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Dossier: Joyce Takamine

Man musste eine qualifizierte Ausbildung haben, um für eine Arbeit auf Selene infrage zu kommen. Die Mondnation stellte Ingenieure und Techniker ein, keine Obstpflücker. Joyces Eintrittskarte für den Mond war ein ramponierter alter Palmtop-Computer, den sie von ihrem Vater bekommen hatte. Damit hatte sie Zugang zu praktisch jedem Lehrgang an jeder Universität im Internet. Sie studierte jede Nacht, selbst wenn sie so müde war vom Pflücken, dass sie kaum die Kraft hatte, den verschrammten Kunststoffdeckel des Computers aufzuklappen.

Weil die anderen Pflücker sich darüber beschwerten, dass der flackernde Bildschirm sie am Schlafen hinderte, ging Joyce nach draußen vor die Baracke und studierte unter den Sternen. Wenn sie zum Mond aufschaute und den Leitstrahl von Selene sah, schien es ihr, als ob dieser helle Laserstrahl sie rief.

Einmal stahl ein Kerl, mit dem sie ein Techtelmechtel hatte, ihr den Palmtop; er spazierte einfach damit weg, als ob er ihm gehörte. Panisch und wütend zugleich spürte Joyce ihn im nächsten Camp auf und schlug ihm mit einer Karate-Kombination fast den Kopf ab. Die Wachtposten des Besitzers ließen sie gehen, nachdem sie ihnen die ganze Geschichte erzählt hatte. Sie hatten keine Verwendung für Diebe und schon gar nicht für solche, die sich von einem dürren orientalischen Mädchen vertrimmen ließen.

Nach drei Jahren hatte Joyce ihren Abschluss in EDV-Systemanalyse der California Coast University. Sie bewarb sich auf eine Stellenausschreibung in Selene. Sie bekam die Stelle nicht. Vierhundertsiebenundzwanzig Personen, von denen die meisten so verzweifelt und bedürftig waren wie Joyce, hatten sich auf diese eine Stelle beworben.

An dem Tag, als sie die Absage von Selene bekam, erhielt sie noch eine Nachricht: Ihre beiden Eltern waren beim Erdbeben, das die Elendssiedlungen in den Hügeln oberhalb der im Meer versunkenen Ruinen von San Francisco zerstört hatte, bei einer Massenkarambolage auf dem Freeway ums Leben gekommen.

Kapitel 25

Nichts.

Fuchs schaute missmutig auf die Computerbildschirme, die sich bogenförmig um den Kommandantensitz zogen und warf dann einen Blick aus den Fenstern der Brücke. Keine Spur von der Waltzing Matilda. Es war nichts zu sehen außer der plumpen, unregelmäßigen Form eines Asteroiden, der langsam in der öden Leere taumelte — dunkel und vernarbt und mit Geröll und Felsbrocken übersät.

Dies war die letzte, der IAA bekannte Position von Big Georges Schiff. Die Telemetrie der Matilda war genau hier an dieser Stelle abgebrochen. Vom Schiff selbst war aber nichts zu sehen.

Ohne bewusste Überlegung brachte er die Starpower in eine enge Umlaufbahn um den kleinen Asteroiden. War George wirklich hier, fragte er sich. Wenn ja, würde er sich wahrscheinlich nicht …

Doch dann machte er auf dem Asteroiden einen Bereich aus, wo gleichmäßige rechteckige Brocken aus dem Gestein gefräst worden waren. George war hier gewesen! Er hatte tatsächlich angefangen, den Asteroiden auszubeuten.

Fuchs schaltete das Teleskop auf maximale Vergrößerung und sah, dass noch immer ein paar Ausrüstungsgegenstände auf der Oberfläche herumstanden. George war überstürzt aufgebrochen, wurde Fuchs sich bewusst, und hatte keine Zeit mehr gehabt, die ganze Ausrüstung mitzunehmen.

Es war ein Schneidlaser, wie Fuchs nun sah, der einsam und verlassen am Rand eines der ausgeschnittenen Rechtecke stand. Ich muss ihn bergen, sagte er sich. Er ist vielleicht ein Beweis.

Die einfachste Möglichkeit wäre, den Raumanzug anzulegen und auf eine EVA zu gehen. Weil außer ihm aber niemand im Schiff war, entschied Fuchs sich gegen diese Möglichkeit. Stattdessen manövrierte er die Starpower in einen Orbit, der mit dem Spin des Asteroiden synchron war. Vor lauter Konzentration schob er die Zunge zwischen die Zähne und brachte das Schiff langsam auf ein Dutzend Meter an die steinige Oberfläche heran.

Mit den Greifarmen des Ausrüstungsmoduls der Starpower holte Fuchs den Laser vom Asteroiden und verstaute ihn in der Ladebucht. Als er damit fertig war, war er völlig nass geschwitzt, aber auch stolz auf seine fliegerische Leistung.

Fuchs wischte sich den Schweiß von der Stirn und widerstand der Versuchung, Ceres anzurufen und zu fragen, ob sie schon neue Daten über Georges Schiff hatten. Nein, rief er sich zur Ordnung. Du musst Funkstille halten.

Vielleicht tut George das Gleiche, sagte er sich. Er hält Funkstille, um sich zu tarnen. Offensichtlich ist er überstürzt aufgebrochen. Mit größter Wahrscheinlichkeit wurde er angegriffen und vielleicht sogar getötet. Wenn er aber zu entkommen vermochte, wird er nun Funkstille halten, um den Angreifer nicht wieder auf seine Fährte zu locken.

Aber wie soll ich ihn dann finden, fragte Fuchs sich.

Er verließ die Brücke und ging zur Bordküche. Das Gehirn braucht Nahrung, sagte er sich. Mit leerem Bauch kann ich nicht denken. Er wurde sich bewusst, dass das verschwitzte T-Shirt noch an ihm klebte. Ohne Schweiß kein Preis, sagte er sich. Aber es roch halt nicht gut.

Nachdem er sich gewaschen und ein Fertiggericht verzehrt hatte, war er sich über die weitere Vorgehensweise immer noch nicht ganz im Klaren.

Finde George, sagte er sich. Ja, aber wie?

Er ging wieder auf die Brücke und rief das Such- und Rettungsprogramm im Computer auf. »Aha!«, sagte er laut. Ausgreifende Spirale.

Das Standardverfahren bei einer Suchmission bestand darin, eine ständig sich erweiternde Spirale von der letzten bekannten Position des verschollenen Raumschiffs zu fliegen. Jedoch musste Fuchs auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass George im stumpfen Winkel von der Ekliptik weggeflogen war. Während die Umlaufbahnen der großen Planeten nur ein paar Grad von der Ebene der Ekliptik abwichen, zogen viele Asteroiden zwanzig oder sogar dreißig Grad ober- beziehungsweise unterhalb dieser Ebene ihre Bahn. Angenommen, George war mit starkem Schub abgeflogen? Fuchs wusste, dass er ihn in diesem Fall nie finden würde.

Und überhaupt war der Asteroidengürtel so groß, dass George — auch wenn er sich dicht an die Ekliptik hielt — schon Gott weiß wo sein konnte. Ein paar Tage mit hohem Schub konnten ein Schiff zurück zur Erde befördern. Oder in Gegenrichtung zum Jupiter hinaus.

Dennoch blieb Fuchs nichts anderes übrig, als die ausgreifende Spirale zu fliegen und mit dem Radar die Bereiche hoch über und unter seiner Position abzusuchen, während er sich vom Asteroiden entfernte.

Er legte den Kurs fest, stieg in den Raumanzug und rutschte durchs lange Buckminsterfulleren-Kabel, welches das Habitatmodul der Starpower mit dem Ausrüstungsmodul verband. Das hohle Kabel war breit genug, dass eine Person sich hindurchzuquetschen vermochte, aber es war nicht mit Druck beaufschlagt. Man musste einen Anzug tragen, und dies erschwerte das Kriechen durch den kilometerlangen Schlauch ganz gewaltig. Trotzdem hatte Fuchs keine andere Wahl, zumal er den Laser begutachten wollte, den George zurückgelassen hatte.

* * *

Dorik Harbin war ebenfalls auf der Suche.

Er hatte die Telemetriesignale der Starpower vor ein paar Stunden aufgefangen, nachdem Fuchs Ceres verlassen hatte und folgte dem Schiff nun in sicherer Entfernung.

Dann aber war das Telemetriesignal jedoch abrupt abgebrochen. Harbin zog in Erwägung, sich dem Schiff so weit zu nähern, um es visuell auszumachen; bevor er aber noch eine diesbezügliche Entscheidung zu treffen vermochte, setzte die Telemetrie wieder ein und zeigte, dass die Starpower erneut Fahrt aufgenommen hatte: Sie flog mit hohem Schub quer durch den Gürtel.