und im Staub hustete, den er mit seinen Schritten aufwirbelte. Er fragte sich, wie es überhaupt so weit gekommen war, dass diese Bürde der Rache auf seine Schultern gefallen war. Das ist keine Rache, knurrte er innerlich. Das ist Gerechtigkeit. Jemand muss Gerechtigkeit üben; man kann Humphries doch nicht alles durchgehen lassen, ohne dass er gegenüber irgendjemandem Rechenschaft ablegen muss.
Dann schob er die Tür der Unterkunft auf und sah Amandas strahlendes Lächeln. Und der Zorn wallte in ganzer Stärke wieder in ihm auf. Humphries ist auch hinter ihr her, erinnerte Fuchs sich. Aber er bekommt Amanda nur über meine Leiche.
Amanda erhob sich vom Schreibtisch und trat auf ihn zu. Er nahm sie in die Arme, doch anstatt ihn zu küssen, rieb sie die Finger an seiner Wange.
»Du bist verschmiert im Gesicht«, sagte sie lächelnd. »Wie ein kleiner Junge, der auf der Straße gespielt hat.«
»Ruß aus dem Lagerhaus«, sagte er düster.
Sie gab ihm einen Schmatz auf die Lippen und sagte: »Ich habe eine gute Nachricht.«
»Ja?«
»Das Geld von der Versicherung ist heute Morgen auf Helvetias Konto eingegangen. Wir können also noch einmal von vorn anfangen, ohne uns von Pancho etwas leihen zu müssen.«
»Wie viel ist es denn?«
Amandas Lächeln wurde um eine Nuance schwächer. »Etwas weniger als die Hälfte der Summe, die wir geltend gemacht hatten. Ungefähr achtundvierzig Prozent des tatsächlichen Schadens.«
»Achtundvierzig Prozent«, murmelte er und ging zur Toilette.
»Es ist jedenfalls mehr Geld, als wir bei der Gründung von Helvetia hatten, Liebling.«
Er wusste, dass sie ihn aufmuntern wollte. »Ja, das ist wohl wahr«, sagte er, während er sich das Gesicht wusch. Bei dieser Gelegenheit sah er, dass die Hände auch mit Ruß verschmutzt waren.
Er hielt das Gesicht unter den lärmenden, rasselnden Trockner und erinnerte sich an den Luxus richtiger Handtücher, den sie im Hotel in Selene genossen hatten. Wir könnten das hier auch haben, sagte Fuchs sich, und sie auf der Oberfläche absaugen, wie sie es in Selene tun. Wir würden Strom sparen, wenn es uns gelänge, den Staub an der Oberfläche von der Wäsche fern zu halten.
»Irgendeine Nachricht von der Starpower?«, fragte er, als er wieder in den Hauptraum zurückkehrte.
»Sie ist auf dem Rückflug«, sagte Amanda. »Sie wird zum Monatsende hier sein, wenn der Leasingvertrag ausläuft.«
»Gut.«
Amandas Gesichtsausdruck wurde ernst. »Lars, hältst du es wirklich für eine gute Idee, mit der Starpower wegzufliegen? Kannst du nicht eine Besatzung anheuern und hier bleiben?«
»Eine Besatzung kostet Geld«, sagte er. »Und wir würden alles, was wir finden, mit ihr teilen müssen. Ich kann das Schiff auch selbst fliegen.«
»Aber du wärst dann ganz allein …«
Er wusste, worauf sie hinauswollte. Einige Schiffe waren bereits im Gürtel verschwunden. Obendrein stand er auf Humphries’ Abschussliste.
»Es wird mir schon nichts passieren«, sagte er. »Es weiß schließlich niemand, wohin ich fliege.«
Amanda schüttelte den Kopf. »Lars, sie müssten nicht mehr tun, als sich ins Netz der IAA einzuloggen und die Position deiner Funkboje festzustellen. Sie würden dann genau wissen, wo du bist.«
Er lächelte beinahe. »Nicht, wenn die Funkboje an einer Drohne hängt, die ich aussenden werde, kurz nachdem ich Ceres verlassen habe.«
Sie war perplex. »Aber das wäre doch ein Verstoß gegen die IAA-Bestimmungen!«
»Ja, das wäre es. Und es würde mein Leben auch gleich viel sicherer machen.«
Die Aufräumungsarbeiten im verwüsteten Lagerhaus dauerten ein paar Tage. Es war schwer, Leute zu finden, die diese Drecksarbeit überhaupt verrichten wollten; sie verlangten die gleiche Bezahlung, die sie bekämen, wenn sie am Computer arbeiteten oder als Crewmitglieder auf einem Prospektorenschiff mitflogen. Also stellte Fuchs alle vier Teenager auf Ceres an. Sie freuten sich, außerhalb der Unterrichtszeit eine Beschäftigung zu haben, einmal von den Lehrprogrammen wegzukommen und freuten sich noch mehr, richtiges Geld zu verdienen. Trotzdem erledigte Fuchs selbst den größten Teil der Arbeit, weil die Kinder jeden Tag nur ein paar Stunden arbeiten konnten.
Nach ein paar Tagen erschienen die vier Kinder jedoch nicht mehr zur Arbeit. Fuchs rief sie an und durfte sich eine Reihe lahmer Entschuldigungen anhören.
»Meine Eltern wollen nicht mehr, dass ich arbeite.«
»Ich habe zu viel für die Schule zu tun.« Nur eins der Kinder ließ die Wahrheit durchblicken. »Mein Vater hat eine E-Mail erhalten, die besagte, dass er seinen Job verlieren würde, wenn er mich für Sie arbeiten lässt.«
Fuchs musste gar nicht erst fragen, für wen der Vater denn arbeitete. Es war ein klarer Falclass="underline" Humphries Space Systems.
Also malochte er allein in der Lagerhaus-Höhle, bis er schließlich auch die letzten verkohlten Trümmer beseitigt hatte. Dann baute er aus in der Instandhaltung gelagertem Stahlblech neue Regalgestelle.
Als Fuchs eines Abends, nachdem er den lieben langen Tag die neuen Regale aufgebaut hatte, müde durch den staubigen Tunnel schlurfte, traten zwei Männer in HSS-Overalls ihm in den Weg.
»Sie sind doch Lars Fuchs, nicht wahr?«, sagte der Größere des Duos. Er war jung, gerade erst dem Teenageralter entwachsen: Das schmutzig blonde Haar war raspelkurz geschnitten, und die Ärmel des Overalls hatte er bis über die Ellbogen aufgekrempelt. Fuchs sah Tätowierungen an beiden Unterarmen.
»Der bin ich«, antwortete Fuchs, ohne das Tempo zu verlangsamen.
Sie nahmen ihn in die Mitte und gingen neben ihm her. Der kleinere der beiden war immer noch ein paar Zentimeter größer als Fuchs und hatte die massige Statur eines Gewichthebers. Er hatte langes schwarzes Haar und einen dunklen Teint.
»Ich habe einen guten Rat für Sie«, sagte der Größere. »Nehmen Sie das Geld von der Versicherung und verlassen Sie Ceres.«
»Ihr scheint über mein Geschäft Bescheid zu wissen«, sagte Fuchs und ging weiter durch den Tunnel.
»Verschwinden Sie einfach von hier, bevor es Ärger gibt«, sagte der andere. Er hatte einen Latinoakzent.
Nun blieb Fuchs doch stehen und musterte die beiden von Kopf bis Fuß. »Ärger?«, sagte er. »Der einzige Ärger, den es hier geben wird, ist der, den ihr anfangt.«
Der Größere zuckte die Achseln. »Es kommt nicht darauf an, wer anfängt. Es kommt darauf an, wer zum Schluss noch steht.«
»Vielen Dank«, sagte Fuchs. »Eure Aussagen werden ein wichtiger Beweis sein.«
»Beweis?« Die beiden wirkten erschrocken.
»Haltet ihr mich vielleicht für blöd?«, fragte Fuchs scharf. »Ich wusste gleich, was ihr wolltet. Ich trage einen Sender, der jedes Wort, das ihr sagt, ans IAA-Hauptquartier in Genf überträgt. Falls mir irgendetwas zustößt, liegt der Stimmenabdruck von euch beiden schon vor.«