Dann piepte plötzlich das Funkgerät.
Fuchs erschrak durch das unerwartete Geräusch. Er drehte sich auf dem Kommandantensitz um und sah, dass der Kommunikationsbildschirm den Eingang einer Nachricht anzeigte, die vom optischen Kommunikationssystem empfangen worden war.
Ein optisches Signal? Irritiert wies er den Kommunikationscomputer an, die Nachricht darzustellen.
Auf dem Bildschirm erschien ein kaleidoskopartiges buntes Wabern, während zugleich ein Zischen und Pfeifen aus den Lautsprechern drang. Nur Hintergrundrauschen, sagte Fuchs sich. Wahrscheinlich ein Sonnensturm oder ein Gammaburst.
Nur dass die anderen Sensoren keinerlei Anzeichen eines Sonnensturms zeigten, und bei näherer Überlegung fragte Fuchs sich, ob ein Gammaburst überhaupt vom optischen Empfänger registriert worden wäre.
Er befahl dem Navigationsprogramm, die Starpower wieder in den Bereich zu bringen, wo das optische Signal entdeckt worden war. Das Wenden eines Schiffs mit der Masse der Starpower war keine leichte Aufgabe. Es war zeit- und energieaufwändig. Schließlich meldete der Navigationsrechner jedoch den Vollzug des Manövers.
Nichts. Das Kommunikationssystem blieb stumm.
Es war ein Blindsignal, sagte Fuchs sich. Eine Anomalie. Trotzdem musste irgendetwas sie verursacht haben, und er war sich sicher, dass es sich nicht um einen Fehler in der Kommunikationsausrüstung handelte. Unsinn, sagte der Teil des Gehirns, wo der Verstand beheimatet war. Du bist davon überzeugt, weil es ein Signal sein soll. Du räumst der Hoffnung Vorrang vor dem Urteilsvermögen ein.
Ja, das stimmt wohl, gestand Fuchs sich ein. Trotzdem gab er dem Navigationssystem den Befehl, die Starpower auf dem Vektor entlangzuführen, woher das seltsame Signal gekommen war.
In der Hoffnung, dass das Bauchgefühl zuverlässiger war als das rationale Bewusstsein, folgte Fuchs dem Kurs für eine Stunde, zwei Stunden, bis …
… der Kommunikationsbildschirm sich erhellte und ein unscharfes, körniges Bild von etwas erschien, das Fuchs wie ein kahlköpfiger, ausgemergelter Asiate anmutete.
»Hier ist die Waltzing Matilda. Wir sind ein antriebs- und steuerloses Wrack. Wir brauchen dringend Hilfe.«
Fuchs klappte die Kinnlade herunter. Er starrte für ein paar Minuten auf das schlierige, verschwommene Bild und brach dann regelrecht in Hektik aus. Er versuchte die Position der Matilda zu bestimmen und schnellstmöglich zu ihr zu gelangen, während er gleichzeitig auf jedem Kanal, auf dem sein Kommunikationssystem zu senden vermochte, ein Signal an sie abstrahlte.
Dorik Harbin schäumte vor Wut.
Das ist ein Lockvogel, sagte er sich zornig. Ein verdammter Lockvogel. Und du bist darauf reingefallen. Du bist ihm wie ein blödes Arschloch auf halbem Weg in die Hölle gefolgt!
Eher aus Langeweile als aus einer konkreten Veranlassung heraus hatte er die Shanidar etwas aus dem Abgasstrahl dessen herausmanövriert, das er für die Starpower gehalten hatte. Er war den telemetrischen Signalen des Schiffs seit Tagen gefolgt, um herauszufinden, welches Ziel es ansteuerte. Seine stehenden Befehle von Grigor lauteten, zu warten, bis ein Schiff in eine Umlaufbahn um einen bestimmten Asteroiden ging und es dann zu zerstören. Harbin wusste, auch ohne dass Grigor es ihm sagte, dass HSS dann einen Anspruch auf den Asteroiden erhob.
Auch nach ein paar Tagen gab es immer noch keinerlei Anzeichen dafür, dass sein Opfer auf der Suche nach einem Asteroiden war. Es zuckelte einfach nur mit geringem Schub vor sich hin wie ein Touristenboot, das die lokalen Sehenswürdigkeiten abklapperte. Nur dass es hier draußen keine Touristen gab und auch keine Sehenswürdigkeiten, die man hätte präsentieren können; der Asteroidengürtel war kalt und leer.
Nun sah Harbin klar und deutlich auf den Bildschirmen, dass das, was er verfolgt hatte, mitnichten die Starpower war, sondern ein Rettungsboot, eine elende Rettungskapsel.
Das war kein Zufall. Fuchs hatte ihn auf eine falsche Fährte gelockt und war dann in eine ganz andere Richtung geflogen. Aber wohin? Grigor würde nicht eben begeistert sein, wenn er von diesem Patzer erführe. Harbin schwor sich, dass er Fuchs aufspüren und diesen krummen Hund fertig machen würde.
Wenn er auf Gegenkurs ging, würde ihn das so viel Treibstoff kosten, dass er in ein paar Tagen schon wieder tanken musste. Und das nächste HSS-Schiff war mindestens drei Tage entfernt. Harbin überflog die Sensorschirme. Was er brauchte, war ein mittelprächtiger Felsbrocken, der nah genug war …
Dann fand er einen — einen Asteroiden, der genug Masse für das Manöver hatte, das ihm vorschwebte. Er war zwar zu klein für einen Swingby, doch Harbin näherte sich dem zwölf Kilometer langen Gesteinsbrocken dicht an und brachte die Shanidar dann in eine enge Umlaufbahn. Er überprüfte den Navigationscomputer zweimal, bevor er das Programm aktivierte. Exakt im richtigen Moment zündete er die Triebwerke, und die Shanidar schoss vom namenlosen Asteroiden in die von Harbin gewünschte Richtung. Dabei wurde nur ein Bruchteil des Treibstoffs verbraucht, den eine angetriebene Wende gekostet hätte.
Nun flog er mit Volldampf in die Region zurück, wo die Starpower den Lockvogel abgesetzt hatte. Diese Stelle war leicht zu finden: Es musste dort sein, wo die Telemetrie-Signale der Starpower für ein paar Stunden ausgesetzt hatten. Während dieser Zeit hatte der schlaue Hund den Sender in der Rettungskapsel installiert. Seitdem hält er Funkstille.
Vielleicht auch nicht, sagte Harbin sich. Vielleicht kommuniziert er auf einem anderen Kanal mit Ceres. Oder er funkt andere Schiffe an.
Also hielt Harbin sämtliche Kommunikationsempfänger offen, während er mit Höchstgeschwindigkeit in den Raumsektor zurückflog, wo Fuchs ihn auf die falsche Fährte gelockt hatte.
Das Glück ist mit dem Tüchtigen. Nachdem er zwei Tage mit Vollgas geflogen war, fing Harbin das ferne, schwache Signal auf, mit dem Fuchs den Notruf der Waltzing Matilda beantwortete.
Dahin will er also, sagte Harbin sich mit einem Nicken. Er freute sich, dass er nun die Starpower vernichten und die Sache mit der Waltzing Matilda zu Ende bringen konnte.
Waltzing Matilda
George hatte auf dem Sitz des Copiloten Platz genommen, um etwas zu schlafen, und Nodon mit der Überwachung der Steuerkonsole beauftragt. Es gab freilich nicht viel zu überwachen. Sie trieben noch immer hilflos und einsam durch den Raum und waren dem Hungertod geweiht.
»Ich habe ein Signal!«, rief Nodon plötzlich aufgeregt.
Sein Ruf riss George aus einem Traum, der davon handelte, dass er mit einer schönen Frau im Restaurant ›Erdblick‹ in Selene dinierte. Schlaftrunken rieb George sich die Augen und fragte sich, was ihm im Traum wohl wichtiger wäre — die Frau oder das Futter.
»Was für ein Signal?«, nuschelte er.
Nodon zitterte förmlich vor Aufregung. »Sieh selbst!« Er wies mit einem knochigen Finger auf den Kommunikationsbildschirm. »Sieh selbst!«
George blinzelte ein paarmal. Hagel und Granaten, das war doch Lars Fuchs’ düsteres, todernstes Gesicht auf dem Bildschirm. George hatte noch nie ein so liebreizendes Antlitz gesehen.
»Ich habe euren Notruf empfangen und nähere mich eurer Position mit vollem Schub. Bitte peilt meine Boje an und wiederholt das Signal, damit mein Navigationssystem eine exakte Peilung bekommt.«
Nodons Finger huschten schon über die Tastatur auf der Steuerkonsole.