Also muss ich die Starpower unbedingt so schnell wie möglich zum Schweigen bringen. Aber wie? Den Funkverkehr vermag ich nicht zu stören; mir fehlt die entsprechende Ausrüstung.
Ich könnte beschleunigen, mich mit Höchstgeschwindigkeit auf sie stürzen und wegputzen, bevor sie eine Nachricht an Ceres senden. Nur dass ich dann nicht mehr genug Treibstoff hätte, um einen Tanker zu erreichen. Ich würde Grigor Bescheid sagen müssen, dass er mir einen Tanker schicken soll.
Und wie könnten sie mich diskreter loswerden, als mich allein hier draußen treiben zu lassen, bis ich entweder verhungere oder die Recycler den Geist aufgeben? Auf diese Weise würden Grigor und seine Bosse bei HSS mich für immer zum Schweigen bringen, ohne sich die Hände schmutzig machen zu müssen.
Mit einem grimmigen Kopfschütteln beschloss Harbin, den gegenwärtigen Kurs und die Geschwindigkeit beizubehalten. Er würde der Starpower entgegenfliegen und das Schiff zerstören. Fuchs würde sterben. Harbin hoffte nur, dass er den Auftrag erledigen konnte, bevor Fuchs Ceres über die Vorgänge informierte.
Das liegt im Schoß der Götter, sagte er sich. Es bleibt dem Zufall überlassen. Ein Vierzeiler aus dem Rubaiyat kam ihm in den Sinn:
Ja, sagte Harbin sich. Das wäre eine wahre Freude, diese Welt zu zertrümmern und aus ihren Ruinen etwas Besseres zu erschaffen. Eine Frau an meiner Seite zu haben, die mich liebt und die meines Herzens Freude ist.
Das sind Hirngespinste, sagte er sich ungehalten. Die Realität ist diese gottverlassene Leere und dieses lausige Schiff. Die Realität handelt von verschiedenen Arten des Tötens.
Die Realität, sagte er sich mit einem entsagungsvollen Seufzer, ist wie dieser verdammte Hometrainer: Er bringt mich nirgendwohin, aber ich muss meine ganze Energie aufwenden, um dorthin zu gelangen.
Kapitel 28
Fuchs saß in der Bordküche und sah fassungslos zu, wie George so viel Essen hinunterschlang, dass ein normaler Mensch für eine ganze Woche davon satt geworden wäre. Sein Schiffskamerad, Nodon, hielt sich zwar vergleichsweise zurück, futterte aber auch wie ein Scheunendrescher.
»Und nachdem er dann die Antennen zerballert hatte«, sagte George mit dem Mund voll Sojaburger und rehydrierter Kartoffeln, »hat er die Schubdüse gezündet und unsere Treibstofftanks perforiert.«
»Er war wohl sehr gründlich«, sagte Fuchs.
George nickte. »Er muss wohl geglaubt haben, dass wir noch immer im Habitatmodul waren. Nodon und ich haben uns tot gestellt, bis er verschwunden ist. Bis dahin war die alte Matilda schon in die ungefähre Richtung von Alpha Centauri abgedriftet.«
»Er hat geglaubt, ihr wärt tot.«
»Oder so gut wie.«
»Ihr müsst das alles der IAA melden«, sagte Fuchs.
»Wenn wir den Schneidlaser an Bord gehabt hätten, dann hätte ich dem Bastard selbst eins draufgebrannt. Er hatte uns erwischt, als der Laser auf dem Asteroiden stand und der Akku aufgeladen wurde.«
»Ich habe euren Laser«, sagte Fuchs. »Er ist in der Ladebucht.«
Nodon schaute vom Essen auf. »Ich werde ihn überprüfen.«
»Tu das«, sagte George. »Ich werde derweil die IAA in Selene anrufen.«
»Nein«, sagte Fuchs. »Wir werden das IAA-Hauptquartier auf der Erde anrufen. Diese Geschichte muss den richtigen Leuten vorgetragen werden, und zwar schnell.«
»Okay. Sobald ich mir noch ’nen Nachtisch reingezogen habe. Was haste denn noch so im Kühlschrank?«
»Ich habe auch einen Schneidlaser«, wandte Fuchs sich an Nodon. »Er steht bei eurem in der Ladebucht.«
»Soll ich sie beide ans Bordnetz anschließen?«, fragte der Asiate leise.
Fuchs sah den Ausdruck ruhiger Zuversicht in den tief liegenden braunen Augen des jungen Mannes. »Ja, es kann wohl nichts schaden, beide einsatzbereit zu halten.«
George hatte ihre kurze Unterhaltung verfolgt, während er aufstand und zur Kühltruhe ging. »Wie willst du sie überhaupt aus der Ladebucht abfeuern, Kumpel?«
»Klarer Fall — indem die Luken geöffnet werden«, sagte Fuchs.
»Dann sollte man wohl besser einen Anzug anziehen.«
Mit einem Kopfnicken bekundete Nodon stillschweigende Zustimmung.
»Ihr beiden glaubt also, dass er zurückkommen wird«, sagte Fuchs.
»Vielleicht«, antwortete Nodon.
»Dann sollten wir besser darauf vorbereitet sein«, sagte George, während er die Bestandsliste auf dem Monitor der Tiefkühltruhe überflog. »Ich will nicht noch einmal mit heruntergelassenen Hosen erwischt werden. Könnte tödlich enden.«
Diane Verwoerd sah förmlich, dass ihr Boss kalte Füße bekam. Martin Humphries wirkte unbehaglich, fast nervös, als sie das weitläufige Wohnzimmer seines Anwesens betrat.
»Wie sehe ich aus?«, fragte er sie — etwas, das er sonst nie machte.
Er war mit einem Smoking bekleidet und trug dazu eine Fliege und einen karierten Kummerbund. Sie lächelte und unterdrückte den Drang, ihm zu sagen, dass er wie ein pummeliger Pinguin aussah.
»Sie sehen richtig schick aus«, sagte sie.
»Diese blöde formelle Kleidung. Man sollte meinen, dass man nach ein paar Jahrhunderten sich etwas Besseres hätte einfallen lassen können, das man zu gesellschaftlichen Anlässen trägt.«
»Ich bin beeindruckt, dass Sie die Fliege so perfekt gebunden haben.«
Er schaute sie stirnrunzelnd an. »Sie ist vorgebunden, und Sie wissen das. Hören Sie auf, mir zu schmeicheln.«
Verwoerd trug ein bodenlanges Silbermetallickleid; der lange Rock war fast bis zur Hüfte geschlitzt.
»Stavenger hat mich doch wohl kaum aus reiner Herzensgüte in diese verdammte Oper eingeladen«, nörgelte Humphries, als sie zur Tür gingen. »Er will etwas von mir und glaubt, dass ich in einer angenehmen und entspannten Atmosphäre aufgeschlossener wäre.«
»Cocktails und Dinner und dann Der Troubadour«, murmelte Verwoerd. »Das reicht, um sich bis zur Bewusstlosigkeit zu entspannen.«
»Ich hasse Opern«, grummelte er, als er die Tür öffnete.
»Wieso haben Sie dann die Einladung überhaupt angenommen?«, fragte Verwoerd und trat hinter ihm in den Garten hinaus.
Er schaute sie finster an. »Das wissen Sie doch. Pancho wird auch da sein. Stavenger hat einen Trumpf im Ärmel. Offiziell mag er zwar zurückgetreten sein, doch er regiert Selene noch immer — er ist die graue Eminenz. Er muss nur die Stirn runzeln, und alle überschlagen sich, um ihm zu Diensten sein.«
»Ich frage mich, was er diesmal will?«, sagte Verwoerd, während sie zwischen den üppig blühenden Sträuchern und Bäumen hindurchgingen, die die Höhle ausfüllten.
Humphries warf ihr einen missmutigen Blick zu. »Um das herauszufinden, bezahle ich Sie schließlich.«
Der Cocktailempfang fand im Freien statt, unter der Kuppel der Grand Plaza gleich neben dem Amphitheater, in dem alle Theatervorführungen in Selene stattfanden. Als Humphries und Verwoerd eintrafen, stand Pancho Lane schon in der Nähe der Bar und war in eine angeregte Unterhaltung mit Douglas Stavenger vertieft.
Doug Stavenger, der fast doppelt so alt wie Humphries war, wirkte noch immer so jung und vital wie ein Dreißigjähriger. In seinem Körper wimmelte es von Nanomaschinen, die ihn gesund und jung erhielten. Zweimal hatten sie ihn schon vorm Tod bewahrt und Schäden am Körper repariert, die normalerweise tödlich gewesen wären.